Die Kuh, das revolutionäre Subjekt
Die politische Linke in Deutschland hat zum Thema Landwirtschaft seit Jahrzehnten ein gepflegtes Nichtverhältnis. Dass einige ehemalige Mitglieder des »Kommunistischen Bundes Westdeutschland« (KBW), die landwirtschaftliche Produktionseinheiten gründen wollten, später bei den Grünen Karriere machten und unter anderem Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung wurden, hat daran nichts geändert. Es ist schwierig, auf Erfahrungen und Debatten zurückzugreifen, die, wenn überhaupt, nur von wenigen Linken gemacht wurden und meist nicht in die innerlinken Überlieferungen und Archive eingingen. An den derzeitigen Kämpfen von Bauern für ökonomische Teilhabe partizipieren Linke kaum. Dieses Problem kennt auch die »Aktion 3. Welt Saar« als Mitglied des Bündnisses »Meine Landwirtschaft – unsere Wahl«, das jedes Jahr im Januar die Demonstration »Wir haben es satt« organisiert. Als linke Organisation ist die »Aktion 3. Welt Saar« dort ziemlich allein unter lauter »Ökos«. Dabei ist vieles, was thematisiert wird, nicht falsch. Allein, es fehlt meist ein herrschaftskritischer Blick auf die Gesellschaft, von Ökonomiekritik ganz zu schweigen.
Es wäre lohnend, aus linker Sicht die Debatte über den offensichtlich zu hohen Fleischkonsum zu führen und einzubeziehen in eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, welche Landwirtschaft denn wünschenswert wäre: Woher kommen das tägliche Brot, die Milch, das Fleisch, Gemüse und Obst? Und vor allem: Wer produziert dies auf welche Weise? Und wie wäre es sinnvoll?
Selbstverständlich hat die Fleischproduktion etwas mit dem Klimawandel zu tun. So wie andere energieintensive Bereiche in der kapitalistischen Produktion. Fleisch ist die teuerste und energieaufwendigste und damit ineffektivste Form der Herstellung von Nahrungsmitteln. Für ein Kilogramm Fleisch benötigt man zwischen vier und 16 Kilogramm Getreide und damit für die Fleischherstellung das Mehrfache der knappen Ressourcen Land, Wasser und Energie. Im gleichen Maß steigt der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid.
Die Debatte über den hohen Fleischkonsum wird mitunter sehr verbissen geführt und ist mit großen Heilsversprechen verknüpft. Fleischesser und Fleischproduzenten werden häufig als Mörder beschimpft, weil Tiere mit Menschen und folglich Tier- mit Menschenrechten gleichgesetzt werden. Nicht selten sind dabei Anspielungen auf den Holocaust, etwa wenn die umstrittenen Tierschützer von »Peta« bei der Demonstration »Wir haben es satt« am 16. Januar 2016 in Berlin mit einem riesigen Banner mit dem Slogan »Wir gedenken der Opfer« mitlaufen, was von vielen Veganern gefeiert wurde. Solch ein Spruch stellt eine Nähe zu den Opfern des Nationalsozialismus her. Dabei sollte es möglich sein, bei der Kritik an der Tierhaltung und der Präsentation seines veganen Alltags ohne NS-Anspielungen auszukommen.
Dagegen bastelt sich mancher Nichtveganer seine heile Landwirtschaft aus dem ideellen Lego-Baukasten zusammen. Sie folgen dabei zwei Motiven, die sich gegenseitig ergänzen. Zum einen existiert in linken Kreisen ein hochgradig romantisiertes Idealbild von der Landwirtschaft. Man sehnt sich nach Bauern, die Kühe, Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe sowie Hühner halten und den Ackerbau mit vielen Getreide- und Gemüsesorten betreiben sowie eine Obstplantage kultivieren. Der Hofladen mit angeschlossener Hofmetzgerei und Hofbäckerei komplettiert die Idylle. Selbstverständlich muss alles bio sein – als wäre biologische Landwirtschaft ein anderes Wirtschaftssystem und nicht lediglich eine andere Anbaumethode. Es gibt aber keinen Grund, warum Bauernhöfe in einer hochspezialisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft nach diesem romantischen Muster gestrickt sein sollten. Es ist ein Bild aus schlechten Kinderbüchern. Die Zeiten, in denen Bauer und Bäuerin früh morgens um 6 Uhr gutgelaunt, mit Hacke und Spaten bewaffnet, auf ihre Felder zogen und mit jedem Regenwurm per du waren, sind endgültig vorbei.
Ein weiterer Grund, warum die Debatte über Fleischkonsum so verbissen geführt wird, liegt im Politischen. Der Linken ist das revolutionäre Subjekt abhanden gekommen. Die ideologisierte Form des Veganismus entstand, ähnlich wie Critical Whiteness als dogmatische Form des Antirassismus, aus der Sehnsucht nach dem revolutionären Subjekt und nach einfachen Lösungen. Da die Komplexität der Verhältnisse schwierig zu begreifen ist, fängt man bei sich selbst an: Die notwendige Beschäftigung mit der eigenen Verstrickung in Machtverhältnisse kippt dann in Richtung Selbstkasteiung, was in linken sozialen Bewegungen häufig vorkommt. Die Verhältnisse werden dabei nicht verändert, aber die Handelnden verschaffen sich ein gutes Gefühl, weil sie, dem Diktat der Praxis folgend, irgendwie aktiv sind. Sich mit Machtverhältnissen oder gar Ökonomie zu beschäftigen, ist mühsam, zeitaufwendig und verspricht keine schnelle Erlösung von den Qualen des alltäglichen Seins. Stattdessen sucht man sich Themen aus, bei denen man schnell praktisch loslegen kann: die persönliche Lebensführung, die Ernährung, die Gesundheit, »die Rückkehr zur Natur« oder den »fairen Handel«. In diesem Umfeld trifft man nicht selten auf Menschen, die von der »Macht der Verbraucher« und der »Politik mit dem Einkaufskorb« überzeugt sind. Die Vorstellung, man könnte sich eine bessere, ökologischere und sozialere Welt fernab von sozialen Auseinandersetzungen zurechtkaufen, hat etwas Beruhigendes, aber leider ist alles viel komplizierter.
Auch andere Lösungen, über die in jüngster Zeit diskutiert wird, erweisen sich als zu einfach. Könnte es etwa den Fleischkonsum senken, den für Lebensmittel reduzierten Steuersatz von derzeit sieben Prozent auf 19 Prozent anzuheben? Auch eine Sondersteuer auf Fleisch, für dessen Produktion Soja aus Übersee eingesetzt wird, wäre denkbar. Fleisch würde teurer und der Verbrauch ginge vermutlich zunächst etwas zurück. Aber im kapitalistischen Konzert findet sich schnell ein Platz in Osteuropa oder in Afrika, wo Fleisch nochmal etwas günstiger produziert werden kann. Die Agrarfirmen gäben die Kostensteigerung weiter an die Bauern, von denen einige bankrott gingen. Andere übernähmen die freiwerdende Ackerfläche, würden sich vergrößern und alles ginge trotz guter ökologischer Postwachstumsvorsätze weiter wie zuvor. Die Mehrwertsteuer ist ein nationalstaatliches Lenkungsinstrument, das den Fleischkonsum durch Verteuerung einschränken könnte. Aber es kann nur begrenzt funktionieren, da der Kapitalismus und der Markt keine nationalen Angelegenheiten sind.
Vieles spricht dafür, Fleisch als Luxusprodukt zu betrachten, es seltener zu konsumieren und es zu verteuern. Nur sollte man dabei seine Mitmenschen mit am Lifestyle orientierten Heilsversprechen, mit romantisierenden Bildern von Landwirtschaft und mit der Idee von »Politik mit dem Einkaufskorb« nicht behelligen. Gegen diese Erkenntnis wehren sich allerdings viele Umweltschützer. So hat das Agrarbündnis »Meine Landwirtschaft – unsere Wahl« bereits zum vierten Mal einen Redebeitrag der »Aktion 3. Welt Saar«, in dem derlei falsche Vorstellungen thematisiert würden, für die Demonstration »Wir haben es satt« am 21. Januar in Berlin abgelehnt.