Das neue Album von Candelilla

Hart, aber unklar

Candelillas neues Album »Camping« fordert die Hermeneutik heraus.

Wenn Mira Mann, eine der drei Sängerinnen von Candelilla, in dem Lied »Trocken und staubig« singt, »wir bleiben trocken und staubig«, kann man das auf vieles beziehen, nicht aber auf die produktionsästhetische Entwicklung der Band. Auf dem vorigen Album »Heart Mother « hatte man die Staubtrockenheit mit dem für seine schnickschnacklosen Produktionen weltberühmten ­Steve Albini souverän an einen toten Punkt gebracht. 
»Camping« rauscht gebirgsbachhaft in die Gegenrichtung, verwöhnt und verwirrt mit flirrenden Flächen, feuchten Räumen und verwegenen Frequenzgewächsen. Die klangliche Abenteuerlust und Aufwendigkeit der Platte (tontechnisch betreut von Tobias Levin und Hannes Plattmeier) macht sie zu einem extrem erfrischenden Erlebnis, gerade in einer Zeit, in der man den meisten Platten frustrierend gut anhört, dass sie entweder mit einem winzigen oder mit einem an stilglättende Erfolgserwartungen gekoppelten Budget hergestellt wurden. Nun darf man sich das Ganze allerdings nicht als verkifft experimentelles Rumgedudel vorstellen. Candelilla behalten die Tough- und Tightness ihres repetitiven No(ise) Wave als starren Rahmen um die bunten Farbexplosionen bei. Der Gesang ist vielleicht sogar eine Spur strenger geworden. Wo es früher noch hier und da aufgekratztes Riot-Girl-Geschrei gab, wird jetzt konsequent eine ingrimmige Coolness performt, die an Bands wie Malaria oder vor allem Delta 5 denken lässt. Mit Ausnahme des schrägen, melodisch komplexen und doch irgendwie toll poppigen »Transformer« herrscht deutscher Sprechgesang. Der Gestus ist der der harten Ansage. Hart, aber, wenn man die Texte betrachtet, alles andere als klar. 
Eine Passage aus dem Lied »Hand« geht folgendermaßen: »Kalkulieren, begründen, abrechnen, vergüten, meine Muskeln werden hart, blockieren sich. Ich bin bereit. Berühre meine Hand. 32 Muskeln, 27 Sehnen, sehnen Sehnen. Berühre meine Hand.« Der Spaß beim Hören solcher an Vokabellisten erinnernden Wortreihen besteht, neben der Wichtigkeit, die jedes einzelne Wort dadurch gewinnt, dass es nicht im eindeutigen Sinnzusammenhang verblasst, in den überraschenden Registerwechseln und natürlich in der hermeneutischen Überforderung selbst. 
Man weiß, mit jeder Deutung macht man sich lächerlich, aber man deutet doch unwillkürlich drauf los, zum Beispiel so: Zwischen den biologisch-materiellen Prozessen auf der einen und den logisch-administrativen informatischen Prozessen auf der anderen gähnt eine Leerstelle. Und zwar genau da, wo früher die Seele sein sollte und wo deren Schwundstufe – eine banale mal sexuelle mal sentimentale Gemütsbewegung – bislang den vornehmlichen Gegenstand der Poplyrik bildete. Wird das Fehlen bedauert oder nur festgestellt? Ist das, was fehlt, spurlos verschwunden oder hat es sich nur gut versteckt; etwa in dem Doppelsinn des dreimal wiederholten Wortes »Sehnen«? Oder gar in der Musik? Und hiermit, mit der Musik, wären wir wieder am Anfang dieser Besprechung angekommen, die ich mit einer warmen Kaufempfehlung schließen möchte.

Candelilla: Camping (Zickzack)