Eine Studie zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland sorgt für Empörung

Drei Orte zum Davonlaufen

Eine Studie zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland sorgt für Empörung unter rechten Stimmungs­machern. Lesenswert ist sie in jedem Fall.

Iris Gleicke hat eine klare Vorstellung von ihrer Tätigkeit: »Meine wichtigste Aufgabe besteht zweifellos darin, mich für die Interessen Ostdeutschlands einzusetzen. Und das mache ich ohne Wenn und Aber.« Gleicke kommt aus Thüringen, ist Ingenieurin, Mitglied der SPD und »Ostbeauftragte« der Bundesregierung.

Bei der Vorstellung des Jahresberichts zum Stand der »Deutschen Einheit« im Herbst 2016 hatte Gleicke wenig Positives zu berichten. Sie erklärte den Osten für abgehängt – auf lange Sicht. Ihr Bericht bewertete ras­sistische Krawalle als Anzeichen eines verfestigten Fremdenhasses, der die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremen Agitations­formen verwische. Gleicke sagte damals: »Der Rechtsextremismus in all seinen Spielarten stellt eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar.«

Die Bundesregierung beauftragte daraufhin das Göttinger Institut für Demokratieforschung mit einer Studie zu »Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland«. Sie wurde vor zwei Wochen veröffentlicht und sorgt derzeit für große Empörung: »Fake News«, »unwissenschaftlich«, »Ost-Bashing«, »gekauft«, so lauten die Schlagworte.

Den Wissenschaftlern werden vor allem Formfehler bei der Anonymisierung der Befragten vorgeworfen. Teilweise gibt es Zweifel an der methodischen Qualität, da sich die Autoren auf Befragungen an lediglich drei Orten stützen. Die Autoren räumen inzwischen Fehler bei der Kennzeichnung der Interviewpartner ein. In einer Gegendarstellung weisen sie manche Einwände jedoch zurück: »Forschungen in einem solchen, besonders schwierigen Feld werden schlicht nicht mehr möglich sein, wenn notwendige Anonymisierungen auf perfide Weise als ›Erfindungen‹ denunziert werden.«

So sprach etwa Die Welt schon in der Überschrift eines Textes von »erfundenen Antifaschisten«. Einen weiteren Artikel  betitelte sie so: »Wer ein Problem mit Antifa hat, wird in die rechte Ecke gestellt«. Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer spricht von einem »Machwerk« mit »pseudopsychologischen Diagnosen«. Gerade einmal 36 Interviews für immerhin 130 000 Euro – da könne man doch mehr erwarten. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz aus Dresden, griff Gleicke an: »Eine Ostbeauftragte, die durch einseitige Extremismusforschung den Linksextremismus faktisch unter Schutz stellt, hat ihre Aufgabe verfehlt.«

Tatsächlich begaben sich die Autoren der Studie auf ihrer Suche nach Ursachen, Hintergründen und regionalen Besonderheiten rassistischer Gewalt an drei Orte in Sachsen und Thüringen, die – gemessen am ohnehin erheblichen Anstieg der Zahl rechter Gewalttaten 2015 bundesweit – besonders von sich reden gemacht hatten: nach Freital und Heidenau sowie in den Erfurter Stadtteil Herrenberg. Herausgekommen ist ein allemal lesenswerter Text.

Die Bewohner des Erfurter Ortsteils Herrenberg etwa gingen mehrheitlich nicht mehr wählen, so die Studie. Stattdessen sei dort im Laufe der Zeit ein rechtsextremes Milieu entstanden, das die Bewohner des Neubaugebiets präge. Einst ein Viertel mit begehrten Wohnungen, wo Ärztinnen neben Arbeitern und Friseurinnen neben Hochschullehrern lebten, zog nach 1989 mit der Entwertung des Stadtteils nicht nur die Armut ein. »Heil Hitler!«-Rufe und nächtlicher Terror läuteten diesen Wandel in den Neunzigern ein, wie die Wissenschaftler darlegen.

Für Sachsen insgesamt konstatieren die Forscher ein Bemühen der Politik, »konflikthafte Themen aus dem Diskurs herauszuhalten«. Zugleich erscheine die DDR in der Erinnerung umso glanzvoller, je weiter ihr Ende zurückliege. Letztlich führe all dies zur Abwendung von den bürgerlichen Formen politischer Repräsentation. Zitiert wird ein Freitaler Gymnasiallehrer: »Demo­kratie wird als gut empfunden, aber das ist etwas, was mit uns und nicht durch uns geschieht.«

Die einstige Indus­triestadt Heidenau liegt wie Dresden im Elbtalkessel, der zu DDR-Zeiten als das »Tal der Ahnungslosen« galt, weil dort kein Westfern­sehen empfangen werden konnte. Die Bezeichnung dürfte heutzutage keine Relevanz mehr haben. Und doch konstatiert Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz mit Blick auf die Wutbürger, diese könnten sich »das nicht vorstellen, dass ein Schwarzer ein Handy« habe. »Wenn der eine Trommel hätte, dann wäre deren Weltbild absolut in Ordnung.« Neben solchen rassistischen Ansichten existiert ein Wohlstandschauvinismus, der sich der Studie zufolge aus einem »nationalen Solidarismus« speist. Doch der habe in der sächsischen Bevölkerung enge Grenzen – auch nach unten. Die Überhöhung des Eigenen, Sächsischen, Ostdeutschen, Deutschen geht genauso zu Lasten von Migranten wie von besonders Armen aus der eigenen Nachbarschaft.

Zur sächsischen Spezifik gehört der Studie zufolge zudem die Kontinuität von Gewalt gegen Linke seit den Neunzigern. Der nach 1990 vor allem in Ostdeutschland entstandene rassistische »Flächenbrand« sei »keineswegs aus dem Nichts geboren«. Er habe »für die ehemalige DDR auch spezifische historische Bedingungen, die der Verfasstheit der realsozialistischen Gesellschaft entspringen«.

Die Analyse kommentierte der Oberbürgermeister von Freital mit den Worten: »Das sind aus meiner Sicht Pauschalurteile, die teilweise an Verleumdung grenzen.« So viel Dünnhäutigkeit fehlt den politisch Verantwort­lichen offenbar, wenn es um die wachsende Angst derjenigen Mitbürger geht, die sich gegen den Rechtsextremismus aussprechen. So sagte eine der befragten Freitalerinnen: »Ich muss ganz ehrlich sagen, ich fürchte mich ein bisschen davor, jetzt hier zum Beispiel in Freital, mich zu sehr stark zu machen gegen die, ähm, (­Pause) Populisten, weil ich bin alleinstehend, ich wohne alleine und ich möchte (Pause), also ich möchte keinen Unmut auf mich ziehen. Ich bin einfach zu feige.«

Die Gewöhnung an rassistische Angriffe und Anschläge auf politische Gegner ist am Beispiel Freital gut nachzuvollziehen. Gegenwehr erfordert dort enormen persönlichen Einsatz. Ein Mitglied des Freitaler Stadtrats sagt: »Klar, Drohungen kriegste immer, das ist normal hier, die kriege ich schon seit zwölf oder 15 Jahren. Das war mal schlimmer, als die SSS in der Sächsischen Schweiz noch aktiv waren.« Damit ist der Stadtrat einer der wenigen, der sich an die 2001 verbotene Neonaziorganisation »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) erinnert und darüber spricht. Auffällig ist ansonsten die Amnesie der befragten Einheimischen.

Auch wegen dieses absichtsvollen Vergessens mussten die Autoren der Studie einen Bericht der »Antifaschistischen Aktion« als Quelle heranziehen, was nun neben weiteren Dingen Kritiker veranlasst, die vorliegende Studie grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Rechte Stimmungsmacher mokieren sich dabei hauptsächlich über die Anonymisierungen und spielen die Gefahr für die Interviewten herunter. Um Versachlichung geht es in ihren Einlassungen ebenso wenig wie in ­Äußerungen anderer reflexhaft Empörter. Gleicke zeigt sich unbeeindruckt. Sie schreibt in einer Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen: »Ursachen müssen schonungslos und ohne Tabus aufgedeckt und offengelegt werden.«