Der Zeichner OL erklärt, warum er die Jungle World seit 20 Jahren mit seinen Cartoons beglückt

Tausendmal die Zwei

20 Jahre »Jungle World«, das sind zu unserem großen Glück auch 20 Jahre OL. Keine Ausgabe erschien ohne seinen Cartoon auf der Seite zwei. Das macht 1 000 OLs. Viel Geld hat OL, Olaf Schwarzbach, dafür nicht gesehen. Warum also macht er das? Das haben wir ihn gefragt. Lesen Sie hier seine Antwort.
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Warum ich seit 20 Jahren für die Jungle World zeichne? Nicht wegen dem Geld, auch nicht wegen des Geldes, sondern wegen Klaus.
Es war Mitte der neunziger Jahre, ich war gerade aus England zurückgekehrt, wo ich mich von DDR und Wiedervereinigung erholt hatte, arbeitete für Kowalski, Zitty und andere, als in der Zeitung Junge Welt unautorisiert einer meiner Cartoons erschien. »Jibts ja nich!« dachte ich. Für mich, den Ostler, war die Junge Welt immer der kleine, bucklige Gehilfe des SED-Zentralorgans Neues Deutschland gewesen – Dr. Frankensteins Igor. Damals, als Mitglied der Freien Deutschen Jugend, war ich ge­nötigt worden, die Junge Welt zu abonnieren und, schlimmer noch, sie zu lesen. Diese Zeiten waren vorbei. Jetzt würde ich ihnen die Scheiße aus dem Arsch klagen. Aber erst mal anrufen.

Am Telefon war Klaus. »Komm doch mal vorbei, würde mich freuen, dich kennenzulernen, die Junge Welt ist jetzt ganz anders.« Die Junge Welt war jetzt ein selbstverwaltetes Projekt, jedenfalls dachten das die meisten. Viel guter Wille, wenig Geld, linke Strömungen aus allen Richtungen und der Herbergsvater respektive Chefredakteur hieß Klaus.

Wöchentlich erschien nun ein OL-Cartoon und wurde auch bezahlt. Dann wurde Klaus vom Geschäftsführer der herausgebenden GmbH gefeuert. Belegschaftszeitung? Pustekuchen. Der Geschäftsführer hielt 51 Prozent der Anteile. Es folgten Proteste, die Besetzung der Redaktionsräume, ein kurzer Streik, aber nach zwei Wochen hatten die Betonstalinisten gewonnen; Klaus, zu pluralistisch, musste gehen und gründete, gemeinsam mit ­anderen, die Jungle World. Die Junge Welt versprach, mein Honorar zu verdoppeln, wenn ich weiter für sie arbeitete. Aber was sollte ich mit dem Geld, ich hatte ja genug. Klaus’ Freundschaft war mir wichtiger.

Von nun an hatte ich jede Woche einen Cartoon in der Jungle World und manchmal auch das ­Cover. Geld gab es keins, egal, ich sah es als Solidarbeitrag. Alles, was ich im Tagesspiegel, in der Zeit und der Berliner Zeitung nicht bringen konnte, schickte ich an die Jungle World, die druckte es. Das Wort »homophob« kannte ich nicht, bevor Klaus es in Bezug auf eine meiner Arbeiten erwähnte. Seltsam, dachte ich, bin ich das? Klaus war penibel, achtete auf Form und Inhalt, aber meine Cartoons ließ er, wie sie waren.

In den ersten Jahren war die Jungle World eine Spielwiese. Mit Heiko, dem Bildredakteur, kreierte ich eine Comicseite, die wöchentlich gefüllt werden musste. Ich erfand »Flaubert«, den Schriftsteller. »Was hätte Flaubert getan?« war die Frage, »Saufen« die Antwort. Damals hatte ich gerade zwei quadratische Bücher veröffentlicht, also war auch »Flaubert« quadratisch. Und darunter noch Platz für weitere Strips wie »Krazy Knut« oder »Trompi« von Rattelschneck, »Lilli & Poldi« von Lillian Mousli und Oliver Naatz, Fils »Mädchenworld« und »Unser schwuler Bürgermeister« von Reinhard Kleist.
»Was hätte Flaubert getan?« erschien nie in Buchform, stattdessen zeichnete ich jährlich eine »Flaubert«-Weihnachtsgeschichte, erst eine Seite, später vier. Im Jahr 2000 dann endlich die An­zeige beim Deutschen Presserat, der Vorwurf: ­Blasphemie.
Auch einige Jungle World-Redakteure störten sich an meiner Arbeit. Ein Cartoon, der nie gedruckt wurde, hing jahrelang an der Pinnwand der Redaktion. Es kam zu Diskussionen.

Und wieder musste Klaus gehen. Wer diesmal schuld war, weiß ich nicht. Als Chef war er nicht einfach, als Freund immer.
Von nun an ließ ich mich mit einem symbolischen Honorar bezahlen. Aber Klaus konnte nicht ohne die Jungle World und arbeitete dort später zwei Tage in der Woche als Lektor.

Einmal rief ich ihn an. Mein Lieblingscartoon wurde nicht gedruckt, weil ihn der zuständige Redakteur nicht verstand, »Klaus, ich hab die Schnauze voll.« Und Klaus beruhigte mich. Er fände es schade, wenn ich nicht mehr für die Jungle World arbeiten würde.
Ich habe das Handtuch nicht geschmissen. Der Cartoon wurde an meinem Geburtstag gedruckt. Die Jungle World, so alt wie meine große Tochter, ist selbständig, groß geworden. Ich hab sie lieb.