Homestory #07

»Dass es wieder aufwärts geht, weißt du, wenn der erste Bundeskanzler Kevin heißt«, so heißt in einem Lied des Berliner Kabarettisten, Komponisten und Autors Thomas Pigor aus dem Jahr 2008. In diesem Song machte er sich lustig über die »Unterschichtsvornamen« einer ganzen Generation – so wie Robin, Quentin, Mirko und eben Kevin. Zehn Jahre später wirkt der Song geradezu prophetisch: Der Kevin, der sich anschickt, uns aus der Misere »rauszuhauen«, wie es in dem Song von Pigor heißt, ist Bundesvorsitzender der Jusos und trägt den, wie eine Redakteurin der Jungle World findet, »treffenden« Nachnamen Kühnert. »Sein Nachname bildet einen unglaublichen Kontrast zu diesem underdog-Vornamen, weil da dieses schöne, etwas aus der Mode geratene Wort ›Kühnheit‹ drin steckt«, schwärmt sie. Es gebe doch diese Statistiken, die beweisen, dass Schüler mit dem Vornamen Kevin von ihren Lehrern schlechtere Noten bekommen als Mitschüler, die Sebastian heißen. Wer das überlebt habe, sei auf den Politikalltag bestens vorbereitet. Kühn sei er nun einmal wirklich, »der Kevin«, wie er »diese Gerontokraten von der SPD« mit seiner »No Groko«-Kampagne heraus­gefordert habe.

Entscheidend ist, dass Kühnert, wie ein ausgefuchster investigativer Reporter der Jungle World aufgedeckt hat, mutmaßlich ein Fan der Jungle World ist. Bei seiner »No Groko«-Bundestour hatte Kühnert ganz lässig eine Ausgabe der Zeitung in der Seitentasche seines Rucksacks stecken. Seit unsere Redakteurin das weiß, ist sie 150prozentiger Kühnert-Fan, hat alles über ihn recherchiert, feinsinnige Zusammenhänge hergestellt und lässt nun nichts auf ihn kommen.

Und nicht nur sie. Besonders häufig gerät die Jungle World nicht ins Rampenlicht der großen Politik. Meistens wurstelt sie nur bequem in ihrer linken Nische herum – nun schlagen die Herzen einiger Redaktionsmitglieder höher. Mancher Redakteur wähnt sich bereits als Einflüsterer eines zukünftigen Kanzlers Kühnert, so wie einst Macchiavelli bei den Medici. »Hab’ noch nie von ihm gehört, aber ich unterstütze ihn voll«, heißt es vollmundig aus der Auslandsredaktion. »Sieht er eigentlich hübsch aus?« will eine Kollegin wissen. »Nicht dein Typ und extrem jung«, wird sie von einer anderen aufgeklärt. Im fussballaffinen Inlandressort ist »der Kevin« hingegen längst kein Unbekannter mehr, schließlich ist er Tennis-Borussia-Fan – wie die ganze Inlandsredaktion.

Wieder andere sind voll der Bewunderung dafür, wie es Kühnert gelungen ist, für die SPD durch seine »No Groko«-Kampagne 24 000 neue Mitglieder anzuwerben, indem er dazu aufrief, in die Partei einzutreten, um in dem internen Referendum gegen eine Regierungsbeteiligung zu stimmen. Während alle übrigen deutschen Zeitungen ihn dafür mit Galle überschütten und zum Grabträger der deutschen Demokratie erklären, hat man in der Berliner Gneisenaustraße andere Sorgen. »Wenn ein Viertel von diesen neuen Mitgleidern vor ihrem Austritt eine Jungle World-Abo abschließen«, so eine Redakteurin, »könnten wir uns nicht nur ordentliche Computer leisten, sondern endlich auch eine Putzkraft.«