Nur wer zum nationalen Kollektiv gehört, soll auch Leistungen erhalten

Völkische Sozialpolitik in Europa

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In Frankreich war die Vorsitzende des damaligen Front National (mittlerweile Rassemblement National), Marine Le Pen, im vergangenen Jahr mit dem Versprechen in den Präsidentschaftswahlkampf gezogen, die Rente mit 60 wiedereinzuführen, die Reform des Arbeitsrechts rückgängig zu machen und die 35-Stunden-Woche beizubehalten. Die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung wollte sie streichen, die ärztliche Versorgung auf dem Land hingegen verbessern.

Gemeinsam ist all jenen Plänen und sozialpolitischen Maßnahmen ein Grundgedanke: Die nationalistischen Parteien wollen die Leistungen des ­Sozialstaats exklusiv oder zumindest vorrangig den eigenen Staatsbürgern vorbehalten.

Diese Form des Wohlfahrtsnationalismus hat auch in Skandinavien rechtspopulistischen Parteien großen Auftrieb gegeben. Im Gegensatz zu ­anderen, vor allem osteuropäischen Ländern hat der Wohlfahrtsstaat eine lange Tradition in Skandinavien und wird – bei aller Kritik – auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Programme der norwegischen Fortschrittspartei, der Schwedendemokraten oder der dänischen Volkspartei beschreiben den Wohlfahrtsstaat vielmehr als Ins­titution, die die sogenannte nationale Identität konstituiere und somit den Einwohnern des Landes vorbehalten sein sollte. Entsprechend warnen diese Parteien vor der Bedrohung, die die Migration angeblich für den Wohlfahrtsstaat darstelle.

Nur wer zum nationalen Kollektiv gehört, soll auch Leistungen erhalten. Alle anderen müssen ausgeschlossen werden oder zumindest deutliche Benachteiligung erfahren. War früher mit dem Erhalt von Sozialleistungen häufig eine gesellschaftliche Stigma­tisierung verbunden, wird die Berechtigung dazu nun zum Ausweis dafür, ob man zum nationalen Kollektiv gehört oder nicht. Dabei ist es mehr als evident, dass in vielen europäischen Ländern ganze Branchen wie Gesundheit oder Pflege ohne Arbeitsmigranten gar nicht mehr funktionieren würden.

Es ist symbolträchtig, dass die österreichische EU-Ratspräsidentschaft kurz nach Amtsantritt im Juli mit einer Debatte über die Renationalisierung des Sozialstaats beginnt. Denn grundsätzlich sind die Pläne der österreichischen Regierung nicht mit der europäischen Integration vereinbar. Gemäß ­einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2012 haben EU-Ausländer für die Dauer ihres Aufenthalts Anspruch auf Kindergeld, auch wenn der Nachwuchs in einem anderen Land lebt.

Noch dieses Jahr soll der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kindergelds im österreichischen Parlament verabschiedet werden und zu Beginn 2019 in Kraft treten. Dann droht der Regierung in Österreich ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. Gut möglich, dass sie dann Unterstützung von der deutschen Bundesregierung erhält.