Ideale Synthese von Industrie und Kunst: 100 Jahre Bauhaus

Made in Ostdeutschland

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Zunächst machte das Bauhaus bei weitem nicht einen so rationalistischen Eindruck, wie man hätte annehmen können. Und wie sah es dann aus, als der Eindruck deutlich rationalistischer war – konnte es den Anspruch erfüllen? Die Form folgt der Funktion, hieß es. Doch weißverputzte Wände, Flachdach, Fensterbünde waren in der Formensprache zwar ungewöhnlich, doch mitnichten immer funktional. Große Glasfronten dämmten schlecht, auf den flachen Dächern sammelte sich das Regenwasser und griff die Bausubstanz an, weißer Putz erwies sich als anfällig für Spuren von Witterung und Schmutz. Auch die Behauptung, das Leben einfacher und ­bequemer zu organisieren, lief vor allem darauf hinaus, es auf weniger Fläche zu komprimieren. Der Funktionalismus war weniger Methode, sondern vor allem Stil und als solcher ebenso ornamental wie der Wilhelminismus, den man architektonisch bekämpfte. Ungeklärt ist die Frage, welcher gesellschaftlichen Funktion der Funktionalismus des Bauhauses eigentlich folgte. Den neuen Angestelltenklassen günstig zu erwerbende Eigenheime in großer Zahl bereitzustellen? Bauaufträge mit möglichst geringem Aufwand an Mitteln zu erfüllen? Ohne Rücksicht auf mögliche Bewohner? Der weiße Kubus des Bauhaus-Architektur ist weit mehr ein ideologisches Bild moderner ­Rationalität als deren wirkliche Erfüllung in Bezug auf menschliches Glück. Vom unmöglichen richtigen Leben im falschen schrieb Adorno in Bezug auf die Architektur und das Wohnen. Und auch praktisch hat sich der Funktionalismus als außerordentlich anpassungsfähig erwiesen, sowohl an die Erfordernisse des Kapitals als auch an die der Nazi-Herrschaft.

Die Krise der Architektur Anfang des vergangenen Jahrhunderts war auch eine der Auftraggeber: Das ­Bürgertum wurde im Zuge der Mono­polisierung und Kapitalkonzentra­tion mehr und mehr ökonomisch geschwächt, die Trusts traten die Nachfolge an. Für wen also gestalten? Der zweite Bauhaus-Direktor Hannes Meyer beantwortete die Frage mit »Volksbedarf statt Luxusbedarf« und wollte für die unteren Klassen und deren Bedürfnisse bauen. Meyer verstand das Bauhaus nicht als Marke und Stil, sondern als ein politisches und gestalterisches Projekt. Er wurde auf Gropius’ Bestreben zügig wieder aus seinem Amt entlassen – offiziell wegen kommunistischer Umtriebe. Dass sich das Bauhaus aus den Kämpfen der Zeit herauszuhalten gedachte, ist keine Neuerung der Nachlassverwalter. Ein »rotes Bauhaus« war nicht erwünscht. Der dritte Direktor, Mies van der Rohe, paktierte zwar mit den Nazis, konnte das Bauhaus aber trotzdem nicht vor seiner Schließung im Jahre 1933 retten. Die Bauhaus-Angehörigen, wenn sie nicht in Deutschland blieben, verteilten sich über die Welt, von den USA über Palästina bis in die Sowjetunion. Gropius hatte schon bei dem Umzug des Bauhauses nach Dessau Mitte der zwanziger Jahre eine Bauhaus GmbH zu Vermarktungszwecken gegründet und bemühte sich um eine effektive ­Öffentlichkeitsarbeit. Es kam dann dem Gropius-Freund Sigfried Giedion zu, in seinem 1941 erschienenen, zum Standardwerk avancierten Buch »Zeit, Raum, Architektur – Die Entstehung einer neuen Tradition« den ersten Bauhaus-Direktor neben van der Rohe und Le Corbusier (also die Behrens-Schüler) als Wegbereiter der Moderne zu rühmen und den ­Mythos des International Style zu begründen. Meyer hingegen fand kaum Erwähnung und somit keinen Eingang in die Marke Bauhaus.

Der Mythos vom Bauhaus als Inbegriff der Moderne wird im Jubiläumsjahr erwartungsgemäß aufgefrischt. Dafür wird ein ziemlich großer Aufwand betrieben, in Weimar, Dessau und Berlin werden neue Museen eröffnet, zahlreiche Ausstellungen wurden kuratiert sowie Diskussionen und Lesungen angesetzt, ein Film kommt in die Kinos, unzählige Publikation sind schon erschienen oder in Vorbereitung. In Berlin findet gar ein Festival zum Bauhaus-Jahr statt. Es erstaunt dann doch, dass es bei diesem Festival vor allem um Performance und Tanz geht, aber nicht um Architektur. Die Verwüstung der Städte, die fatalen Auswirkungen des Urbanismus, die Architektur der Trennungen, die Orientierung auf die Zwecke der Finanz- und Immo­bilienindustrie, das wären dringende zu bearbeitende Themen. Stattdessen gibt es Aufführungen, die – wie die Kuratorin freimütig zugibt – mit dem Bauhaus direkt nichts zu tun haben. Warum? »Mich interessiert diese radikale Haltung zur Kunst als kommunikativem interaktivem Akt, zur Kunstproduktion, die in die ­Gesellschaft hineinwirken sollte«, sagt Bettina Wagner-Bergelt, die künstlerische Leiterin des Festivals. »Die Fragen des Bauhauses – was ist ein Körper, wie definiert er sich, wie historisch determiniert ist er, wie agiert er auf der Bühne – sind auch für heutige Akteure selbstverständlich gültig.« Das Bauhaus als Wegbereiter der performativen Trends der Gegenwart? Das ist einigermaßen abwegig und ergibt nur Sinn, wenn man kurzschlüssig Bauhaus und Performance für unhinterfragt modern hält. Inhalte werden performativ überwunden, um den Mythos zu aktualisieren.

Inhalte sind wahrlich sekundär in der spektakulären Jubiläumskultur­industrie. Hören wir noch eine letzte Stimme zur allseits beschworenen Aktualität des Bauhauses: »Was interessiert uns als Gestalter heute ­eigentlich am Bauhaus? Das sind die Idee, das interdisziplinäre Arbeiten, die Vielgestaltigkeit, die (ergebnis-)offenen Prozesse, die Aufforderung zu Experiment und Scheitern. Es darf uns deshalb nicht darum gehen, eine inhaltliche Neubestimmung der Marke vorzudenken oder vorzu­geben. Es muss vielmehr gelingen, das Bauhaus als Möglichkeitsraum zu begreifen, eine Einladung zum Mitwirken auszusprechen, Vielfalt und Unkontrollierbarkeit zu akzeptieren. Wir brauchen nichts Geschlossenes, sondern etwas Offenes. Und wir müssen Markenarbeit als Lernprozess verstehen, nicht als Kontrollprozess. Wenn das gelingt, könnte das Bauhaus-Jubiläum zu einem Vorbild für das Verständnis von Markenarbeit werden. Damit beginnt das Bauhaus wieder zu leben und erhält eine wirkliche, nicht museale Relevanz.« Diese Sätze, so ehrlich in der Offen­barung ihrer Absicht wie in der Abwesenheit von gedanklicher Substanz, stammen von Matthias Illgen von der Agentur Stan Hema für Markenentwicklung. »Wir erleben derzeit einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Verständnis von Marken. Entscheidend ist heute die soziale Relevanz von Marken, ist ihr Gehalt, ist ihre Fähigkeit zum Expe­riment. Kategorien, die wir auch stark mit dem Bauhaus verbinden. Insofern ist es weniger interessant, was Marke für die Erneuerung des Bauhauses tun kann, sondern vielmehr, was das Bauhaus für die Erneuerung des Markenverständnisses leistet.« Man muss Illgen wirklich dankbar sein. Endlich plaudert einmal einer aus, wofür der meiste Unsinn eigentlich veranstaltet wird: Werbung für die Gesellschaft, wie sie ist, und nichts sonst. Das ist keineswegs verwunderlich. Eine Gesellschaft, in der jeder Gestaltungswille, der über die herrschende Warenförmigkeit oder bloße Dekoration hinausgeht, erstickt wird, bespiegelt sich permanent  zugleich über ihren offensichtlichen Zerfall hinwegtäuscht.