»Hyper«: Lauter Dinge, die irgendwas mit Pop und Kunst zu tun haben

Nach der Party ist nach der Party

Worin bestehen die Verbindungen zwischen Kunst und Pop? Eine Ausstellung in Hamburg versucht sich an Antworten.

Pop ist nicht tot – er riecht nur komisch. Auch die Ausstellung »Hyper!« in Hamburg scheint diese Ansicht zu teilen, denn dort wird gar nicht mehr behauptet, die Popkultur sei noch sonderlich wild, viril oder auch nur gegenwärtig. Außerdem riecht es auch ganz buchstäblich: durch die schicken Hamburger Deichtorhallen zieht ein leichter Schimmelduft.

Schuld daran sind die Schallplatten von Rutherford Chang, mit deren Hilfe Kurator Max Dax sein Konzept für die Schau am prägnantesten umgesetzt hat. Den wechselseitigen Verschränkungen von Kunst und Pop wollte er nachgehen – und da ist Changs Sammlung und Installation in der Tat eine wahre Fundgrube. Der New Yorker Konzeptkünstler sammelt das sogenannte Weiße Album der Beatles auf Vinyl. Bisher hat er gut 2200 Exemplare zusammen. Dass es gerne noch mehr werden dürfen, verkündet die rote Leuchtschrift über den üppig gefüllten Plattenregalen: »We Buy White Albums«. In der Sammlung finden sich heute längst nicht mehr nur weiße Hüllen. Auf einige haben die Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer Notizen gekritzelt, manche tragen pseudo-psychedelische Buntstiftcover und wieder andere wurden mit Stockflecken aus irgendwelchen Kellern geborgen, woher auch der muffige Geruch rühren dürfte. In die Platten darf man reinhören und dabei nach Unterschieden zwischen den Kopien des Albums suchen, dessen Auflage einige Millionen beträgt.

Die Ausstellung ist randvoll mit sehenswerten Arbeiten – und mutig genug, sie zwar nicht beliebig, aber doch hochgradig subjektiv kuratiert zu präsentieren.

Obwohl es auch noch andere wunderbare Exponate zu sehen gibt, hakt es bei »Hyper!« schon von Anfang an, weil Pop und Kunst nun beide nicht so klar definiert sind und auch die Ausstellungsmacher keine Definition vornehmen. Selbst der im Begleittext zur Schau hervorgehobene Unterschied ist erst mal bloße Behauptung. Da heißt es, bei der bildenden Kunst gehe man »in der ­Regel von Unikaten oder von Editionen in sehr kleiner Auflage« aus, die nur für kurze Zeit zu sehen seien. Pop hingegen gibt es millionenfach gepresst oder gleich endlos vom Streamingdienst. Es mutet schon etwas wie ein Witz an, so etwas in einem knapp 300 Seiten starken Ausstellungskatalog zu lesen, den man gerade für 49,80 Euro aus dem Museumshop getragen hat – und der natürlich randvoll ist mit Coffee­table-Kunst. Aber klar, es gibt solche Unterschied in der Rezeption, die vor allem mit der im Pop überwundenen Originalität zu tun haben.

Was aber nun Kunst genau sein soll – und was Pop – ist schon deshalb schwer zu sagen, weil Kurator Max Dax es mit der Systematik selbst nicht so ganz genau nimmt. Statt hier den x-ten Aufguss der großen Popgeschichte zu präsentieren, konzentriert sich Dax vor allem auf sich selbst, folgt seinen eigenen Assoziationen und Vorlieben. Es macht Spaß, ihm zu folgen. Dass sein Pop nun ohnehin schon recht kunstnah – und umgekehrt die Kunst sehr poppig – ist, überrascht beim ehemaligen Chefredakteur der leider ebenso ehemaligen Spex nicht sonderlich. Auf Pop als Kunst zu reflektieren, ist ja heute auch eine verbreitete Rückzugsstrategie, um die Sache von der Straße nach Hause ins Warme zu holen. Und die Verschränkungen, um die es hier geht, sind oft gar nicht unbedingt ästhetischen, sondern vor allem auch persönlichen Überschneidungen geschuldet.

Zum Beispiel Daniel Richter: ein ganz großer Name der neueren deutschen Malerei, aber eben auch Eigentümer des Plattenlabels Buback, für das er wiederum auch schon seit ewig und drei Tagen Plattencover malt. In den Deichtorhallen hängt jetzt »Lonely Old Slogan«, das 2006 das Cover der »Lenin«-Platte der Goldenen Zitronen zierte. Es ist imposant, dieses Großformat in Öl, auf dem der Schriftzug »Fuck the Police« in fast leuchtenden Nieten auf dem finster lederbejackten Punkerrücken strahlt. Es ist jedenfalls ein skurriler Moment, diese Überraschung darüber, in einer Kunstausstellung plötzlich auf ein Ölgemälde zu stoßen.

Ähnlich wie bei Richter treten bei Kim Gordon Überschneidungen zwischen Kunst und Pop auf, war sie doch längst als bildende Künstlerin aktiv, bevor sie als Sängerin und Bassistin von Sonic Youth reüssierte. Auch in der Band setzt sich das fort: Die Sonic-Youth-Plattencover etwa stammen zum großen Teil von mit der Gruppe befreundeten Künstlerinnen und Künstlern. Aber so richtig als Künstlerin gearbeitet hat Gordon dann doch erst wieder, als es mit Sonic Youth vorbei war. Die Ausstellung zeigt nun ihre bisher berühmteste Serie: »Band Name Paintings«, die in verlaufenden Buch­staben die Namen von Noise-Rock-Bands in Szene setzen. Ein hübsches serielles System ist das, in dem die Musik der einzelnen Bands völlig aufgeht – und das außerdem mit Musik nicht mehr das Geringste zu schaffen hat.

Zusammenhänge zwischen Kunst und Pop sind natürlich lange vor »Hyper!« hergestellt worden. Doppel­existenzen von musizierenden Künstlern hat es das ganze 20. Jahrhundert hindurch gegeben und ­immer mal wieder kommt die etwas banale Idee auf, es gebe eine von Form und Schulung unabhängige Kreativität, die sich einfach nur irgendwo entladen müsse. Und dann fallen die Namen, die man kennt: Marcel Duchamp, Laibach, Throbbing Gristle, Yoko Ono, Tony Conrad und so weiter und so fort. »Hyper!« ist da gelungener, weil die Beziehung ­zwischen Kunst und Pop hier eben auf gar nichts heruntergebrochen wird, sondern hübsch durchlässig und fließend bleibt, oder eben »rhizomatisch«, wie Max Dax irgendwo schreibt.

Ansonsten zeigt man erwartbare Positionen zum Starkult, wie brutal verunstaltete Britney-Spears-Plakate, die der Fotograf Phil Collins ab 2001 in New York dokumentiert hat. Auch Christoph Schlingensiefs interessantes Wagner-Projekt ist zu sehen. Und dazu versucht eine ganze Ab­teilung mit aufregenden Meta-Arbeiten, die Parallelen zwischen Klang und Bild aufzuzeigen. Um es kurz zu machen: Die Ausstellung ist randvoll mit sehenswerten Arbeiten – und mutig genug, sie zwar nicht beliebig, aber doch hochgradig subjektiv kuratiert zu präsentieren.

Und irgendwo trifft sich das ja auch mit dem Stand der Poptheorie und -kritik, die inzwischen ja auch einsehen mussten, dass Pop als erster wirklich globaler Kanon längst abgewirtschaftet hat. Hatten sich in den neunziger Jahren etwa Tom Holert und Mark Terkessidis noch verdienstvoll am »Mainstream der Minderheiten« abgearbeitet, gibt es heute überhaupt keine Deutungshoheit mehr zu behaupten, vielleicht sogar nichts mehr zu deuten. Von Georg Seeßlen bis Jens Balzer drehen sich die Gedanken zum Pop um das Ende der Party.

Verblüffend ist allerdings, um wieder auf »Hyper!« zu kommen, was für eine Aura dieser Zerfallsprozess heute noch zu erzeugen vermag. Schon am Eingang stehen überlebensgroße Fotoporträts von Berghain-Bouncern Spalier. Ihr ei­gener Chef, Sven Marquardt, hat sein »Rudel« in Szene gesetzt und lässt es hier nun auf das Ausstellungspublikum starren. Ein bisschen gruselig ist das, vor allem aber verblüffend, wie dicht einem die totale Affirmation von Pose und Style auf den Pelz rücken kann. Man weiß nicht, ob einem die harten Jungs und Mädchen nun Prügel, Gesichtswasser oder eine neue Frisur verkaufen wollen.

Insgesamt also hübsche Fund­stücke aus den Trümmern des Pop, der sich nicht grundlos von der Tanzfläche in die Diskursfelder verdrückt hat. Trotz des von Scooter entliehenen Titels zeigt »Hyper!« Nischenpop fürs Massenpublikum. Ganz falsch ist darum auch der Verdacht, man habe es hier mit einer ­ästhetisch belanglosen Publikums­attraktion zu tun. Selbst wenn alle ehemaligen Spex-Abonnenten vor den Deichtorhallen aufmarschierten, würde das in den Jahresbilanzen schließlich kaum auffallen. Die Werbung verspricht in jedem Fall noch ganz nette Unterhaltung: mit Rahmenprogramm in der Elbphilharmonie und einer Spotify-Playlist, F.S.K. spielten bereits ein Konzert am Eröffnungsabend. Es ist wirklich eine schöne Schau schöner Dinge. Und so fraglich die Unterschiede zwischen Kunst und Pop auch bleiben mögen, so ist immerhin diese Gemeinsamkeit klar: Beide sind am besten, wenn sie sich nicht zu sehr um Systematik und große Geschichten scheren.

 

Hyper! A Journey into Art and Music. Die Ausstellung ist bis zum 4. August in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen.