Aleksej Schuntow, Programmkoordinator bei Press Club Belarus, im Gespräch über Repression gegen kritische Medien

»Erst haben sie nur die Personalien aufgenommen«

Aleksej Schuntow ist Programmkoordinator des Press Club Belarus. Wer in Belarus kritisch über die Regierung und den seit 1994 regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko berichtet, riskiert harte Strafen. Im August 2018 wurden mehrere Journalisten, darunter ein Mitarbeiter der Deutschen Welle, unter dem Vorwurf inhaftiert und verhört, sie hätten illegal staatliche Agenturmeldungen genutzt. Am 16. März verhinderte die Polizei eine Veranstaltung des Press Club mit dem russischen Magazin »Moloko Plus« in Minsk. Das Interview wurde am Tag darauf geführt.
Interview Von

Am 16. März bekam der Press Club Belarus Besuch von den Behörden. Was ist da passiert?
Wir vom Press Club Belarus hatten einen Vortrag organisiert mit einem russischen Medium namens Moloko Plus – und bekamen Besuch von der örtlichen Polizeibehörde.

Was ist das für ein Medium?
Moloko Plus ist wie ein Magazin, aber die Herausgeber nennen es einen ­Almanach. Dieser hat eher den Umfang eines Buches und enthält Texte und Bilder. Bisher sind drei Printausgaben erschienen. In der ersten Ausgabe ging es um Drogen, die zweite handelte von Revolutionen. Wenn ich mich richtig erinnere, waren darin auch Briefe eines Mitglieds der irischen Untergrund­organisation IRA abgedruckt. In der dritten Ausgabe ging es um Phänomene der Gewalt. Sie beschäftigen sich immer mit solchen provokativen Themen, aber nach Aussage der Herausgeber ruft Moloko Plus nicht zu Gewalt oder Revolution auf, sondern berichtet darüber.

»In Belarus ist es möglich, eine Publikation aufgrund des Verdachts auf extremistsiche Inhalte einzuziehen.«

Warum haben Sie »Moloko Plus« eingeladen?
Der Press Club Belarus versucht, unabhängige Medien und professionellen Journalismus zu unterstützen. In den vergangenen drei Jahren haben wir Leute eingeladen vom britischen Guardian, Vice, Financial Times und der BBC, aber auch von Gazeta Wyborcza aus Polen.

Gab es da je Probleme mit den Behörden?
Nein, bisher nicht. Wir sind ein bei den Behörden offiziell registrierter Verein.

Aber jetzt gab es Probleme. Was ist passiert?
Uns hat an Moloko Plus interessiert, dass sie eine Kombination von interaktiven Online- und Offline-Events ­machen. Wir dachten, dass diese Kombination einen sehr modernen und ­interessanten Trend in der gegenwärtigen Kommunikation darstellt. Wir dachten, es wäre gut, wenn wir hier in Belarus von ihnen lernen und Erfahrungen austauschen könnten. Der Vortrag sollte nachmittags um vier Uhr in unseren Räumlichkeiten stattfinden. Etwa um 15.20 Uhr tauchten zwei ­Polizisten bei uns auf, einer in Uniform, der andere in Zivil. Sie haben sich ausgewiesen und gesagt, sie seien an der Veranstaltung interessiert.

Ist das üblich?
Soweit ich mich erinnern kann, waren einmal bei einer anderen Veranstaltung Polizisten in Zivil da. Aber sie haben nichts gesagt, sondern sich einfach nur etwas umgesehen. Aber man hat uns darauf hingewiesen, dass da Leute von der Miliz unter den Besuchern waren.

Wie sind die Polizisten vorgegangen?
Erst haben sie nur die Personalien von mir und meinem Kollegen vom Press Club aufgenommen. Bis dahin war auch noch niemand anderes da. Meistens kommen unsere Besucher maximal zehn Minuten vor der Veranstaltung. Dann sagten die beiden Polizisten, dass sie zur Veranstaltung bleiben und ­diese überprüfen wollten. Sie hatten eine Videokamera dabei. Dazu muss man sagen, dass sich der Veranstaltungs­saal des Press Club in einem entlegenen Teil des Dachbodens im sechsten Stock eines alten Verwaltungsgebäudes aus sowjetischer Zeit befindet. Man muss, um dorthin zu gelangen, über mehrere Gänge und Treppen gehen.

Sind die Räumlichkeiten denn schwer zu finden?
Ohne Auschilderung würde man uns niemals finden. Ein Stockwerk tiefer haben die Polizisten dann auf der Treppe ihre Kamera aufgestellt. Sie haben alle Leute gefilmt, die zu unserer Veranstaltung kommen wollten, und deren Personalien aufgenommen. Mir wurde später berichtet, dass ein Teil der Besucher sich entschloss, nicht zur Veranstaltung zu gehen, als sie sahen, dass die Polizei ihre Daten aufnehmen wollte.

Trotzdem fanden sich noch etwa 20 Personen ein. Auch Pawel Nikulin und Jan Potarskij von Moloko Plus wurden ­kontrolliert, aber zunächst hereingelassen.

Wie reagierten die beiden?
Sie haben einen Anruf gemacht, soweit ich weiß bei Kollegen in Moskau, die gleichzeitig in den sozialen Medien über die Veranstaltung informieren sollten.

Ist das eigentlich legal, was die ­Miliz da gemacht hat?
Soweit ich weiß, ja. Die Miliz darf jederzeit die Personalien kontrollieren. Wer keinen Pass mit sich führt, kann zur Personalienfeststellung auf die Milizstation gebracht werden. Was die Videoaufnahme angeht, bin ich mir nicht so sicher, aber die Polizei macht das ziemlich regelmäßig hier im öffentlichen Raum, zum Beispiel in Stadien. Offenbar haben die Polizisten Nikulin und Potarskij zunächst auch gesagt, es sei alles in Ordnung.

Also konnten Sie mit der Veranstaltung beginnen?
Nein, eben nicht. Es war kurz vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung und wir waren gerade dabei, die Technik ein letztes Mal zu überprüfen. Wir wollten ein interaktives Online-Tool benutzen, slide.com, eine Website, über die das Publikum auch anonym Fragen an die Veranstalter richten kann. Wirklich Minuten, bevor wir anfangen wollten, kamen die Polizisten wieder, die beiden waren offenbar fertig mit dem Filmen und Persoanlienaufnehmen. Nun war noch ein dritter dabei. Sie gingen direkt zu Nikulin und Potarskij und sagten, sie nähmen sie jetzt mit. Sie sollten gleich ihre Klamotten mit einpacken.

Sie hatten Gepäck dabei?
Sie hatten ihre Rucksäcke, in denen sich auch ein Stapel der aktuellen Ausgabe von Moloko Plus befand.

Die hatten sie zuvor schon ausgepackt und auf einen Tisch gelegt. Nun ordnete die Polizei sie an, die Ausgaben gleich mitzunehmen. Ich fragte die Polizisten, was der Grund für diese Ingewahrsamnahme sei.

Doch der Polizist verweigerte mir die Antwort mit der Begründung, ich sei eine unbeteiligte dritte Person, er müsse mir keine Auskunft erteilen. Dabei stand Nikulin direkt neben mir. Er hörte das natürlich und wollte nun seinerseits wissen, was der Grund sei. Der Polizist sagte, das werde er auf dem Weg zur Milizstation erfahren.

War es eine besondere Einheit der Polizei?
Die beiden ersten haben sich als Mitarbeiter der Abteilung Innere Angelegenheiten des Sowjet-Bezirks von Minsk vorgestellt, das ist der Bezirk, in dem unser Gebäude liegt. Wer der dritte Mann war, hab ich nicht erfahren. Er hat nichts gesagt. Sie haben Nikulin und Potarskij mitgenommen und etwa drei Stunden auf der Milizstation behalten. Die Veranstaltung mussten wir inzwischen natürlich absagen. Wir haben uns bei den Besuchern entschuldigt.

Haben Sie denn auch den Grund angegeben?
Natürlich. Gleich als die Polizei aufgetaucht ist, haben wir in sozialen Medien geschrieben: »Liebe Freunde, bitte bringt eure Pässe, es scheint, als ob ihr sie heute brauchen werdet.« Dann haben wir sofort vermeldet, dass Nikulin und Potarskij ohne Nennung von Gründen in Gewahrsam genommenwurden. Wir bekamen auch direkt Anfragen von der Presse.

Haben die beiden denn wenigstens auf der Milizstation den Grund ihrer Ingewahrsamnahme erfahren?
Nikulin und Potarskij haben uns im Voraus darauf hingewiesen, dass sie in Russland Präsentationen des Almanach hatten absagen müssen. Die Polizei tauchte auf und zog die Ausgaben des Almanach ein, um sie auf extremistische Inhalte zu überprüfen.

Was bedeutet das?
Soweit ich weiß, gibt es in Russland eine Liste aufgrund extremistischer Inhalte verbotener Publikationen. Moloko Plus steht aber gar nicht auf dieser Liste. Ich weiß nicht, wie oft das in Russland passiert, aber in Belarus ist es möglich, eine Publikation aufgrund des Verdachts auf extremistische Inhalte einzuziehen. Und das war dann, wie wir später erfahren haben, auch der Grund, warum die beiden auf die Wache genommen wurden. Man sagte ihnen, der Alamanach werde auf extremistischen Inhalt überprüft. Sämtliche Exemplare, die sie aus Russland mitgebracht haben, wurden eingezogen.

Wie viele hatten sie dabei?
Ich denke, etwa 20 Exemplare. Vielleicht waren es auch mehr.

Vermuten Sie eine Kooperation zwischen den russischen und belarussischen Behörden?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe tatsächlich keine Ahnung, warum sie da waren.

Hatten Sie eine Chance, eine Ausgabe des Almanach anzusehen?
Ich bin gar nicht dazu gekommen. Ich hatte vorher nur Beiträge über Moloko Plus, darunter ein Interview in Nowaja Gaseta, der besten und kritischsten investigativen Zeitung in Russland. Ich war vor der Veranstaltung leider zu beschäftigt.
Wird in Belarus dieser Verdacht auf extremistische Inhalte von den Behörden oft benutzt, um Veranstaltungen auf diese Weise zu verhindern?
Das passiert schon gelegentlich. Bei uns war es das erste Mal.