Journalisten im Visier der Geheimdienste

Der Spion in der Redaktion

Die deutschen Geheimdienste sollen künftig Computer und Handys von Journalisten hacken dürfen. Ein Kernelement der Pressefreiheit ist damit in Gefahr: das Redaktionsgeheimnis.

Chats mitlesen, E-Mails durchsuchen oder Telefongespräche abhören – spezielle Programme, sogenannte Trojaner, ermöglichen es, die Kommunikation einzelner Personen gezielt zu überwachen und auszuwerten. Auch Journalistinnen und Journalisten sollen nun das Ziel von staatlichen Trojanern werden. Die Polizei darf diese in Deutschland bereits einsetzen. Im Rahmen der neuen Polizeiaufgabengesetze der Länder kann sie das zum Teil sogar schon präventiv tun. Mit einem neuen Gesetz will nun das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) weiteren Organen das Recht auszuspähen einräumen: Künftig sollen auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Bundesnachrichtendienst (BND) Personen mit technischen Mitteln überwachen dürfen. Der Verfassungsschutz soll gemäß dem Gesetzentwurf »Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts« das Recht zur Online-Durchsuchung von Computern erhalten. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) befürchtet, dass damit ein Kernelement der Pressefreiheit, nämlich das Redaktionsgeheimnis, wegfallen würde. Während es verboten bliebe, mit einer Redaktionsdurchsuchung die Identität journalistischer Quellen zu erfahren, könnte dies mit einer Online-Durchsuchung digital ­erreicht werden.

Eine Einschränkung der Presse­freiheit ist immer auch eine Schwächung demokratischer Prinzipien.

»Der Verfassungsschutz hat kein Betretungsrecht für Wohnungen oder Redaktionsräume. Das neue Gesetz möchte das umgehen, indem es Durchsuchungen eben virtuell ermöglicht«, sagt auch Martina Renner von der Linkspartei der Jungle World. Sie ist Mitglied des Innenausschusses im Bundestag und beobachtet bereits ein ähnliches Vorgehen der Behörden: »Der BND überwacht ja schon jetzt Journalisten im Ausland. Und auch die Polizei tut das im Inland. Wir gehen davon aus, dass auch jetzt schon dem Verfassungsschutz Amtshilfe geleistet wird. Das wäre natürlich ein Verstoß gegen das Trennungsgebot für Polizei und Geheimdienste.« Wie eine Recherche des Spiegel im Februar 2017 belegte, überwacht der BND seit 1999 weltweit zahlreiche Medien. Der Auslandsgeheimdienst hatte mindestens 50 Telefon- und Faxnummern oder E-Mail-­Adressen von ausländischen Journalisten oder Redaktionen in seiner Überwachungsliste geführt.

Bei einem digitalen Angriff auf eine Redaktion oder einen freien Journalisten würde auf Computern oder Smartphones ein Trojaner installiert. Dieser sendet dann auf dem Gerät gespeicherte Daten an den Verfassungsschutz. Bereits 2017 wurde unter dem damaligen Justizminister Heiko Maas (SPD) die Online-Durchsuchung für die Strafverfolgung zugelassen. Das neue Gesetz soll es den Ermittlungsbehörden ermöglichen, die verschlüsselte Kommunikation, beispielsweise über Messenger-Dienste wie Whatsapp, im Zuge der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) zu entschlüsseln oder in einer Online-Durchsuchung auszulesen. Hierzu wird eine Schadsoftware auf das Gerät geladen. Verfügte bislang nur das Bundeskriminalamt über diese Befugnisse, um schwere Straftaten zu verfolgen, soll die Polizei den Trojaner in Zukunft auch für die Ermittlung in Fällen von Alltagskriminalität einsetzen können. Neu ist bei dem Gesetzentwurf aber vor allem das Recht des Verfassungsschutzes, sich in Netzwerke zu hacken, und dass eine richterlichen Anordnung für eine Telekommunikationsüberwachung nicht mehr notwendig ist.

»Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf. Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges.« Horst Seehofer

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Eva Högl warnt davor, dem Verfassungsschutz Rechte zum Ausspähen von Journalisten einzuräumen. Ihre Fraktion hat Anfang Juni ein »Aktionsprogramm für freie und unabhängige Medien« aufgesetzt: »Unsere Demokratie lebt von einer gut funktionierenden Pressearbeit, von starken und unabhängigen Medien. Journalistinnen und Journalisten berichten uns immer wieder, wie sehr sie zum Beispiel durch Pegida-Demonstranten oder Mitglieder der AfD bedrängt werden, und das nicht nur verbal. Dabei muss Presse ohne Beeinträchtigung berichten und recherchieren können«, sagt Högl. Den Referentenentwurf aus dem Innenministerium sieht sie entsprechend kritisch. »Mit der SPD wird es keine Ausweitung der Kompetenzen für den Verfassungsschutz geben, ohne dass gleichzeitig die parlamentarische Kontrolle gestärkt wird«, sagte Högl der Jungle World. Wie diese Kontrolle allerdings aussehen soll, ist dem Entwurf des Innenministeriums nicht zu entnehmen.

Gerade wenn es um Transparenz und Kontrolle geht, sieht Renner Probleme: »Das neue Gesetz sieht vor, dass die sogenannte G-10-Kommission prüfen soll, ob durchsucht wird. Im Ergebnis gibt es also keine richterliche Überprüfung der Maßnahme, sondern eine im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbare Entscheidung eines geheim ­tagenden Gremiums. Die geheimdienstliche Kontrolle funktioniert nicht, weil in der Kommission Abgeordnete aufgrund einer Tischvorlage die Wünsche der Geheimdienste mehrheitlich abnicken.« Renners Anfrage, ob die deutschen Geheimdienste Geräte wie den digitalen Sprachassistenten »Alexa« als Abhörvorrichtung verwenden können, beantwortete die Bundesregierung unter Verweis auf das »Staatswohl« nicht. Auch als Verschlusssache könnten die Informationen nicht herausgegeben werden, hieß es. Es bestehe die Gefahr, dass die Nachrichtendienste die Fähigkeit zur Nutzung der Abhörmöglichkeit verlieren, wenn diese bekannt würden. Dann wäre »kein Ersatz durch andere Instrumente möglich«. Die niedrigste Stufe der Geheimhaltung ist die Verschlusssache – so kategorisierte Dokumente sind einer bestimmten Personengruppe »für den Dienstgebrauch« für gewöhnlich zugänglich.

Horst Seehofer sagte Ende Mai, er wolle mit dem Gesetz »Terrorismus und Extremismus bekämpfen, nicht aber Medien oder Journalisten«. Ob das Ministerium seinen Entwurf noch einmal überarbeitet, bleibt offen. In der ARD erläuterte Seehofer seine Strategie. Über das Datenaustauschgesetz, das im Rahmen des Migrationspaktes beschlossen wurde, sagte er, er habe es »ganz stillschweigend eingebracht«. Stillschweigend, »weil es kompliziert ist, das erregt nicht so«. Er habe die Erfahrung gemacht: »Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf. Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges.«

Im Gespräch mit der Jungle World hofft Eva Högl auf einen schlechten Scherz: »Ich vermute, dass er witzig sein wollte. Aber ein Bundesinnenminister darf sich so natürlich nicht äußern, denn er diskreditiert damit die parlamentarische Arbeit. Deshalb hat seine Äußerung geschadet.«

Eine Einschränkung der Pressefreiheit ist immer auch eine Schwächung demokratischer Prinzipien. Im Grundgesetz ist die Pressefreiheit in Artikel 5 gemeinsam mit der Freiheit der Berichterstattung garantiert. Doch Einschränkungen der Pressefreiheit sind nicht nur ein Problem autokratisch geführter Länder (siehe Seite 3). Auch wenn rechtsstaatliche Grenzen der Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und Politikern umgangen oder abgeschafft werden, gerät die Pressefreiheit unter Druck. Noch gibt es in Deutschland zwar keine systematische, durchaus aber punktuelle Einschränkungen der Pressefreiheit. So wurde bei der Berichterstattung zum G20-Gipfel in Hamburg Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen. Der Quellenschutz wurde eingeschränkt und es gab Angriffe rechter Parteien und Personen auf Journalistinnen und Journalisten. Bei den rechtsextremen Demonstrationen in Chemnitz im Sommer 2018 schlugen Protestierende filmenden Journalisten wiederholt gegen das Handy oder die Kamera oder beleidigten sie mit Vorwürfen wie »Lügenpresse«.

Der Görlitzer Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla (AfD) will eine »schwarze Liste« mit den Namen von »unseriösen« Journalisten erstellen, wie er Anfang des Jahres in einem Brief an die Mitglieder seines Kreisverbands ankündigte. Seine Parteifreunde fordert er auf, ihm »Hintergrundinformationen über als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten« zu liefern, berichtete die Sächsische Zeitung.