Reissues der Platten der Buzzcocks

Summende Schwänze

Als Punk und Pop kollidierten: »Singles Going Steady« und »A Different Kind of Tension« von den Buzzcocks werden zu ihrem 40. Jubiläum wiederveröffentlicht.

Waren Sie schonmal unglücklich verliebt? Klar, wer war das noch nicht. Und was hilft am besten, wenn der Angebetete sich nicht meldet, in jemand anderen verliebt ist oder sogar schon klargemacht hat, dass es keine gemeinsame Zukunft geben wird? Richtig, man hört Musik. Die Popmusik hat sich (auch wenn sich das derzeit verändert) immer zu allererst mit der Liebe in all ihren Facetten ­beschäftigt. Und weil es im akuten Zustand des Liebeskummers nichts Besseres gibt, als von unerwarteter Seite Verständnis zu erfahren, sind die Lieder über die unerfüllt gebliebene Liebe auch diejenigen, an die man sich am besten erinnert. Eins von ihnen trägt das Dilemma schon im Titel: »Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldn’t’ve)« der britischen Buzzcocks, ein Herzschmerz-Evergreen.

Pete Shelley führte als Sänger der Buzzcocks ein Thema in den Punk ein, das bis dahin sträflichst vernachlässigt worden war: die Liebe.

Die Buzzcocks gründeten sich 1976 wie anscheinend fast jede britische Punkband, nachdem sie ein Konzert der Sex Pistols gesehen hatten. »Während ich mir die Sex Pistols ansehe, spüre ich zum ersten Mal keine Barriere mehr zwischen mir und der Band. Ideen, die ich seit Jahren im Kopf habe, drängen nach vorn«, schrieb Viv Albertine, die Gitarristin der Slits, einmal über ihre erste ­Begegnung mit der Band. Pete Shelley, der Sänger der Buzzcocks, hatte zu dem Zeitpunkt seine ersten Gehversuche als Musiker schon hinter sich. »Sky Yen« hieß sein erstes Stück Musik, das er 1974 aufgenommen hatte. Die fast 40 Minuten völlig ohne Melodie auskommenden Geräusche spielte er zu Hause mit einem selbstgebauten Oszillator ein. Musik wie die der frühen Kraftwerk oder Cluster dürften dabei Pate gestanden ­haben. Sechs Jahre blieb »Sky Yen« unter Verschluss, erst 1980, kurz ­bevor sich die Buzzcocks auflösten und Shelley eine Solokarriere anstrebte, erschien das Album zum ersten Mal. Mit dem, was er in der ­Zwischenzeit machte, hatte dieser elektronische Lärm eh nichts gemein. Die Sex Pistols dürften einen entscheidenden Einfluss darauf ­gehabt haben, dass Shelley sich für ein paar Jahre nicht mit elektronischer Musik beschäftigte. Doch einfach so rüpelig wie bei Johnny Rotten und Sid Vicious ging es bei den Buzzcocks dann nicht weiter.

Doch 1977 ging zunächst alles seinen klassischen Gang: Die EP »Spiral Scratch« wurde aufgenommen ­(übrigens die erste selbstproduzierte und ohne Vertrag mit einem Label erschienene Punkplatte Großbritanniens), die Themen darauf die gängigen: Unzufriedenheit, Langeweile, Wahnsinn, eine rohe Absage an die Welt, die so klingt, als sei sie in einem dreckigen Keller aufgenommen ­worden. Shelley spielt hier nur Gitarre, Howard Devoto singt, der spätere Kopf der Post-Punk-Band Magazine, für die er die Buzzcocks im selben Jahr wieder verließ.

Weiter ging es mit Shelley als Sänger, und im Jahr 1978 nahm die Band sogar gleich zwei Alben auf. Das Debüt, »Another Music in a Different Kitchen« erschien im März, im September folgte »Love Bites«. Vor allem »Another Music in a ­Different Kitchen« lebt stark von ­einem fulminanten Sound und schnellen Gitarren, wie man sie bei den damaligen Zeitgenossen beispielsweise von The Damned fand, typischer Punk direkt im Anschluss an das Jahr 1977. Aber auch nicht komplett typisch: Der letzte Song »Moving Away from the Pulsebeat« beispielsweise dauert über sieben Minuten, und nach einer kurzen Unterbrechung ertönt ein Hidden Track, für den Shelley wohl seine alten Geräte herausgekramt hat, denn tatsächlich ertönt dort, etwas deplaziert, aber dennoch nicht unpassend, ein Oszillator.

Will man tatsächlich einen musikalischen Unterschied zwischen den Bezeichnungen Punk und New Wave machen, bei dem Punk für den ­rohen Sound steht und New Wave die Öffnung zum Pop vollzieht, wird man bei den Buzzcocks nicht weiterkommen. Tatsächlich wurden die ­Bezeichnungen in den späten Siebzigern ohnehin nahezu synonym ­gebraucht. »Love Bites« mag ein wenig klassischer klingen als sein Vorgänger, aber auch »Another Music in a Different Kitchen« steckte voller Spielereien und gleichzeitig voller poppiger Riffs. Vielleicht sind beide Genrebezeichnungen etwas unpassend und man greift lieber auf den Begriff Power Pop zurück, um die Band zu charakterisieren, denn in ihm schwingen auch die Traditionen mit, denen sich die Buzzcocks ­verpflichtet fühlten, allen voran die ­Musik der Mods, die übrigens wie ­Power Pop nicht einfach »poppig« klang, weil man sich damit die größeren Karrierechancen ausrechnete, sondern weil man Lust auf ­genau diesen Sound hatte. Beide Alben wurden bereits im Januar wiederver­öffentlicht.

Diesen Monat folgen das Studio­album »A Different Kind of Tension« von 1979 und die Compilation ­»Singles Going Steady« aus demselben Jahr. Tatsächlich sollte diese ­Zusammenstellung die Band in den USA bekannter machen, wird aber als eigenständiges Album geführt. Es versammelte die bisher veröffentlichten Singles der Band, auf der A-Seite der Platte die jeweiligen A-Seiten der Singles, auf der anderen dann die B-Seiten, die meisten von ihnen ­waren nicht auf einem der drei ­damals bisher erschienenen regulären Studioalben enthalten. So ist der erste Song »Orgasm Addict«, eine schrille Persiflage auf einen Mann, der sich selbst zu Tode masturbiert, nicht nur noch aus dem Jahr 1977, sondern sogar noch mit der Originalbesetzung, also mit Sänger Howard Devoto eingespielt worden. Das zweite Lied »What Do I Get?«, diesmal bereits mit Shelley am Mikrofon, zeigt, dass dieser durch und durch ein Songwriter ist. Shelley, der eigentlich Peter Campbell McNeish heißt, hatte sich für seinen Bühnennamen von dem romantischen Dichter Percy Bysshe Shelley inspirieren lassen, der nicht nur von Karl Marx, sondern auch von Oscar Wilde bewundert wurde. Ähnlich radikal, wie es der Dichter Shelley in seiner Zeit war, war es auch der Musiker Shelley, er führte nämlich ein Thema in den Punk ein, das bis dahin sträflichst vernachlässigt worden war: die Liebe.

Auf »I Don’t Mind« misstraut Shelley seinen eigenen Gefühlen für eine andere Person, auf »Everybody’s Happy Nowadays« wird aus der Zeile »Life’s an illusion / Love is a dream« im Zuge des Liedes »Life’s an illusion / Love is the dream« und »What Do I Get?« ist eine rhetorische Frage, die Shelley nach jeder Zeile stellt, in ­denen er beispielsweise nur »wie jeder andere« einen Liebhaber oder ­jemanden will, »der bis zum Ende bleibt«. In der für ihn typischen ­Manier, die Wörter beim Singen langzuziehen, beantwortet er dann doch noch, was er bekommt, nämlich nur schlaflose Nächte in seinem halb­leeren Bett. Schöner als bei »What Do I Get?« wurde Larmoyanz wohl nur selten dargeboten.

Unglücklich verliebt ist der Erzähler im Text von »Ever Fallen in Love«, allerdings nicht in eine Frau, sondern in einen Mann. Das Lied, dessen Titel Shelley im Filmmusical »Guys and Dolls« aufschnappte, verzichtet auf ein Personalpronomen und spricht die geliebte Person ­konsequent mit »you« an, wie in der nachträglich abgeschwächten ursprünglichen Eröffnungszeile »You piss on my natural emotion«. Shelley war bisexuell und versuchte mit voller Absicht, all seine Texte geschlechtsneutral zu verfassen. »Die Songs, die ich schreibe, schreibe ich nicht für ein bestimmtes Geschlecht. Ich denke, damit erreiche ich mehr Menschen«, sagte er 2009. Ein großer Skandal war diese sexuelle ­Orientierung bei den Punks in Großbritannien nicht, die eh weniger mit Sex am Hut hatten als die verhassten Hippies. Sich beispielsweise Sex Pistols zu nennen war durchaus nur als Provokation gemeint: Im Film »Sid und Nancy« werden dem ­Sänger Johnny Rotten sogar die Worte »Sex is dumb, boring hippie stuff« in den Mund gelegt. Bei Pitchfork wird völlig zurecht konstatiert, dass »Singles Going Steady« ein Dokument jener Jahre ist, als Punk und Pop miteinander kollidierten.

Der letzte Song von »A Different Kind of Tension«, dem letzten Studioalbum, bevor sich die Buzzcocks zum ersten Mal auflösten, das sieben Minuten dauernde »I Believe«, schwankt zwischen Bekenntnis und Resignation. Shelley zählt hier endlos die Dinge auf, an die er glaubt, was durchaus hegelmarxistisch klingt (»I believe in the worker’s revolution« und später dann »And I believe in the absolute truth«). Doch Glauben, das reicht weder zum Leben noch zum Musizieren aus. Shelley gibt auf, sein Glaubensbekenntnis vermischt sich mit der von ihm wie ein Mantra vorgetragenen Zeile »There is no love in this world anymore«, während das, woran er glaubt – erst wichtige und große Dinge – nahezu kindlich konterkariert wird (»And I believe in my mum and my dad«). Glauben hilft nicht, Liebe gibt es nicht mehr: Punk ist vorbei. Und so schließt auch das Album, nämlich mit einem kurzen Stück, auf dem ein knarzendes Radio zu hören ist, aus dem ein blechernes »Everbody’s Happy Nowadays« erklingt, bis es ausgeschaltet wird. »I Believe« ist sozusagen das Abschiedslied der Jahre 1977 bis 1979. 1981 machte Shelley alleine weiter, ging nun noch offensiver mit seiner Sexualität um und veröffentlichte den überhaupt nicht nach Punk klingenden Hit »Homosapien«, eine gleichnamige Platte folgte. Der homoerotische Song wurde prompt von der BBC boykottiert, wie es auch schon zu Zeiten der Buzzcocks passiert war. In den Neunzigern vereinigten sich diese wieder, nahmen in der Folge sechs Alben auf, die alle auf wenig bis gar keine Resonanz stießen. 63jährig verstarb Shelley im vergangenen Jahr an einem Herz­infarkt.

Die Buzzcocks: was für ein obszöner Bandname! Summende Schwänze? So häufig es bei ihnen immer um Liebe ging, so erotisch aufgeladen ging es auch zu, was selbstverständlich nicht im Widerspruch zueinander steht. Dass Sentiment und Libido Hand in Hand gehen, dafür sind die Buzzcocks, trotz oder sogar wegen ihres unzüchtigen und dabei witzigen Namens, das beste Beispiel.

Buzzcocks: Singles Going Steady/A Different Kind of Tension (Domino Records)