Mit Mort Garson das Gras wachsen hören

Soundtrack fürs Gärtnern

Mort Garson, ein Pionier der elektronischen Musik, veröffentlichte 1976 eine Platte nicht für Menschen, sondern für Pflanzen. Jetzt wird das Album wieder aufgelegt.

Eine »grüne Welle« überspült derzeit alles. Das zeigen nicht nur die Ergebnisse der jüngsten Europa- und Landtagswahlenwahl. In Frankreich gibt es mittlerweile die Bewegung der gilets verts, in Anlehnung an die Gelbwesten. Auch vor dem eigenen Zuhause macht die grüne Welle nicht halt: Die Heimgärtnerei ist äußerst beliebt. Wenn man Instagram-Accounts und Memes glauben darf, dann sind Hauspflanzen und virtuos gepflegte Balkone für auch ein neobürgerliches Betätigungsfeld und Ablenkung von Alltag und Sorgen. So kommen Millennials und Thirty­somethings zusammen, um sich gleich der sagenhaften babylonischen Königin Semiramis ihren Daumen erst erdig und dann grün zu machen.

Selbstverständlich ist das kein neues Phänomen, gerade die Deutschen lieben ihren heimischen Garten hinterm Häusle seit Generationen. Diese Neigung verbindet bundesdeutsche Gartenenthusiasten mit modernen New-Age-Hippies in aller Welt. Und diese Liebe zum ­Garten verbindet die neumodischen Hippies wiederum mit ihren Vorgängern: Nicht ohne Grund sprach man von Flower Power. In Los An­geles ging man zumindest früher unter anderem in den Gartenbedarfs- und Blumenladen »Mother Earth«. Einer seiner treuen Kunden war der Musiker Mort Garson – ein besonderer Kauz, dessen Kompositionen derzeit wiederentdeckt werden.

Immer mehr Menschen glaubten, dass Garsons Platte eine positive Wirkung auf ihre Pflanzen habe, was zu Bieterschlachten im Internet um die etwa 50 verbliebenen Exemplare führte.

Als Kind ausgewanderter jüdischer Russen kam Morton »Mort« Garson 1924 in Kanada zur Welt. Seine Eltern waren, wie zwei Millionen anderer Juden, irgendwann zwischen 1880 und 1920 in die USA, genauer nach Brooklyn, emigriert. Von da aus ging es später in den »Great White North«.

Mit 19 zog es Garson nach New York. Ein Studium am weltbekannten Konservatorium Juilliard School of Music wollte der musisch talentierte junge Mann beginnen, doch schon nach kurzer Zeit wurde er im Zweiten Weltkrieg zur Armee eingezogen. Nach Kriegsende ging es zurück und Garson entschied sich, Studio- und Sessionmusiker zu werden. Schnell folgten Aufträge für Kompositionen. Die Musikdatenbank Discogs verzeichnet die beachtliche Zahl von 809 Writing- und Arrangement-Credits für Garson. Sein seinerzeit größter Hit war das 1960 erschienene Stück »Our Day Will Come« von Ruby & The Romantics. Eine Weissagung besonderer Art, denn Garsons Tag sollte tatsächlich noch kommen.

Vorher zog es ihn von der Ost- an die Westküste der USA. Er kaufte ein Haus in Beverly Hills, denn in Kalifornien wurde zu der Zeit eine Vielzahl an Soundtracks produziert. In der Garson gewidmeten Folge des kanadischen Podcast »Imposter« erzählt seine Tochter von seiner lässigen Exzentrik, die sich auch mal in einem frühmorgendlichen Autokauf im Pyjama äußern konnte. Und davon, dass ihn der Blick in den ­heimischen Garten besonders glücklich machte. Er schrieb und komponierte gleichwohl immer weiter, sein Ansehen in der Musikindustrie wuchs stetig. Doch gedanklich eroberte er längst ganz andere Felder; solche, die mit herkömmlichen Instrumenten nicht mehr zu erreichen waren. Ein Glück, dass Garson Robert Moog, den Erfinder des gleichnamigen Synthesizers, Mitte der Sechziger kennenlernte. Die Freundschaft bescherte Garson einen Austausch von neuer Qualität: Es ging um neue Sounds. Moog schenkte ihm bald ­eines seiner Instrumente. Im Gegensatz zu einem Klavier klang es nicht nach Hunderten Jahren Musikgeschichte, sondern nach Zukunft. Stundenlang soll Garson täglich vor dem neuen Gerät gesessen haben. Neben Auftragsarbeiten kümmerte er sich um eigene Werke. Bis dahin hatte Garson für klassische Mainstream-Produktionen gearbeitet, fortan brachte er eigentümlich klingende Alben heraus, die den ganzen Reichtum der Möglichkeiten des Moog-Synthesizers ausreizten.

1968 erschien mit »The Wozard of Iz« eine Parodie auf »The Wizard of Oz«, eine psychedelische Bearbeitung der bekannten Lieder aus dem Musical, in dem Judy Garland 1939 die Hauptrolle gespielt hatte. Statt in Oz spielten Garsons Stücke in der Hippiezeit der Sechziger. Ein Jahr später kamen zwölf Platten über jedes einzelne der Tierkreiszeichen der Astrologie dazu (»Signs of the Zodiac«), im selben Jahr außerdem die »Electronic Hair Pieces«, ebenfalls eine experimentelle, fast schon wahn­witzige Neubearbeitung eines Musicals.

Da er zugleich gute Beziehungen zu TV-Produzenten der Zeit pflegte, für die er weiter Jingles komponierte und auch mehrfach kleine Orchester ­dirigierte, fiel sein Name, als es um die musikalische Untermalung der ersten Mondlandung ging. So hörten am 20. Juli vor 50 Jahren etwa 100 Millionen Menschen in den USA die Synthesizer-Klänge Garsons, während sie die Bilder von Neil Armstrong und Buzz Aldrin sahen, die den Trabanten betraten und damit einen Menschheitstraum verwirklichten.

Der Meister und ein Mitmusiker am Moog-Synthesizer

Bild:
1971 Shutterstock

Mit 45 Jahren hätte Garson zu dem Zeitpunkt in den Ruhestand treten können, doch waren seine Sound-Exkursionen noch lange nicht abgeschlossen. Und so entstand über die Jahre mit »Mother Earth’s Plantasia« sein wohl aufsehener­regendstes Werk. Dessen zehn am Moog-Synthesizer entstandenen Songs mit so illustren Namen wie »Swingin‘ Spathiphyllums« oder »Concerto for Philodendron & Pothos« sind akustische Kleinodien. Auf Vinyl gepresst dienten sie als eine Beigabe für die Kunden von »Mother Earth«, jenes Gärtnereigeschäfts und Blumenladens in Los Angeles.

Der Untertitel der Platte ist: »Warm music for plants and the people who love them«. Hauptadressat der Klänge waren tatsächlich weniger die menschlichen Kunden als ihre grünen Hausgenossen. Das 1973 ­erschienene Buch »The Secret Life of Plants« von Peter Tompkins und Christopher Bird, das schnell zum Renner wurde, beschreibt in bester pseudowissenschaftlicher Art und Weise, wie Pflanzen miteinander kommunizieren, wie sie die Gefühle der Menschen lesen, wie sie diese manipulieren – und auch von musikalischen Vorlieben ist die Rede. Ob Garson dies glaubte, ist unbekannt – das Buch kannte er allerdings.

Bei Garsons durchgehend beruhigenden Songs zwischen orchestral-synthetischem Anspruch und pittoresker Einfachheit dürfte es sich um die bekannteste Platte für Pflanzen handeln. So glaubten seit 2013 – in dem Jahr wurde die Platte erstmalig auf Youtube hochgeladen – offenbar immer mehr Menschen, dass die Musik eine positive Wirkung auf ihre Pflanzen habe, was zu Bieterschlachten im Internet um die etwa 50 verbliebenen Exemplare, zu zwei miserablen Bootlegs und einem Hype um den leider 2008 verstor­benen Mort Garson führte. Dieser Tage erschien bei Sacred Bones die erste offizielle Nachpressung. Dazu fand am 18. Juni in den Botanischen Gärten in Brooklyn eine »Plantasia«-Veranstaltung statt, bei der es nicht nur die Platte zu hören gab, sondern auch ein Workshop zu Moog-Synthesizern abgehalten wurde. Über eine Fundraising-Seite wird außerdem Geld für eine Dokumentation über Garson gesammelt.

Doch auch weiterhin stellt sich die Frage, ob die zehn Stücke wirklich Hauspflanzen glücklich machen. Für Skeptiker bleibt festzuhalten: »Plantasia« ist auf jeden Fall der beste Soundtrack zum Umtopfen, Düngen und Gießen.

Mort Garson: Mother Earth’s Plantasia (Sacred Bones)