Skandalöse Arbeitsbedingungen auf israelischen Baustellen

Pfusch am Bau

Israel gilt als innovative und moderne Start-up-Nation. Doch im Bau­sektor sind die Arbeitsbedingungen seit Jahrzehnten äußerst gefährlich.

Meldungen über tödliche Arbeitsunfälle erscheinen in der israelischen Pres­se fast wöchentlich. Unter allen OECD-Ländern kommt es nur in Zypern und Portugal zu mehr tödlichen Unfällen auf Baustellen. In diesem Jahr ist die Situation besonders dramatisch. Einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Kav LaOved (Arbeiterhotline) zufolge ist im ersten Halbjahr die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gestiegen. Auf Grundlage von Daten der Hilfsorganisation Magen David Adom, die in staatlichem Auftrag für Krankentransporte und Notfallrettung verantwortlich ist, und der israelischen Polizei vermeldete Kav LaOved für diesen Zeitraum insgesamt 195 Arbeitsunfälle. 164 Arbeiterinnen und Arbeiter wurden dabei verletzt.

Etwa 60 Prozent der schweren Arbeitsunfälle ereignen sich im Bausektor, in dem nur acht Prozent der Lohnabhängigen tätig sind. Die übrigen Unfälle fallen in den Handels- und Dienstleistungssektor. Insgesamt kamen im ersten Halbjahr 2019 43 Personen bei Arbeitsunfälle ums Leben. Das Problem betrifft nicht nur Palästinenser aus der Westbank und ausländische Bauarbeiter, sondern auch israelische Araber und israelische Juden. Im zweiten Halbjahr scheint sich die Situation nicht zu verbessern. Der Zeitung Times of Israel zufolge lag die Zahl der Toten Anfang August bereits bei 51.

Ähnlich wie in den Jahren zuvor wurden im ersten Halbjahr 2019 etwa zwei Drittel der schweren Unfälle auf Baustellen durch Abstürze oder fallende Gegenstände verursacht. In Yavneh im Landeszentrum starben Mitte Mai vier Bauarbeiter, weil ein Kran zusammenbrach. Dass wie in diesem Fall die Polizei Ermittlungen aufnimmt, ist die Ausnahme. Der offiziellen Polizeistatistik zufolge wurden zwischen 2016 und 2018 bei nur knapp einem Viertel der insgesamt 850 registrierten schweren Arbeitsunfälle polizeiliche Ermittlungen eingeleitet. Zwischen 2011 und 2015 waren die Zahlen ähnlich.

»Die Polizei scheint zu glauben, dass Arbeitsunfälle Schicksal oder von den Verletzten und Toten selbst zu verantworten seien«, klagte Gadeer Nicola von Kav LaOved Mitte Juni in der Tageszeitung Haaretz. Polizeiliche Ermittlungen seien jedoch entscheidend, um darauf hinzuwirken, dass Arbeitgeber und Auftragnehmer in Sicherheitsmaßnahmen für ihre Arbeiter investierten, so Nicola. Das weitgehende Ausbleiben von Ermittlungen stelle ein »enormes Versäumnis der Behörden« dar. Zwar sei Ende 2018 eine eigene Polizeieinheit für Ermittlungen bei Arbeitsunfällen gegründet worden, doch habe diese nur in äußerst wenigen Todesfällen überhaupt angefangen zu ermitteln, meldete Haaretz.