Der »Islamische Staat« in Syrien

»Der IS lebt noch«

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Interview Von

Sind diejenigen, die vor dem IS geflohen sind, von den geflohenen ­IS-Kämpfern getrennt?
Nur die ausländischen IS-Kämpfer sind vom Rest getrennt. Da sind auch viele Deutsche dabei und sehr viele Russen. Insgesamt sind etwa 10 000 Menschen im Annex. Im restlichen Lager sind vor allem die Familien syrischer IS-Kämpfer. Viele von denen sagen aber einfach nicht offen, sie seien vom IS. Deshalb ist die Zahl der IS-Leute schwer zu schätzen. Mir sagte man, es seien zwischen 20 000 bis 30 000 IS-Sympathisanten im gesamten Lager.

Welchen Eindruck hat das Camp auf Sie gemacht, als Sie im Rahmen Ihrer Arbeit dort waren?
Al-Hul ist das allerbeste Beispiel für ein Flüchtlingslager, bei dem man von Anfang an sehen konnte: Das endet nicht gut. Zum Beispiel gibt es dort eine Camp-Polizei, die personell viel zu schwach ist. Sie kontrolliert lediglich die Ausgänge und macht Patrouillen entlang der Hauptwege. Im täglichen Leben sind die Menschen im Camp weitgehend sich selbst überlassen. Sie organisieren sich selbst in ihren Zeltgemeinschaften. Was aber in al-Hul als Erstes auffällt: Es gibt wirklich keine einzige Frau, die nicht vollverschleiert ist. Alle tragen Niqab oder sogar Burka, sogar Kinder schätzungsweise ab dem Alter von sechs, sieben Jahren. Das ist ein krasser Kontrast zum restlichen Nordostsyrien, wo man zwar auch mal Vollverschleierte sieht, aber das ist eine Minderheit. Im Camp sind alle Frauen durchweg verschleiert. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass viele Frauen, die vor dem IS geflohen sind, wahrscheinlich vorher noch nicht vollverschleiert waren.

Das heißt, es herrscht eine Art IS-Regime innerhalb des Camps?
Ja, auf jeden Fall. Die IS-Mitglieder können so viel sozialen Druck aufbauen, dass die Leute sich nach ihren Regeln richten. Auch laufen kleine Kinder herum, die nicht zur Schule gehen, weil die IS-Leute es verbieten. Und wenn man sich mit ihnen unterhält und fragt: »Habt ihr denn Brettspiele oder so etwas?«, dann heißt es: »Nein, dürfen wir nicht.« Das sei haram.

Wie effektiv ist die Trennung der 10 000 internationalen IS-Kämpfer vom Rest?
Sie werden schon getrennt, sie dürfen nur raus in Begleitung der Camp-Po­lizei, wenn sie zum Beispiel zum Arzt müssen. Im Camp selbst gibt es Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen.

Mit welchem Ziel wurden die in­ternationalen IS-Kämpfer dort interniert?
Mir wurde immer wieder gesagt, man hoffe darauf, dass irgendwann ein internationales Tribunal dazu eingerichtet werde und die Gefangenen abgeholt würden. So wie es aussieht, wird das wohl nicht passieren. Die Kurden wissen nicht, was sie mit ihnen machen sollen. Keiner will sie haben, rauslassen kann man sie auch nicht. Für die kurdische Selbstverwaltung ist das sehr ungünstig, selbstverständlich auch für Menschen im Camp, also die IS-Leute und vor allem deren Kinder, die auch keine Perspektive haben. Sie sitzen da und wissen, sie kommen da wahrscheinlich so schnell nicht mehr raus. Es sei denn, sie werden befreit oder fliehen.