Die Band Kreidler spricht über den Klimawandel

Wellenreiten für die Ohren

Die deutsche Electronica-Band Kreidler spielt auf ihrem neuen Album mit Metaphern der Flut und macht dabei klare politische Aussagen.

Es passiert schnell, dass man beim Anhören des neuen Albums von Kreidler, »Flood«, ins Schwelgen kommt. Es klingt nach einem heißen Tag am Meer, die Wellen rauschen, man hat einen salzigen Geschmack im Mund, der Ozean rückt langsam näher und umspült die Knöchel: Es ist Flut.

Langsam flimmernde Beats treffen auf zart angeschlagene Bongos, dröhnende Samples wechseln sich mit aufsteigenden Synthesizertönen ab.

Die Band aus Düsseldorf ist seit nunmehr 25 Jahren bekannt für ihren elektronischen Neo-Krautrock, für Post-Rock, feine Industrial-Einflüsse und für vertrackte Electronica, also alles, was in den vergangenen Jahren auch wieder vermehrt Einzug in Clubs gehalten hat. Wer clubtaugliches ­erwartet, ist bei »Flood« aber auf der falschen Fährte oder besser: auf dem falschen Dampfer. Hier geht es nämlich ruhiger zu als auf manchen Vorgängeralben. »A ship of no ports« grüßt es einen von der Innenseite des Covers. Ein Schiff, das nirgends an­legen kann, das klingt nach der »Sea Watch 3«, Frontex, nach Tausenden Toten, nach Flüchtlingszügen auf der ganzen Welt. Oder, wie es nicht nur Rechtsextreme sagen würden: nach »Asylflut« oder »Das Boot ist voll«.

Kommt denn hier die Flut, von der Joachim Witt und Peter Heppner 1998 in ihrem mit Sozialdarwinismus liebäugelnden Lied sangen und damit eine geistig-moralische Wende in der deutschen Popmusik einläuteten, auf die Hörerinnen und Hörer zu? »Klar kennen wir jene Assoziationen. ›Flut‹ hätten wir die Platte bestimmt auch nicht genannt. Uns ging es um die Fluidität der zweiten Seite der LP«, deren fünf Songs mit »Flood I« bis »Flood V« betitelt sind, »um eine Überflutung mit Informa­tionen und Daten, um Wassermassen, die auf Landmassen stoßen – wahrscheinlich in Zukunft immer mehr und immer häufiger«, so Andreas Reihse und Alex Paulick einstimmig. Die beiden wohnen in Berlin, Detlef Weinrich (aka Toulouse Low Trax) und Thomas Klein leben immer noch in Düsseldorf.

Jahrelang haben sich Kreidler nonchalant apolitisch gegeben und das, was sie beschäftigte oder störte, eher implizit als explizit in ihren Songs thematisiert. Das änderte sich beim vorigen Album »European Song«. Reihse und Paulick sahen sich wegen der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA außerstande, die ursprünglich geplanten Aufnahmen zu veröffentlichen, was dazu führte, dass die Platte innerhalb von zwei Tagen neu aufgenommen wurde. Dies hörte man der Musik an: Ein wütendes Werk war entstanden, das an die Anfangstage der Band erinnerte. Als sie sich 1994 gründete (damals mit Stefan Schneider von To Rococo Rot anstelle von Alex Paulick), geschah dies auch als Reaktion auf das aufflammende Nationalbewusstsein in der vergrößerten Bundesrepublik. Gerade erst hatte man mitangesehen, was in Mölln, Hoyerswerda, Lichtenhagen und Solingen passiert war; wie sich Pogromstimmung breitgemacht hatte. Ein Schelm, wer eine ähnliche Stimmung für die Gegenwart konstatiert. Stichwort Politik also: »Slavoj Žižek hat den Wahlsieg von Trump gefeiert, weil er meinte, dass dies endlich Gegenkräfte zum Kapitalismus aktivieren würde. Das ist meines Erachtens mindestens zynisch, wahrscheinlich sogar eine stalinistische Denkweise«, resümiert Reihse im Gespräch über die vorherige Platte. Hingegen erkenne er in »Fridays for Future« eine Bewegung, die so vor Jahren noch unvorstellbar gewesen sei, nämlich eine, die ohne Splittergruppenmentalität Protest auf die Straße und in alle erdenklichen Kanäle bringt.

 

Neben den vier Bandmitgliedern von Kreidler sind auch Gastmusiker auf dem neuen Album zu hören, nämlich der brasilianische Dichter Ricardo Domeneck und die namibische Sängerin Nesindano Namises, auch bekannt als Khoes. Diese gab dem dritten Titel »Nesindano« seinen Namen. In ihm singt sie auf Khoe­khoe, einer im südlichen Afrika verbreiteten Sprache, von und gegen den Neokolonialismus: »Sida huada, ti a, sa« – alles ist unseres, meins und deins. Paulick, der mit Nesindano Namises zusammen an einem Theaterstück über die Geschichte der Herero und Nama gearbeitet hat, sagt: »Es ist ein Stück über die commons, über die normalen Bürger.« Und Reihse fügt hinzu, dass aus kapitalistischen Interessen Umweltkatastrophen in Kauf genommen würden, von denen die ärmsten Menschen am meisten betroffen seien. Auch hier bemerkt man die Sympathie für die neue Klimabewegung. Dass der Inhalt des Texts denen, die der namibischen Sprache nicht mächtig sind, verschlossen bleiben wird, nehmen die Musiker gelassen. »Wir finden es interessant, eine Botschaft zu vermitteln, die nicht verstanden wird und doch gleichzeitig zum Mitsingen einlädt. Es ist eine angenehme Entfremdung«, meint Reihse.

Ähnlich und doch gänzlich anders lief die Zusammenarbeit mit Ricardo Domeneck ab. Reihse wollte schon seit längerem mit ihm kooperieren. Für seinen Text, den er bei »Flood II« singt, gab es gleich zwei Entwürfe. Im ersten ging es um den Staudammbruch in der Nähe der Stadt Belo Horizonte, der Anfang des Jahres unzählige Häuser zerstörte und eine bislang ungeklärte Zahl an Todesopfern forderte. Doch letztlich entschied man sich für die zweite Version, die nun zu hören ist: Mit den Füßen im Sand schaut Domeneck auf das Meer und die Wellen und sinniert über ein Gespräch mit einem Geologen. Sie sprechen darüber, wie die Sandkörner, die am Strand liegen, aus weit entfernten Bergen stammen, und dass die Körner als Sedimente bis zum Strand gewandert seien. »Das klingt auf Deutsch und nacherzählt gleichwohl banal«, sagt Reihse.

Das brasilianische Portugiesisch, in dem gesungen wird, legt derweil einen Zauber über die gesamte zweite Plattenseite, die durchgehend einen leichten, dennoch ausgeprägten Charakter als Hintergrundmusik ent­wickelt. »Detlef Weinrich war es wichtig, dass man die Platte gut durchhören kann, wie man es zum Beispiel von ›Merry Christmas Mr. Lawrence‹ von Ryuichi Sakamoto kennt. Also Musik, die ein Ambiente in einem Raum erschafft«, so Reihse. Den Unaufmerksamen, jenen die nur nebenbei lauschen, aber nicht hören, bleibt dennoch die unge­heure Kraft verborgen. Die fünf Songs der B-Seite, von denen manche gerade mal zwei, andere fast sechs Minuten dauern, treten miteinander in Konkurrenz, obwohl in allen ähnliche musikalische Motive und Melodien wiederholt werden. In jedem Song werden die Verhältnisse der Instrumente zueinander neu justiert: Langsam flimmernde Beats treffen auf zart angeschlagene Bongos, ­minimalistisch dröhnende Samples wechseln sich mit aufsteigenden Synthesizertönen ab, im Hintergrund zart angeschlagene Gitarrensaiten – alles zurückhaltend, fast schon schüchtern.

Es ist ein fruchtbares Auf und Ab, es klingt nach den Gezeiten, es herrschen Ebbe und Flut. Auch wenn die Band dieses Mal Abstand von der »malerischen Abstraktion« ihrer Platten wie »ABC« wollte, bleibt festzuhalten, dass auch Kreidler – trotz des Wunsches nach Konkretion – im ­guten Sinn nicht aus ihrer Haut können. Es ist ein Album, das seine poli­tische Motivation unverhohlen und offen präsentiert und dabei trotzdem – nur vermeintlich ein Widerspruch – sehr sinnlich, sehr einfühlsam und sehr warm ist. Kreidler machen keinen Agit-Prop, sie machen Agit-Pop.

Kreidler: Flood (Bureau B)