Was die umstrittene Serie »Hunters« so besonders macht

Mehr als Pädagogik

Die Serie »Hunters« wird seit Wochen kritisiert, auch die Gedenkstätte Auschwitz schaltete sich in die Auseinandersetzung ein. Die kritisierten Gewaltszenen erfüllen in der Serie allerdings einen Zweck, der in der Diskussion unbeachtet bleibt.

New York City, 1977: Der Teenager Jonah Heidelbaum (Logan Lerman) lebt bei seiner Großmutter Ruth. Ruth ist Auschwitz-Überlebende, zu Beginn der Serie fällt sie einem Mord zum Opfer. Auf ihrer Beerdigung lernt Jonah den von Al Pacino gespielten Meyer Offermann kennen. Er und Ruth begegneten sich in Auschwitz und verliebten sich ineinander. Offermann ist nicht nur unfassbar reich, er ist auch der Kopf der Hunters, die von der US-amerikanischen Regierung im Zuge der Operation Paperclip (die es tatsächlich gab) im Kalten Krieg in die USA geholte Nazis jagten und töteten. Gewillt, seine Großmutter zu rächen, denn ihr Mörder war einer dieser untergetauchten Nazi-Offiziere, schließt Jonah Heidelbaum sich den Hunters an.

Weils Serie »Hunters« ist keine stilisierte Blutorgie, sondern eine Antiheldenerzählung, in der sich spezifische Konflikte und Traumata der Generation nach jener der Überlebenden der Shoah ausdrücken.

Die Hunters spüren in jeder Folge einen Nazi auf, machen ihm einen kurzen Prozess und töten ihn; meist auf die Weise, wie er selbst getötet hatte. Während der Jagd kommt es innerhalb der Gruppe allerdings zu Konflikten. Viele Aktionen laufen schief: Freunde werden getötet, denn auch die Nazis sind gut organisiert und wehren ihre Jäger ab.

Im Zuge ihrer Jagd kommen die Hunters dahinter, dass die Nazis im Land ein »Viertes Reich« sowie eine erneute Vernichtung planen. Hierzu haben die Volksgenossen ein tödliches Virus entwickelt. »Die Lösung« genannt, führt es unmittelbar nach der Infektion zum Tod. So brauchen die Nazis keine Vernichtungsmaschinerie mehr, sondern lediglich einen Chemiekonzern, Wissenschaftler, ein leckeres und billiges Nahrungsmittel, das man mit dem Virus versetzen kann, und ein Versorgungsnetz, das es in alle Supermärkte befördert – eine kapitalistische Infrastruktur eben. Natürlich aber schaffen die Hunters es, diesen Plan zu vereiteln.

Zu diesem Plot inspirierten den Serienerfinder David Weil die Erzählungen seiner Großmutter über ihre Zeit in Auschwitz. Die Serie »Hunters« spielt zwar im Jahr 1977, in Rückblenden werden aber das Leben und Leiden von Ruth und Meyer in Auschwitz sowie die Taten der gejagten Nazis erzählt. Mal beginnt eine Folge im KZ oder die Rückblenden erzählen die Erinnerungen von Meyer oder anderen Hunters. Es ist weniger die Story selbst als vielmehr die Art, wie sie erzählt wird, die in den vergangenen Wochen teilweise heftig diskutiert und kritisiert wurde. »Hunters«, so der Tenor, sei ein schlechter Genremix: »Jews- und Naziploitation«, vermischt mit Superhelden-Serie, dazu überdeutliche Anleihen an »Iron Sky« und »Inglourious Basterds«.

»Hunters« nehme sich einerseits zu ernst und inszeniere unnötige »Gewaltorgien«. Was aber die Kritiker von »Hunters« wirklich nicht aushalten können und was vor allem Deutsche auf die Eiche bringt, sind die Rückblicke und die fiktive Darstellung des Lebens und Tötens im KZ Auschwitz. Wie Oliver Kaever stellvertretend für den Ton der Kritik im Spiegel schrieb, gebe es in der Serie »selten widerliche« Rückblenden und andere »Szenen, die den Schmerz von Überlebenden des Holocausts und ihren Angehörigen spürbar machen, unvermittelt zwischen harmlosen stilistischen Spielereien«. Fazit: Es gebe zu viele unvermittelte »Stimmungsumbrüche« in der Serie.

Tatsächlich folgen Werbe- oder Spielshow-Sequenzen auf viele Szenen, die im Konzentrationslager spielen. Diese schnellen Schnitte sind aber nicht pietätlos, sondern sollen auf bitterkomische Weise das Unfassbare kommentieren. So wird beispielsweise eine der US-Quizshow »Jeopardy« ähnliche Sendung inszeniert, in der gefragt wird: »Warum hassen alle die Juden?« Dabei gibt es den Höchstgewinn für die Antwort: »Weil sie Juden sind.« Jüdischer Humor gefällt den deutschen Kritikern aber nicht. Wenn man schon harte KZ-Szenen machen müsse, dann solle man es auch hart durchziehen und keinen Klamauk zwischendurch veranstalten, so ihr Tenor.
Als sich dann die Gedenkstätte Auschwitz einschaltete und auf Twitter schrieb, bei der Serie handle es sich um eine »gefährliche Dummheit«, weil die in Rückblenden dargestellten Gräuel in Auschwitz fiktiv seien und dadurch Holocaustleugner auf den Plan riefen, war das allgemeine Urteil besiegelt: Auf »geschmacklosere Weise ist der Holocaust noch nie zu Unterhaltungsware verwurstet worden«, wie Kaever schreibt.

Gestützt haben die meisten Kritiker dieses Urteil auf der von der Gedenkstätte kritisierten fiktiven Sequenz, in der ein Lagerkommandant in Auschwitz einen inhaftierten Schachmeister zu einer Partie zwingt. Dabei sind Mithäftlinge die Figuren, und wenn eine Figur eine andere schlägt, muss sie ihr die Kehle durchschneiden. Das bekommt man allerdings nicht zu sehen, es wird nur angedeutet. Kaever wie die Gedenkstätte verstehen nicht, warum man noch Gräuel hinzuerfinden muss.

Die Einhelligkeit der negativen Kritiken sollte mehr als skeptisch machen. Denn wenn man sich mit der Serie auseinandersetzt, versteht man auch, was sie sein möchte: eine allegorische Erzählung aus Sicht eines Nachfahren einer Auschwitz-Überlebenden, in der er verarbeitet, was die Geschichten seiner Großmutter über die Shoah in ihm ausgelöst haben. Weils Serie ist keine stilisierte Blutorgie, sondern eine sehenswerte und bemerkenswert kritische Antiheldenerzählung,, in der sich spezifische Konflikte und Traumata der Generation nach jener der Überlebenden der Shoah ausdrücken. Also von jenen, die sie zwar nicht erlebten, aber durch ihre Familiengeschichte untrennbar mit ihr verbunden sind.

Vor diesem Hintergrund sind die Kritik am Nebeneinander von KZ-Gräuel und Spielshowklamauk beispielsweise nicht moralisch zu bewerten, sondern sollten als Ausdruck dessen begriffen werden, welche zerrüttende Kraft die Präsenz der Vernichtung im Bewusstsein des jugendlichen Protagonisten entwickelt. Denn ­Jonahs Versuche, mit den Geschichten seiner Großmutter zurechtzukommen, schlagen fehl. Die Shoah bricht immer wieder ein. Neben »Batman« und »Jeopardy« stehen unvermittelt Hitler und Gaskammern, bekiffte Gelassenheit endet für Jonah in Gedanken über seine im Konzentrationslager inhaftierte Großmutter. Und auch der Kampf gegen die Nazis zermürbt ihn.

David Weils Reaktion auf die Kritik ist wenig beachtet und auch nicht ernst genommen worden. Weil er keine tatsächlichen Erfahrungen konkreter Personen in seiner Serie verarbeiten wollte, habe er versucht, eine »symbolische Repräsentation« für die Gewalt in den Lagern zu finden. Anstatt diese Erklärung zu übergehen, könnte man bewerten, ob die von ihm gewählte Symbolik treffend ist. Und das ist sie durchaus, besser vielleicht, als belegte Geschehnisse es könnten.

Natürlich ist der Verfälschung der Realität im Nationalsozialismus entgegenzutreten. Aber weder verfälscht Serienmacher Weil Fakten, noch lassen sich Antisemiten und Holocaustleugner durch Fakten davon überzeugen, dass ihr Denken falsch ist. Zudem können Fakten nicht das Grauen fassen und darstellen. Oder wie Wolfgang Pohrt einmal sinngemäß schrieb: Durch Ansammlung der Fakten weiß man am Ende zwar, wie man ein KZ baut und betreibt, aber nicht, wie man verhindert, was es ermöglichte.

Weils Schachbrettszene ist hingegen nicht der schlechteste Einfall, um jenes schwierig denkbare Ineinander von Vernichtungswahn und Rationalität der Nazis allegorisch zu bebildern. Sie zeigt zumindest, dass sich das Morden im Konzentrationslager dadurch auszeichnete, dass es grundlos, frei von jeder Not, selbstbezüglich, aber doch in einem rational organisierten Rahmen stattfand.

Gerade durch den comichaften Plot und die exploitationartige Abgedrehtheit, die die eigentliche Geschichte der Serie, nämlich die Jagd der Hunters auf die Nazis in den USA der Siebziger auszeichnet, proklamiert »Hunters« etwas, das über bloße Pädagogik hinausgeht, nämlich die Einsicht, dass am Ende einzig Gewalt gegen den antisemitischen Wahn wirkt.

Die Serie »Hunters« kann bei Amazon Prime gestreamt werden.