Die Zulassung der Covid-19-Impfstoffe und die Probleme der globalen Verteilung

Am Ende der Kühlkette

Mehrere Covid-19-Impfstoffe stehen kurz vor der Zulassung. Doch nicht für alle Teile der Welt ist damit bereits ein Ende der Pandemie absehbar.

Die ganze Welt hat sehnsüchtig auf diese Nachrichten gewartet: Gleich mehrere Hersteller haben in den vergangenen Wochen gemeldet, ihr jeweiliges Covid-19-Impfstoffpräparat stehe kurz vor der Zulassung. Noch im Dezember sei in manchen Ländern mit der Impfung einzelner Bevölkerungsgruppen zu rechnen, heißt es. Die Meldungen der Pharmaunternehmen und der Gesundheitsministerien lassen ein Ende der Pandemie absehbar erscheinen.

Doch damit steht auch eine in der Medizingeschichte beispiellose Herausforderung bevor. Pharmaunternehmen und Zulieferer müssen Milliarden von Impfdosen samt ausreichendem medizinischem Equipment produzieren, die dann weltweit verteilt werden sollen. Für die geplanten Massenimpfungen muss zunächst die notwendige Infrastruktur geschaffen, müssen Impfzentren eingerichtet und mit medizinischem Personal ausgestattet werden.

Angesichts begrenzter Produktionskapazitäten seien laut »Airfinity« frei erwerbbare Impfstoffdosen in Milliardenanzahl frühestens 2022 möglich.

Derzeit werden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 48 mögliche Impfstoffe klinisch getestet, elf davon bereits in der letzten und entscheidenden dritten Studienphase. Weit fortgeschritten ist das vom deutschen Unternehmen Biontech und dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer entwickelte Vakzin. Die beiden Hersteller haben auf Grundlage eines in einer Phase-III-Studie belegten 95prozentigen Impfschutzes bei der US-Arzneimittelbehörde FDA eine Notfallzulassung beantragt. Sollte die am 10. Dezember anstehende Entscheidung darüber positiv ausfallen, könnten wenige Tage darauf die ersten Menschen geimpft werden. Moderna zog vor einigen Tagen mit der Beantragung nach. Bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA liegen mittlerweile ebenfalls Anträge der genannten Unternehmen vor, was eine Zulassung in der EU noch in diesem Jahr ermöglichen soll.

Probleme für die Verteilung der Impfstoffe ergeben sich bereits aus deren biologischen Eigenschaften. Das gilt insbesondere für den mRNA-basierten Impfstoff von Biontech und Pfizer, denn dieser muss in einer geschlossenen Kühlkette bei minus 70 Grad Celsius transportiert und gelagert werden. Dafür sind selbst Länder mit einer hochentwickelten technischen und medizinischen Infrastruktur nicht ausgerüstet. Apotheken und Krankenhäuser verfügen in der Regel nur über Kühlgeräte, deren maximale Leistung bei weit höheren Temperaturen liegt. Die Lagerung ist also sehr aufwendig und teuer.

Für Hersteller von Kühlungen wie die Firma Binder aus dem schwäbischen Tuttlingen, die mit ihren speziellen Geräten bislang einen Nischenmarkt bediente, zeichnet sich ein lohnendes Geschäft ab. Bis zu 40 000 Euro kostet ein Ultratiefkühler, mehrere Tausend davon würden allein in Deutschland benötigt, sollte einer der temperaturempfindlichen Impfstoffe eingesetzt werden. Ferner müssen für den Impfstoff bis zu drei Milliarden Glasfläschchen hergestellt werden. Weltweit gibt es nur drei Konzerne, Schott und Gerresheimer aus Deutschland und der Konkurrent Stevanato aus Italien, die sie in entsprechenden Mengen herstellen können.

Und auch die Deutsche Post mit ihrem Logistik-Dienstleister DHL sieht großen Aufträgen entgegen. Die Beratungsfirma McKinsey hat errechnet, dass für die weltweite Impfstoffversorgung in unterschiedlichen Lieferketten 200 000 Palettentransporte notwendig sind. 15 Millionen Kühlboxlieferungen seien erforderlich, 15 000 Flüge zu absolvieren.

Der vom US-amerikanischen Unternehmen Moderna entwickelte Impfstoff ist ebenfalls mRNA-basiert, kommt jedoch mit einer Kühlung auf minus 20 Grad Celsius aus. Nicht mRNA-basierte chinesische Impfstoffpräparate können nach Angaben ihrer Entwickler schon bei Temperaturen von minus zwei bis acht Grad gelagert werden. Ähnliches gilt auch für das von Astra-Zeneca, einem der weltweit größten Pharmakonzerne, und der Oxford University entwickelte Vakzin, das ebenfalls kurz vor der Zulassung steht.

Auch abgesehen von den allgemeinen technischen und logistischen Herausforderungen stellt sich die Frage, wie eine globale Verteilung und Finanzierung der Impfdosen sichergestellt werden kann. In Staaten wie dem Jemen oder dem Libanon gibt es nur noch Fragmente einer funktionierenden staatlichen Infrastruktur, die eine Verteilung erst ermöglichen würde. Manche Regionen, wie derzeit der Norden Äthiopiens, sind wegen militärischer Konflikte nicht zugänglich.

Um trotz der hohen Investitionskosten für die Entwicklung und Herstellung der Impfstoffe arme Länder versorgen zu können, wurde im April die Impfstoffplattform Covax von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Globalen Impf-Allianz (Gavi) und der Coalition for Epidemic Preparedness (CEPI) gegründet (Global verkaufen, national impfen). Mehr als 170 Staaten unterstützen die Initiative mittlerweile. Die USA und Russland gehören nicht dazu. Die Idee ist simpel: Staatliche und private Geldgeber zahlen in einen Fonds ein, der durch seine gebündelte Marktmacht bessere Konditionen bei den Herstellern aushandeln kann. Die erworbenen Impfstoffe sollen anschließend in den teilnehmenden Ländern verteilt werden, so dass mindestens 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerung geimpft werden können. Im Auftrag von Covax soll das Uno-Kinderhilfswerk Unicef, das zahlreiche Impfkampagnen etwa gegen Masern und Polio organisiert hat, bis Ende 2021 zwei Milliarden Impfdosen und eine Milliarde Spritzen einkaufen und in arme Länder ausliefern.

Doch diese Bemühungen um eine gerechte Verteilung des Impfstoffs sichern noch nicht dessen weltweite Verfügbarkeit. Bereits im September wurden nach Auskunft von Oxfam, das sich auf Angaben der britischen Life Science-Datenbank Airfinity bezieht, 51 Prozent der in nächster Zeit lieferbaren weltweiten Impfstoffmenge durch Exklusivverträge mit den Herstellern gesichert, obwohl die betreffenden Länder gemeinsam nur 13 Prozent der Weltbevölkerung stellen: Von den sechs Milliarden Dosen Impfstoff, die im kommenden Jahr schätzungsweise produziert werden könnten, haben allein die USA über zwei Milliarden für sich reserviert oder Optionen darauf, die EU hat für ihre Mitgliedsstaaten Verträge über eine Milliarde Einheiten abgeschlossen. Angesichts begrenzter Produktionskapazitäten seien laut Airfinity frei erwerbbare Impfstoffdosen in Milliardenanzahl frühestens 2022 möglich. »Es wird vier bis fünf Jahre dauern, bis jeder auf diesem Planeten die Impfung kriegt«, erklärte kürzlich der Vorsitzende des indischen Großherstellers Serum Institute of India (SII) Adar Poonawalla in der Financial Times. Setzt man für die Immunisierung zwei Dosen voraus, benötige man weltweit 15 Milliarden Impfdosen.

Eine schnellere Versorgung könnte eine bessere globale Verteilung der Produktionsstätten für die Herstellung von Impfstoffen und medizinischer Ausrüstung gewährleisten. Doch dafür müssten Patentrechte freigegeben werden. Indien und Südafrika haben im Oktober die Welthandelsorganisation (WTO) aufgefordert, das »Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums« (TRIPS) für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Dutzende Schwellen- und Entwicklungsländer unterstützen die Initiative, ebenso 300 NGOs, zahlreiche Wissenschaftler und internationale Organisationen, unter ihnen die WHO. Die USA, die EU sowie Großbritannien, Kanada und Brasilien lehnen den Vorstoß ab. Auf der WTO-Generalversammlung am 17. Dezember sollen ein Bericht der Initiative und eine Handlungsempfehlungen vorgestellt werden.

»Es gibt kein Land und kein Unternehmen, das nicht impfnationalistisch handelt«, sagt Stephan Exo-Kreischer von der Organisation One, die fordert, Wissen und Patente aus der Entwicklung der Impfstoffe zu teilen. Die Unternehmen Sanofi, Glaxo-Smith-Kline und Astra-Zeneca haben in dieser Sache jedoch Entgegenkommen signalisiert. In einem gesonderten Vertrag mit Covax vereinbarte Astra-Zeneca, eine Milliarde Einheiten des Vakzins für Schwellen- und Entwicklungsländer bereitzustellen. Die Dosen sollen dort zum Produktionspreis von zwei bis drei US-Dollar verkauft werden.

Seth Berkley, Vorsitzender von Gavi, fordert die Produktion von weiteren fünf Milliarden Dosen des Vakzins im kommenden Jahr, um »sicherzustellen, dass wir die Impfstoffe gerecht an jene verteilen können, die sie brauchen«. Covax alleine kann die baldige globale Versorgung nicht garantieren. Es zeichnet sich bereits ab, dass diese entlang einer hierarchischen Ordnung erfolgt: zunächst die reichen Industriestaaten sowie China, anschließend Schwellenländer wie Indien oder Brasilien und erst danach Teile der Bevölkerung in den armen Ländern. Der Rest muss sehen, wo er bleibt.