Queers in Istanbul praktizieren die Kunst der ­Selbstzensur

Wie man ein Einhorn versteckt

Keine Blumen, keine Farben, keine Symbole: Die staatlichen Repressalien gegen die türkische LGBTI-Community werden zahlreicher. Immer wieder werden Regenbogenfahnen und andere als »Homo-Propaganda« diffamierte Embleme beschlagnahmt. Eine Ausstellung in Istanbul protestiert gegen die Unterdrückung, in dem sie Selbstzensur übt.

Der Besucher wird vom Klang einer heiseren Stimme empfangen: »Look, look!« – »Schau, schau!« Doch erst einmal ist im schlauchförmigen Eingang der Altbauwohnung im Istanbuler Stadtteil Galata nicht viel zu sehen. In der Ausstellung »Göze Parmak« muss das Pubikum selbst aktiv werden, eine Klingel betätigen, altes Silberbesteck mit Asche polieren oder an einem vertrockneten Strauß Basilikum riechen. Besucher haben mit schwarzer und weißer Malkreide farblose Regenbögen an die Wand gezeichnet. Eine Installation, bestehend aus einem weißen Regal vor einer weißen Wand mit Schriftzügen in Grau, unterstreicht den Eindruck des Seltsamen und Sterilen. Keine schrillen Farben, keine Darstellung von Körperlichkeit – eigentlich fehlt alles, was man von einer queeren Kunstschau erwarten würde.

Kurator Alper Turan erläutert sein Konzept der »vorsätzlichen Zensur«. »Wir überspitzen mit der Ausstellung das, was uns die gesellschaftliche Mehrheit schon immer deutlich vermittelt: Verschwindet, versteckt euch, seid still«, sagt Turan, der in Istanbul und Berlin lebt und arbeitet. Künstler, die die Symbole und Metaphern der queeren Szene verwenden, seien in der Türkei immer stärkerer Repression ausgesetzt. Die ­Ausstellung versteht er als Protest gegen gesellschaftliche Diskriminierung und staatliche Zensur. Es sei nicht ganz einfach gewesen, die beteiligten Künstler, darunter Tuna Erdem und Seda Ergül, von seiner Idee der freiwilligen Zurückhaltung zu überzeugen. »Ich musste das alles gut begründen, Tuna und Seda etwa ­stehen künstlerisch ja gerade für expressive Sichtbarmachung ihrer queeren Identität«, betont Turan.

Der Titel, der wörtlich übersetzt »Finger zum Auge« lautet, ist eine Anspielung auf sprachliche Wendungen wie »ins Auge stechen«, »auf jemanden mit dem Finger zeigen«, »sehen und gesehen werden« und nimmt Bezug auf die Realitäten des queeren Lebens in der Türkei.

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