Freibäder oder freie Gewässer

Hauptsache Erfrischung

Sommerzeit ist Badezeit, viele suchen im Freibad Erfrischung. Doch ist das überhaupt eine sinnvolle Institution? Oder ist der Badesee der bessere Ort?
Disko Von

Beckenschwimmen bis zur Revolution

Im Freibad schwimmt und badet es sich am besten. Mängel sind darauf zurückzuführen, dass die Potentiale der Institution sich im Kapitalismus nicht voll entwickeln lassen. Von Philipp Idel

Es ist heiß, sehr heiß, man will sich abkühlen. Nur noch ein paar Minuten, dann ist man endlich im Wasser. Auf dem Weg dorthin warten allerdings noch ein paar Widrigkeiten auf einen. Man findet keinen Ort, an dem man das Fahrrad sicher anschließen kann. Der Untergrund, auf dem man seine Sachen ablegen will, ist staubig und übersät mit Kronkorken, Zigarettenstummeln und sonstigem Müll. Man kann seine Wertsachen nicht sicher ­deponieren, besser man entfernt sich nicht zu weit vom Ufer oder einer bleibt auf der Wiese, wenn man nicht allein gekommen ist.

Das Freibad ist ein Hort der Zivilisation, der die Menschen der Widrigkeiten des Sees enthebt.

Im Wasser ist es nicht besser: Erst tritt man auf spitze Steine, dann auf Glasscherben. Kaum ist man ein paar Meter geschwommen, treibt einem allerlei Unrat entgegen, Reste von Plastiktüten zum Beispiel. Wenn man Pech hat, hat man das Zeug nach dem Auftauchen in den Haaren. Spätestens wenn man unter Wasser die Augen öffnet, weiß man, in was für einer trüben Suppe man schwimmt. Kurz danach streift einen ein Fisch am Bein, ein zweiter schwimmt in die Badehose, bald weicht man in letzter Sekunde einem von ein paar Row­dies angetriebenen Tretboot aus, bevor man sich beinahe in einer Angelschnur verfängt.

So kann es einem ergehen, wenn man in einem See schwimmen geht. Man sollte lieber ins Freibad gehen. Vor diesem gibt es Fahrradstellplätze, häufig auch einen Parkplatz. Man kann seine Sachen wegschließen, es gibt eine gepflegte Liegewiese, die zumindest in den ersten Stunden nach Öffnung des Bads nicht vermüllt ist. Das Wasser ist sauber, weil mit Chlor behandelt, der Beckenboden hält meist keine unangenehmen Überraschungen bereit, auf dem Wasser treibt kein Unrat. Fische, Tretboote und Angler gibt es nicht, und nach dem Schwimmen kann man sogar duschen. Eine Umkleidekabine gibt es auch.

Das Freibad ist ein Hort der Zivilisation, der die Menschen der Widrigkeiten des Sees enthebt. Am Badesee mag es weniger schlimm zugehen als an naturbelassenen Seen und manche Annehmlichkeiten des Freibads, wie Duschen oder Umkleiden, gibt es dort möglicherweise auch. Das Freibad zeichnet sich allerdings nicht nur dadurch aus, dass es die Unannehmlichkeiten des Sees von den Menschen fernhält. Es bietet auch allerlei Errungenschaften, die man an kaum einem See finden wird. Sprungblock, Sprungbrett und Sprungturm ­ermöglichen es einem, auf höchst unterschiedliche Weise ins Becken zu springen. Im Schwimmerbecken kann man Bahnen schwimmen, am Beckenrand kann man sich abstoßen und wenden.

Meist gibt es auch ein Kinderbecken mit Rutsche, Wasserpilz und anderen Vorrichtungen, die ein spielerisches Baden ermöglichen. Auch weil es mehrere Becken gibt, ist das Freibad dem See überlegen: Die Trennung von Baden und Schwimmen, Spiel und Sport hilft, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Badegäste zu befriedigen. Die einen können in Ruhe ihre Bahnen ziehen, die anderen wild im Wasser toben. Im Schwimmerbecken gibt es häufig Bahnen für schnellere und Bahnen für langsamere Schwimmer, im Kinderbecken können erste Schwimmversuche sicherer gewagt werden als im See. In manchen Freibädern gibt es auch Sprungbecken: Dort können pubertierende Jungmänner ihren Geltungsdrang befriedigen, ohne Oma Erna oder Opa Ali auf den Kopf zu springen.

Sicher, auch Freibäder haben ihre Mängel. Viele Bäder sind bei Höchsttemperaturen überfüllt, einige sind he­runtergekommen, in manchen kommt es regelmäßig zu Beleidigungen und Schlägereien. Zudem hindert einige der Eintrittspreis am Besuch. In manchen Städten muss man für den Einlass ins eine kommunale Schwimmbad doppelt so viel zahlen wie für den ins andere, und es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Preispolitik dafür sorgen soll, dass wohlhabendere Badegäste unter sich bleiben können.

Doch das sind Mängel, die nicht der Institution Freibad anzulasten sind, sondern dem Umstand, dass sich deren Potentiale unter kapitalistischen Bedingungen nicht voll entwickeln lassen. In der befreiten Gesellschaft müsste man sicherlich nicht mehr zehn Euro Eintritt zahlen, um nach 400 Metern Rücken über den Hügeln der Stadt am Beckenrand Champagner schlürfen zu können. Beckenschwimmen bis zur Revolution ist allemal besser, als sich mit den Widrigkeiten von Badeseen herumzuschlagen.

 

Entspannte Anarchie im Naherholungsgebiet

Freibäder sind reglementierte und umzäunte Schwimmbetriebe, aber leider für viele Stadtbewohner die einzige Möglichkeit, baden zu gehen. Seen dagegen versprechen Freiheit. Von Paul Simon

Wenn die Hitze auf die Städte drückt, gibt es einen Ort, wo sich verlässlich trotzdem Warteschlangen auf dem Gehweg bilden und die Autos sich auf den Parkplätzen stauen. Freibäder sind für viele Städter die einzige Aussicht auf ­etwas Erfrischung. Leider, muss man sagen. Die Idee, mitten in der Stadt Gruben mit Beton zu füllen und Hunderte Menschen in nächster Nähe zu­einander in Chlorwasser herumspringen zu lassen, war sicher einmal sinnvoll, um besonders den Proletariern, die weder ein Haus am See zur Verfügung hatten noch zum Strandurlaub nach Italien fahren konnten, die Möglichkeit zum Schwimmen zu bieten.

Und natürlich, gerade für Kinder sind Freibäder ein sicherer Ort, an dem sie beaufsichtigt im Wasser spielen können. Auch als Erwachsener verbindet man mit ihnen immer noch nostalgische Erinnerungen an das Gefühl von heißem Beton unter den nackten Füßen, an den Geschmack des Chlorwassers und den Geruch der Pommes vom kleinen Kiosk. Aber nüchtern betrachtet: Ist das wirklich ein Ort, an dem man sich gerne aufhält?

Endlos könnte man auch die Nachteile der Badeseen aufzählen, von der Wasserqualität bis hin zur langen Anreise. Im Freibad sorgt Chemie für Hygiene, am See gibt es Zecken, Algen und schlammiges Wasser. Aber um Natur geht es nicht. Der Unterschied liegt in der Freiheit.

In Freibädern wird man schon beim Einlass kontrolliert. Man muss das ­nötige Geld für ein Ticket haben, und während der Pandemie galt es, lange im Voraus eines der begehrten »Zeitfenster« zu buchen. Hat man es nach dem Schlangestehen nach drinnen geschafft, ist man der Oberaufsicht der grimmig herumlungernden Bademeister unterstellt.

Das klassische Gebot »Nicht vom Beckenrand springen!« ist nur eine von zahllosen Reglementierungen: kein ­Essen mitbringen, keine Musik, bloß kein Alkohol oder Drogen. Nicht mal Feuer darf man machen! Und abends, wenn die schönste Zeit des Tages kommt und das Wasser im Licht der untergehenden Sonne schimmert, ­genau dann muss man wieder raus auf die Straße und das Freibad schließt die Türen. Halbwegs schön ist ein Freibad eigentlich erst dann, wenn die Becken spiegelglatt in der Abendstille liegen.

Dass es in Freibädern immer wieder zu Konflikten kommt, kann kaum überraschen. Manche Berliner Sommer­bäder gelten geradezu als Horte der Gewalt, in denen testosterongesteuerte Teenager regelmäßig Schlägereien oder gar Messerstechereien anzetteln ­würden, was natürlich Quatsch ist. Aber eine gewisse Gereiztheit und unterschwellige Aggressionen spürt man eben doch oft – kein Wunder, wenn man Menschen so eng zusammenpfercht.

Wie erholsam sind dagegen die Sandstrände am Baggersee oder die Wald­nischen am Uferrand! Niemand beobachtet, gängelt oder kontrolliert, niemand will Tickets sehen oder etwas verkaufen. Seen ziehen aus gutem Grund Horden von Jugendlichen an, die dort die Freiheit suchen, zu tun und zu ­lassen, was sie wollen, und das auch noch umsonst. Am See kann sogar ­glücken, was in Freibädern völlig unmöglich ist: wirklich allein und in Ruhe zu sein. Und vor allem hat man Zeit. Dem gedehnten Rhythmus eines schier endlosen Sommertags sind die Öffnungszeiten eines Schwimmbads, erst recht mit durchgetakteten Pandemie-«Zeitfenstern«, einfach nicht angemessen.

»Freibad, das war ein Ausdruck sozialen Fortschritts, ein erfrischender ­Luxus für alle«, verstieg sich Richard Kämmerlings einmal in der Welt. Das Freibad sei »die Wasser und Rasen gewordene Utopie, die klassenlose Gesellschaft als hüllenlose Masse«. Und tatsächlich sind die Alternativen zum mit öffentlichen Geldern finanzierten Schwimmbad – Strandurlaub und private Pools – im Kapitalismus entweder kaum attraktiver oder viel zu exklusiv. In Freibädern können auch Stadt­bewohner schwimmen, die sich das Verreisen nicht leisten können.

Aber ist die Lösung wirklich, noch mehr umzäunte, beaufsichtigte Schwimmbecken in der Stadt zu bauen? Sollte man nicht viel weiter denken, neue Flusslandschaften schaffen, künstliche Seen, deren Ufer allen offenstehen und es ermöglichen, auch innerhalb der Stadt in die Natur zu kommen? Parklandschaften vor der Stadtgrenze, die nicht nur aus langweiligen Wäldern bestehen, sondern aus Seen und Sandstränden? Wenn das Freibad schon die Utopie sein soll, kann es mit dieser nicht weit her sein, denn dem Freibad hängt immer an, dass es ein reglementierter Betrieb ist. Niemand hat je geschrieben: »Unter dem Pflaster – die Liegewiese!«