Die »50+1«-Regel soll die Übernahme von Fußballclubs durch Investoren verhindern

50 + 1 = Mitbestimmung?

Die 50+1-Regel zur Stimmenverteilung in Kapitalgesellschaften soll verhindern, dass externe Kapitalanleger die Profi­abteilungen von Fußballvereinen vollständig übernehmen können. Manche monieren, sie beeinträchtige die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Vereine.

Trotz der Covid-19-Pandemie sitzt das Geld im Profifußball weiter locker: Die großen Vereine des internationalen Fußballs haben auch in diesem Sommer wieder viel Geld für neue Spieler ausgegeben. Der englische Meister Manchester City führt die Tabelle der teuersten Transfers an, knapp 118 Millionen Euro ließen sich die citizens den Neuzugang Jack Grealish kosten. Auch auf den Plätzen zwei und drei folgen mit dem FC Chelsea und Manchester United englische Teams. Der Superstar Lionel Messi wechselte zwar ablösefrei vom FC Barcelona zu Paris St. Germain, soll dort aber jährlich mindestens 35 Millionen Euro netto verdienen.

Die aktiven Fans verstehen die 50+1-Regel als letztes Bollwerk gegen den völligen Ausverkauf des Sports.

Alle vier Clubs haben etwas gemeinsam: Sie werden von mehr oder weniger dubiosen Unternehmen und Geschäftsleuten geführt. Paris St. Germain ist im Besitz einer kata­rischen Investorengruppe, Manchester City wird geführt von Scheich Mansour bin Zayed al-Nahyan, einem Mitglied der Herrscherfamilie Abu Dhabis in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der russisch-israelische Geschäftsmann Roman Abramowitsch steht dem FC Chelsea vor, die US-amerikanische Unternehmerfamilie Glazer ist im Besitz von Manchester United. Im globalisierten Geschäft des internationalen Spitzenfußballs sind solche Verhältnisse inzwischen ebenso üblich wie auf dem Kapitalmarkt sonst auch.

Nicht aber in Deutschland: Hierzulande verhindert die sogenannte 50+1-Regel die vollständige Übernahme von Fußballvereinen durch externe Kapitalanleger – und steht deshalb immer wieder zur Debatte. Die 50+1-Regel ist in den Statuten der Deutschen Fußball-Liga (DFL), dem Zusammenschluss der 36 Profi­vereine der zwei Bundesligen, fest­geschrieben. Sie untersagt, dass Investoren die Stimmenmehrheit in den Kapitalgesellschaften, in die viele Vereine ihre Profiabteilung ausgegliedert haben, übernehmen und damit deren operatives Geschäft leiten können. Stets muss der Mutterverein über mindestens 50 Prozent und einen Stimmanteil verfügen. Ein Beispiel: Der Unternehmer Lars Windhorst hat für 374 Millionen Euro zwei Drittel der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA, der Lizenzspielerabteilung des Berliner Bundesligisten, erworben; die Stimmenmehrheit der Kapitalgesellschaft verbleibt dennoch bei Hertha BSC und damit die Geschäftsführung des Vereins.

Die Haltung zur 50+1-Regel variiert je nach Position im Fußballgeschäft. Die aktiven Fans verstehen sie meist als letztes Bollwerk gegen den totalen Ausverkauf des Sports. Deshalb dient das Engagement für 50+1 oft auch als Symbol für die Ablehnung der Kommerzialisierung und Kapi­talisierung des Fußballs; die Regel ist aber auch realiter ein wirksames Mittel für die Beibehaltung demokratischer und sozialer Vereinsstrukturen. Gegnerinnen und Gegner der Regel, oftmals anzutreffen auf der Funktionärsebene, klagen, sie werde mittelfristig dafür sorgen, dass der deutsche Fußball international erst finanziell und dann sportlich abgehängt wird. Sie spekulieren außerdem darüber, ob die Regel vor Gericht Bestand hätte, sollten Investoren auf die Idee kommen, gegen eine etwaige Benachteiligung zu klagen.

Unter anderem um diese Unsicherheit zu beseitigen, wandte sich die DFL-Mitgliederversammlung, nachdem sie sich im März 2018 mehrheitlich zunächst für die Beibehaltung von 50+1 ausgesprochen hatte, mit der Bitte um Prüfung an das Bundeskartellamt. Am 31. Mai dieses Jahres gab dieses bekannt, der DFL die vorläufige kartellrechtliche Einschätzung mitgeteilt zu haben. Demnach sei die 50+1-Regel grundsätzlich »unbedenklich«. Sie stelle zwar eine Wettbewerbsbeschränkung dar, welche aber durch die zugrundeliegenden sportpolitischen Ziele gerechtfertigt sei.

Zu diesen zählt das Kartellamt zum einen die »Vereinsprägung« des Wettbewerbs und hält fest: »Sie eröffnet breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, durch die Mitgliedschaft in einem Verein dessen Geschicke mitzubestimmen und somit am Bundesligageschehen auch über die Stellung als Konsument hinaus teilzuhaben.« Zum zweiten könne die 50+1-Regel »einen Beitrag zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs in den Bundesligen leisten«.

Allerdings bemängelt das Kartellamt dabei deutlich die »Förderausnahmen«. Den drei Bundesligisten Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und TSG Hoffenheim ist es nämlich gestattet, sich über die Regel hinwegzusetzen. Die Konzerne Bayer und Volkswagen halten jeweils 100 Prozent an ihren Vereinen, der Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp hält 96 Prozent der stimmberechtigten Anteile an seinem. Dies ermöglicht eine Sonderregelung, wonach bei einer mehr als 20 Jahre andauernden erheblichen Förderung eines Vereins eine Ausnahme bewilligt werden kann. Das Kartellamt sieht darin einen möglichen Wettbewerbsvorteil der drei Clubs sowie die Gefahr einer Loslösung vom übergreifenden Charakteristikum der Mitgliederpartizipation.

Während die Stellungnahme des Kartellamts also auf den ersten Blick die 50+1-Befürworter zu stärken scheint, könnte sie auch anders nachwirken. »Es wird in die Richtung gehen, dass es mehr Vereinen möglich sein muss, von der Ausnahme Gebrauch zu machen. Daher kann es durchaus sein, dass 50+1 am Ende dieses Prozesses weniger robust ist und durchlässiger als die heutige Regelung«, meinte der Kartellrechtler Kim Manuel Künstner in einem Interview mit der Fußballzeitschrift 11 Freunde.

Die »Initiative 50+1 bleibt!«, ein Bündnis zahlreicher aktiver Fangruppen, fordert naturgemäß anderes. In einer Stellungnahme mahnte sie, die »Umgehungstatbestände« in Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim schnell aufzuheben; auch beim de facto vom Konzern Red Bull geführten RB Leipzig soll die Regel nicht weiter umgangen werden können. Die DFL sei nun beauftragt, »demokratische Mitbestimmung in allen Vereinen zu ermöglichen und Finanzdoping zu beenden«.

Im Protest für 50+1 kommen verschiedenste Argumentationsmuster zusammen. Weniger attraktiv sind die romantisiert-ideologisierten, die das autochthone deutsche Vereins­wesen vor dem Einfluss ausländischer Investoren mit abstraktem, schnellem Geld beschützen wollen. Auch wer meint, die 50+1-Regel hege das vermeintlich aus den Fugen geratene Wachstumsstreben des Fußballgeschäfts ein, kann vom Kapitalismus nicht viel gehört und noch weniger verstanden haben.

Tatsächlich ist die in der Stellungnahme des Kartellamts angesprochene gesellschaftliche Bedeutsamkeit der Vereine der zentrale Grund, weshalb es lohnt, für 50+1 zu kämpfen. In demokratisch verfassten Vereinen besteht (zumindest in der Theorie) die Möglichkeit, Teilhabe, Partizipation und die Wirkmächtigkeit des eigenen Handelns zu erfahren. Der Fußballverein ist eine nicht zu vernachlässigende Sozialisationsinstanz für Spieler und Zuschauer und es sollte der Gesellschaft daran gelegen sein, dass auch die Spitzenclubs sich nicht in Spielzeuge einer dem Anschein nach allzu oft den gesellschaftlichen Regeln und Gepflogenheiten enthobenen Milliardärskaste verwandeln.

Mit Spannung wurde erwartet, wie die DFL-Mitgliederversammlung am 14. Juli auf die Einschätzung des Kartellamts reagieren würde. Borussia Dortmund, der 1. FC Köln und der Hannover 96 e. V. hatten sich zuvor klar für 50+1 ausgesprochen, doch zu neuen Beschlüssen konnte sich das Gremium nicht durchringen. Das DFL-Präsidium werde im nächsten Schritt gegenüber dem Kartellamt Stellung beziehen, hieß es.