Ein Gespräch mit der Schweizer Band OneTwoThree

»Nicht bequem werden«

Drei Bassistinnen in einer Band: OneTwoThree heißt das Projekt von Madlaina Peer, Sara Schär und Klaudia Schifferle, dessen erstes Album im Oktober erscheint. Mit der »Jungle World« sprachen die drei Schweizerinnen über ihre ehemaligen Bands (unter anderem Kleenex/Liliput), wie viel Wut es für Punk braucht und warum ihr Label in den USA und nicht in der Schweiz beheimatet ist.
Interview Von

Eure Band beruht auf langjährigen Freundschaften – und auf einer geteilten musikalischen Vergangenheit: Ihr habt früher allesamt in Zürcher Punkbands Bass gespielt.

Klaudia Schifferle: Ich war bei Kleenex, die später Liliput hießen.

Madlaina Peer: Ich war bei den Noknows, das war eine Post-Punk-Geschichte. Wir hatten Konzerte in der Schweiz, aber keine Alben aufgenommen. Wir fingen zu dritt an, jede hat alles gespielt, und am Schluss kam eine Frau dazu, die ziemlich falsch sang. Dann spielte ich in einer Band namens Red Foxes, in den neunziger Jahren vor allem allein, für mich – bis wir nun anfingen.

Sara Schär: Ich habe 1978, als 14jährige, bei TNT gesungen.

Klaudia Schifferle: Sara, Du blendest immer etwas aus – und zwar eine Geschichte, die ich liebe!

Sara Schär: Also gut. Vor TNT spielte ich schon Bass in einer Band. 1977, da war ich 13, habe ich mich mit zwei anderen jungen Frauen, einer Gitarristin und einer Schlagzeugerin, zusammengetan. Der Name war Züri SS.


Wie bitte?

Sara Schär: Das stand für Züri Selbstbefriedigungsschule. Ich wusste damals aber noch nicht, was das bedeutet. Wir haben im Proberaum von Mother’s Ruin geübt, in einem Dorf, in dem uns die Polizei mal wegen unserem Aussehen festnahm. So war das Punkleben damals. Dann kam der Gitarrist von TNT und hat mich angeheuert. Es gab eine Mitbewerberin, die habe ich aber weggeschrien. In der Band habe ich bis 1981/1982 gesungen, bis die Punkwelle total vorbei war. Nach TNT gründete ich 1984 Kick, in den neunziger Jahren dann Souldawn. Danach mochte ich keine Band mehr gründen, habe aber bei verschiedenen Bands gesungen; 2002 wurde ich Mutter und ließ die Bands ruhen. Ich habe nur projektweise Musik gemacht und gespürt, dass ich eine neue Band brauche, und meinen Bass wieder rausgenommen. Die Scharnierfunktion hatte Klaudia. Sie hat irgendwann gesagt: Jetzt ist es wieder Zeit, Texte zu schreiben, etwas beizutragen zu Themen. Die Stimmung dieser Zeit ist ähnlich der damaligen – dieser Mief!


Wie seid ihr in der jetzigen Konstellation als OneTwoThree zusammengekommen?

Klaudia Schifferle: Wir kennen uns eben alle schon sehr lang – Sara kenne ich seit 1977, Madlaina sicher seit 1984.

Madlaina Peer: Im September 2018 fingen wir an. Klaudia und ich hatten zunächst eine Art Spiel, uns vorzustellen, wie es wäre, eine Band zu haben, wie sie heißen würde und was für einen Übungsraum wir hätten.

Sara Schär: Es hatte bei allen gebrodelt. Wir alle wollten einzeln wieder etwas beitragen zu den Themen, die heute wichtig sind. Und dann kam es so, wie wir es alle schon kannten – etwas aus einer Idee zu entwickeln, auszuprobieren.

»Punk war ja auch eine Gegenbewegung zum Hippietum gewesen – eine Rebellion gegen diesen friedlichen Utopismus, gegen dieses sanfte, bekiffte Quasseln die ganze Zeit.« Madlaina Peer

Madlaina Peer: Ein langjähriger Freund von uns seit den siebziger Jahren, der ebenfalls Musiker ist, Stephan Wittwer, hat uns mit Equipment ausgeholfen: mit Synthesizern, Boxen, Mikrophonen. Damit haben wir den Proberaum eingerichtet, den wir jetzt haben.

Klaudia Schifferle: Wir dachten zu keiner Sekunde: »Oh, blöd – drei Bassistinnen!« Keine von uns hat sich gefragt, wie das eigentlich klingen wird. Wir hatten eigentlich gar nichts überlegt – einfach aus dem Grund, weil wir alle dieses Instrument lieben.


Hattet ihr eure Bässe behalten?

Madlaina Peer: Ja, hatte ich.

Klaudia Schifferle: Ich hatte meinen auch behalten, der war aber nicht mehr bundrein und ich konnte nicht mehr drauf spielen, weil er so viel Geschichte drauf hatte. Ich habe in keiner Band mehr gespielt und lange in Italien und im Tessin gelebt. In Mailand hatte ich mir eine kleine Gitarre gekauft und immer am Fenster gespielt, weil ich mich so einsam fühlte; im Tessin dann ein Keyboard. Ich hatte zwei Mal ein Wochenende zum Musizieren organisiert, zu dem auch viele Leute kamen, das hatte mich aber überhaupt nicht gepackt, da war einfach nichts.

Sara Schär: Ich war die ganze Zeit dran, von einer Familienpause einmal abgesehen.


Wie würdet ihr eure jetzige Arbeitsweise beschreiben?

Klaudia Schifferle: Für mich ist es eigentlich ähnlich wie früher. Ich mag es, wenn jemand mit einer Idee kommt und dann zusammen etwas entsteht. Wir haben mit einem ganz einfachen Song begonnen, mit drei Bässen und einer Drummachine; die Bässe haben wir verschoben gespielt. Das hat mir gefallen und ich dachte, dass wir vieles herausfinden könnten. Wir spielen ohnehin alle sehr verschiedenen Bass – ich zum Beispiel mit den Fingern, die beiden anderen mit Plättchen. Man merkt auch die stilistischen Unterschiede.

Sara Schär: Wir haben eine andere musikalische Prägung.

Madlaina Peer: Klaudia und ich gingen früher immer zusammen aus, tanzen – zu Disco!

Klaudia Schifferle: Uns gefällt das Jammen, das Vor-sich-Hinspielen und Lustige-Sachen-Machen, und plötzlich hat man dann ein Fragment.

Sara Schär: So habe ich mein Leben lang funktioniert. Die Songs entstanden damals wie jetzt, immer im Proberaum, mit Jams. Die Arbeitsweise hat sich eigentlich nicht verändert.


Einen präzisen Ausgangspunkt gab es aber schon?

Madlaina Peer: Ja: Lasst uns etwas Neues machen. Das war die Basis.

Klaudia Schifferle: Die Herausforderung bestand darin, mich zu fragen: Was bin ich bereit, zu singen – und zwar laut? Das war für mich eine größere Frage als früher, denn ich habe jetzt mehr Ansprüche an mich.

Madlaina Peer: Du hast aber immer geschrieben, Texte und Gedichte vor allem.

Klaudia Schifferle: Ja, aber eigentlich finde ich es am besten, für Songs zu schreiben. Und den Takt.
In eurem Press Release stand, dass es wieder Zeit sei, laut zu werden. Könntet ihr das konkretisieren, und zwar speziell hinsichtlich der Schweiz?

Klaudia Schifferle: Das ist global gemeint. Ich kann eigentlich nicht mehr nur über die Schweiz reden …

Madlaina Peer: … auch wenn es nach wie vor spezifische Belange gibt, die für die Schweiz typisch sind. Alles in allem ist es bestimmt eine sehr angepasste Zeit – mit der Formulierung war dieses Unbehagen gemeint, in der heutigen Welt etwas auszudrücken, und zwar laut. Punk war ja auch eine Gegenbewegung zum Hippietum gewesen – eine Rebellion gegen diesen friedlichen Utopismus, gegen dieses sanfte, bekiffte Quasseln die ganze Zeit.

Klaudia Schifferle: Heute ist alles so bleiern, so träge und so behäbig. Alle sind überfüttert und dennoch ist niemand glücklich, und die Armut nimmt zu. Viele reden darüber, was ich in meinem eigenen Freundeskreis beobachten konnte, tun aber nichts. Immerhin versuchen wir, das, was wir empfinden, zum Song zu machen. Auch als Frauen – in den siebziger Jahren habe ich erstmalig gemerkt, dass mir die Welt gar nicht so offen steht, wie ich zunächst gedacht hatte. Das hat mich schon geprägt. Ich war mit 17 an der F+F (Schule für Kunst und Design in Zürich, Anm. d. Red.) gelandet, wo ich auch den ersten Feministinnen begegnete, die überhaupt nicht nett zu mir waren, weil ich überdreht angezogen und geschminkt war.

Madlaina Peer: Das war bei mir auch so, aber in den Achtzigern! Die fanden, das geht nicht.
Klaudia Schifferle: Jedenfalls tut es mir gut, wieder Musik zu machen und laut zu sein. Es ist schließlich vieles noch nicht besser geworden, auch hier nicht. Sobald man die Städte verlässt, ist es mit der Emanzipation noch nicht sonderlich weit. Im Tessin habe ich das sehr schlimm erlebt.

Sara Schär: Für mich ist es wieder ganz eng geworden in der Schweiz, obwohl alle behaupten, sie seien frei. Wenn ich die Jugendlichen von heute sehe, sind sie in einer ähnlichen Situation.

Klaudia Schifferle: Aber damals hat es doch all diese Clubs für junge Leute nicht gegeben – das ist heute schon anders.

Sara Schär: Ja, aber sieht man ab von den wenigen Freiräumen, die es in der Stadt Zürich gibt – die Rote Fabrik und den Provitreff –, muss man konsumieren, um etwas zu erleben. Und das kostet dann 100, 200 Franken pro Abend. Es gibt wenige Räume, wo sich Jugendliche kommerzfrei ­bewegen und ihr Ding entwickeln können. Alles, was sie tun, wird kommerzialisiert. Geld ist zum Überthema geworden. Das trifft wohl weltweit zu, aber hier in Zürich spüre ich es besonders. Diese Gleichung: Arbeiten plus Konsumieren gleich Glück, das finde ich furchtbar. Das war früher nicht ganz so schlimm, ich habe aber schon vor 40 Jahren Texte darüber geschrieben.


Würdet ihr euch als politische Band bezeichnen?

Alle: (lachend) Nein!

Sara Schär: Wir würden uns nicht so bezeichnen, sind es aber natürlich.

Madlaina Peer: Heute wird jede Rebellion aufgesogen, eingebaut und benutzt. Es existiert kaum mehr etwas anderes.

Klaudia Schifferle: Ausprobieren könnte man ja genauso viel wie ­früher. Aber viele sind einfach angepasst.

Sara Schär: Es gibt jedoch viele junge Leute, die Bands gründen oder etwas anderes machen. Sie gehen wieder auf die Straße und werden laut. Über das Handy und dessen Daumen-hoch-Kultur entsteht ja nichts Neues, die Energie muss von den Menschen kommen.

Klaudia Schifferle: Viele sind einfach bequem geworden – das ist angenehm, und das einzige Thema ist dann immer: Wie werde ich glücklich? Wie langweilig ist das denn! Es blubbert einfach alles so weiter. Wohl ist aber niemandem dabei, denn das Leben zieht an einem ­vorbei.


Sagt der Umstand, dass ihr jetzt auf einem US-amerikanischen Label, Kill Rock Stars, seid, eigentlich etwas über die Schweiz aus?

Klaudia Schifferle: Auf jeden Fall. Es ist nach wie vor schwierig, über ­diese Grenze zu kommen und dann noch ein Label zu haben, das nicht reinreden will oder sagt, was man jetzt machen müsse – was wir früher erlebt haben.

Madlaina Peer: Das sagt etwas über die Schweiz aus, ja. Es war ein Riesenglück, dass Klaudia wegen der Reissue der Kleenex/Liliput-Diskographie den Kontakt zu Kill Rock Stars hatte. Ich kann mir hier in der Schweiz – oder auch in Deutschland – einfach niemanden vorstellen, der das Album mit uns gemacht hätte.

Sara Schär: Diese positive Art der Amerikaner, die schon bei jeder einzelnen E-Mail durchschlägt, tut wirklich gut.

Klaudia Schifferle: Ich erwarte hier in der Schweiz eigentlich nicht so viel. Da bin ich wohl von früher gebrannt.

Wie meinst du das?

Madlaina Peer: Die Schweiz ist ein bisschen missgünstig.

Klaudia Schifferle: Sie ist wahnsinnig missgünstig! Ich habe das mit der Musik und mit der Kunst erlebt. Das ist alles so reformiert hier.

Madlaina Peer: Erfolg wird dir in der Schweiz nicht gegönnt. Du musst raus, weg, mit deinen Sachen ab ins Ausland, wenn du Anerkennung willst – hier bekommst du sie nicht.


Das sind aber nicht alle Reaktionen, die ihr bislang bekommen habt?

Sara Schär: Nein. Auf das Konzert hatten wir sehr gute Reaktionen letztes Jahr.

Klaudia Schifferle: Von jüngeren Leuten erlebe ich viel mehr Zuspruch als von gleichaltrigen Freundinnen, die manchmal gar nicht ­darüber reden wollen.

Madlaina Peer: Manche bewundern wortwörtlich unseren »Mut«. Es eckt auch an. Ich habe einen Nachbarn, der am Tag nach dem Konzert von einer Vernissage in Winterthur kam und mir fast verärgert berichtete, dass dort alle von unserem Auftritt gesprochen hätten. Es hatte ihn wirklich genervt, dass das Aufmerksamkeit bekommen hatte.

Klaudia Schifferle: Es ist wie eine Phase, in der sich Freundschaften trennen. Viele wollen in diesem ­Lebensalter nur noch glücklich sein, genießen und loswandern – was ja okay ist. Sie können aber einfach nicht nachvollziehen, dass man jetzt auf die Bühne will.


Vivien Goldman hat beschrieben, dass das gerade auf viele Prot­agonistinnen der originären Punk-Welle zutrifft.

Sara Schär: Christine Franz, die gerade einen Film macht über Frauen im deutschsprachigen Punk, hat auch berichtet, dass die Bands, mit denen sie zu tun hat, am gleichen Punkt sind und wieder spielen.


Ist denn neben der Lust auf die Musik auch die Wut geblieben – oder gar wiedergekehrt? Die war Ende der siebziger Jahre schließlich nicht minder integral für Punk.

Madlaina Peer: Sicher. Es gibt so viel Schlechtes auf der Welt, was dich empören kann.

Sara Schär: Für mich ist nach wie vor Thema, dass es noch so viele Machterhalter gibt, Krieg, Rassismus, die Maxime Profit über alles. Außerdem treibt mich die Paarung Arroganz plus Ignoranz zur Weißglut. Musik bleibt das geeignete Mittel, sich Luft zu verschaffen.

Klaudia Schifferle: Und im Gegensatz zur Kunst, an deren Ende ein Bild oder eine Skulptur steht, die man haben kann, ist Musik direkt und jetzt. Jeder kann sie hören, jeder kann sich eine Schallplatte kaufen.

Madlaina Peer: Sie hat etwas Im­materielles.

Klaudia Schifferle: Richtig, und man kann sie bei einem Konzert teilen, das ist etwas ganz anderes als zum Beispiel bei einer Vernissage – auch wenn ich beides gut finde.


Die Frage der Abgrenzung scheint aber nach wie vor aktuell zu sein.

Sara Schär: Ja, aber das ist heute ­anders. Früher konnten wir uns einfacher abgrenzen. Die andere Welt wächst mehr in uns hinein, und du musst sehr gewieft sein, um das zu erkennen.

Klaudia Schifferle: Ich finde das schlimm für junge Leute, die in das hineinwachsen und wie in einem Spinnennetz darin verwoben sind.

Sara Schär: Sie haben allerdings Strategien, sich das zunutze zu machen und den Bumerang zurückschicken.

Klaudia Schifferle: Ja, es ist aber eine zermürbende Energie, die da gerade vorherrscht, und eine Sackgasse. Überall, in fast jedem Thema. Es braucht immer wieder Mut, sich etwas zu stellen. Das interessiert mich: Nicht bequem zu werden – und dazu gehört, sich selbst an der ­eigenen Nase zu packen.


Was ist für euch das Schönste ­daran, heute wieder Musik zu machen?

Sara Schär: Das Tun, das Kreieren, das Zusammensein. Und der kreative Prozess. Jemand hat eine Idee, wirft diese ein, und daraus wird ein Lied.

Klaudia Schifferle: Wenn man eine Weile gemeinsam geübt hat und am Ende ein Song steht, der gut kommt – das genieße ich einfach, genauso wie das Jammen und das gemeinsame Erarbeiten. Wir lachen viel dabei. Nun haben wir so viel über Politik gesprochen, für die man fast keine Worte findet, während in der Musik, die wir zusammen spielen, manchmal eine Melodie und drei Worte ausreichen – und wir spüren dann, dass das genau ausdrückt, wie es heute ist.


Was sind eure Pläne für die Zeit nach der Pandemie?

Madlaina Peer: Wir proben für die nächsten Konzerte, denn wir kamen pandemiebedingt noch kaum zu solchen. Und natürlich neue Songs zu machen.

Das Debütalbum von OneTwoThree erscheint am 15. Oktober bei Kill Rock Stars.