Die Aktivitäten der Nazi-Gruppe MKU in Russland

Mordkult der Wahnsinnigen

In Russland wurden 2021 massenweise mutmaßliche Anhänger einer ukrainischen Nazigruppe namens MKU festgenommen. Ob es dabei um verfestigte Strukturen oder ein eher subkulturelles Phänomen geht, ist schwer einzuschätzen.

Die Pressemitteilung des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB hatte es in sich: 100 Unterstützer einer ukrainischen Neonazigruppe seien in einer russlandweiten Aktion festgenommen worden, dabei seien Waffen beschlagnahmt und Terror sowie Massenmord verhindert worden. Urheber des vereitelten Komplotts sei der 21jährige Ukrainer Jegor Krasnow (Spitzname: »der Wahnsinnige«), der vom ukrainischen Geheimdienst gelenkt werde. Er sitzt derzeit in der Ukraine in Untersuchungshaft. Der angebliche Name der Gruppe: MKU, was grob übersetzt für »Mordkult der Wahnsinnigen« steht.

Der Einsatz Mitte Dezember war zwar der bisher umfangreichste, aber nicht der erste gegen den MKU. Seit etwa einem Jahr gab es in Russland schon mehrfach Festnahmen von Anhängern des vermeintlichen ukrainischen Mordkults.

2018 fing Krasnow an, in sozialen Medien unter dem Label MKU Hasspropaganda und Videos von Gewalttaten zu publizieren.

Angesichts einer möglichen Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine ist die vermeintliche Verbindung in die Ukrainezumindest aus Sicht der russischen Sicherheitskräfte wohl der interessanteste Aspekt des Falls. Experten für ukrainischen Rechtsextremismus schätzen den MKU jedoch eher als randständig im dortigen rechten Milieu ein. Auch unter den in Russland Festgenommenen scheint es keine Ukrainer gegeben zu haben.

Damit ist das alleinige Bindeglied zur Ukraine die Person Krasnow. Aufgewachsen im ostukrainischen Dnipro, soll dieser eine turbulente Jugend durchlebt haben: Schon als Elfjähriger war er Medienberichten zufolge polizeibekannt, zeitweilig in psychiatrischer Behandlung, später Fußballultra und Skinhead. 2018 fing Krasnow an, in sozialen Medien unter dem Label MKU Hasspropaganda und Videos von Gewalttaten zu publizieren. Die anscheinend in Dnipro gefilmten Videos sind eine bizarre, in hektischer Tiktok-Manier zusammengeschnittene, ideologisch wirre Mischung aus Naziästhetik und Snuff. Sie zeigen, wie Krasnow und eine Handvoll Mittäter Menschen mit Stiefeltritten, Steinen und Messern malträtieren. Seit Anfang 2020 sitzt Krasnow wegen Verdacht auf Raub und Mordversuch in Dnipro in Untersuchungshaft. Im Gespräch mit dem Journalisten Andrej Soschnikow rühmte sich »der Wahnsinnige« damit, 15 Menschen ermordet zu haben.

Damit hätte die Geschichte als verstörender Fall lokaler sadistischer Jugendgewalt ohne große politische Relevanz enden können. Doch in Russland scheint der MKU weiterzuleben. Das Moskauer Informations- und Analysezentrum Sowa, Russlands wichtigste unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, bekam im Sommer E-Mails mit der Botschaft: »Und ihr sagt den MKU gibt es nicht?:) Wir töten weiter auf den Straßen eurer Städte, und wenn es dunkel wird, bleibt ihr besser zu Hause.« Angehängt waren MKU-typische Gewaltvideos unklaren Ursprungs.

»Da meinte wohl jemand, sie hätten mehr Ruhm verdient und wir würden sie nicht genug beachten«, sagt der Leiter von Sowa, Aleksandr Werchowskij, der Jungle World. Inwieweit der MKU als Organisation betrachtet werden sollte, sei bisher aber schwierig zu sagen. »Ich glaube nicht, dass es hierbei um eine Organisation in dem Sinne geht. Es gab da so Gruppen auf VK (dem wichtigsten sozialen Medium in Russland, Anm. d. Red.), mit ein paar Mitgliedern«, sagt er. Die Angaben der Sicherheitsbehörden seien mit Vorsicht zu genießen. Zwar seien die Ermittlungen wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen, doch müsse man wohl davon ausgehen, dass die Ausmaße des Netzwerks übertrieben würden. Auch die in Russland herrschende Hysterie bei allen Themen mit Bezug zur Ukraine erschwerten eine realistische Einschätzung der Lage: »Wie viele von den nun Verhafteten welche Gewalttaten verübt haben oder mit dem MKU in Verbindung standen, wissen wir nicht.« Werchowskij betrachtet den MKU eher als loses subkulturelles Phänomen in Russlands rechtem Milieu.

Sollte der MKU in Russland tatsächlich Nachahmer hervorgebracht haben, wäre dies historisch interessant. Anfang der nuller Jahre war rechter Straßenterror in vielen russischen Großstädten verbreitet. Besonders junge Migranten mussten bei jeder Metrofahrt und beim nächtlichen Heimweg damit rechnen, brutal überfallen und im schlimmsten Fall ermordet zu werden. Staatliche Stellen ignorierten das Problem lange. Das änderte sich jedoch um das Jahr 2010 herum. Nach einer Reihe öffentlichkeitswirksamer Gewalttaten begannen die Behörden, die militanten rechten Strukturen als Bedrohung wahrzunehmen. Spätestens als Tausende Faschisten und rechte Ultras im Dezember 2010 vor den Toren des Kreml randalierten, entschied sich der Staat, dass es Zeit sei durchzugreifen.

Die wichtigsten rechtsextremen ­Organisationen wurden verboten, ihre Führer und viele ihrer aktivsten Anhänger kamen ins Gefängnis. Das zeigte Wirkung: Nach Daten von Sowa sank die Zahl der jährlich bekannt gewordenen rechten Gewalttaten Ende der nuller Jahre. Auch optisch wurde der rechtsextreme Stil in dieser Zeit dezenter. Nazis trugen nun oft Sneakers und Trainingshosen statt Stiefel und Bomber­jacken.

Die angeblichen MKU-Anhänger in Russland erinnern auch in modischer Hinsicht an die nuller Jahre. In einem Video, das im Januar 2021 auf Youtube auftauchte und zwar nicht verifizierbar ist, aber authentisch wirkt, sieht man einen eingeschüchterten Mittzwanziger mit rasiertem Kopf, Bomberjacke und Runenaufdruck auf dem Shirt, der auf dem Rücksitz eines Autos von russischen Sicherheitsbeamten zu seinem Verhältnis zu Krasnow befragt wird.

Aleksandr Werchowskij zufolge gibt es mehrere Gründe für ein solches »subkulturelles Revival«: »Einerseits scheint mir das typisch zu sein, dass alle zehn bis 15 Jahre so eine Nostalgie einsetzt. Außerdem ist die große Verhaftungswelle inzwischen über zehn Jahre her. Damals kannten alle einen Kameraden, der ins Gefängnis kam. Unter den Jüngeren gibt es diese persönliche ­Dimension nicht mehr, sie haben weniger Angst.«

Ein dritter Faktor, der Werchowskij zufolge für die Renaissance der Gewaltvideos relevant sein könnte, ist der Tod Maksim Martsinkewitschs. Besser bekannt unter dem Pseudonym »Tesak« (das Beil), war dieser Mitte der nuller Jahre der bekannteste Produzent faschistischer Gewaltvideos in Russland. Im September 2020 wurde Tesak tot in seiner Tscheljabinsker Gefängniszelle aufgefunden. Den Behörden zufolge hatte er sich das Leben genommen; seine Anhänger sind überzeugt, er sei ermordet worden. »Martsinkewitsch war in Vergessenheit geraten, aber mit seinem Tod wurde er unglaublich populär«, sagt Werchowskij. Inwieweit es »dem Wahnsinnigen« gelungen ist, das Erbe vom »Beil« fortzuführen und in Russland eine neue Welle von für Videos inszenierter Straßengewalt anzustoßen, wird sich noch zeigen müssen.