Der Nazi Thorsten Heise und der Fretterode-Prozess

Hakenkreuze im Eichsfeld

Der Neonazi Thorsten Heise wurde angeklagt, weil er sein Haus in Fretterode im thüringischen Eichsfeld mit Hakenkreuzen verziert hat. Vor vier Jahren sollen dort Rechtsextreme zwei Journalisten angegriffen und sie schwer verletzt haben. Der Prozess läuft immer noch.
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Für Thorsten Heise dürfte die Anklage fast Routine sein. Die Staatsanwaltschaft wirft dem bekannten Naziaktivisten und stellvertretenden Bundesvor­sitzenden der NPD vor, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet zu haben. Heise hat nämlich sein Haus mit Hakenkreuzen verziert. Konkret geht es um mehrere gemeißelte Symbole an einem steinernen Türsturz.

Das Gebäude steht bereits seit 2020. Die Staatsanwaltschaft ermittelte ­jedoch erst, nachdem Katharina König-Preuss, eine thüringische Landtags­abgeordnete der Linkspartei, Ende vergangenen Jahres Anzeige erstattet hatte. »Dass sich einer der bekanntesten militanten Neonazis Deutschlands, der regelmäßig von der Polizei Besuch erhält, so sicher fühlen kann, dass er öffentlich Hakenkreuze in seinem ­Garten präsentiert, ist mehr als besorgniserregend«, sagte König-Preuss dem ND.

Nach seiner Aussage vor Gericht soll ein Polizeibeamter einen Anwalt der Angeklagten gefragt haben: »War das in Ordnung, was ich da gerade gesagt habe, oder war das total kacke?«

Heise hatte sich gegenüber der DPA verteidigt, es handele sich bloß um eine Symbolik, die seit dem 15. Jahrhundert in der Architektur geläufig gewesen sei. Es ist nicht die erste architektonische Provokation Heises in Frette­rode. 2006 machte er Schlagzeilen, weil er auf seinem Grundstück ein SS-­Ehrenmal wiederaufbauen lies, welches zuvor im rheinland-pfälzischen Marienfels zerstört worden war.

König-Preuss bemerkte die Symbole im November bei einem gerichtlichen Ortstermin, der im Zuge des sogenannten Fretterode-Prozesses stattfand. Bei dem Verfahren geht es um einen Vorfall, der sich vor vier Jahren ereignet hatte. Am 29. April 2018 landete ein dunkler BMW unweit des thüringischen Hohengandern im Straßengraben. Was zunächst nach einem gewöhnlichen Verkehrsunfall klingen mag, soll das Resultat eines brutalen Angriffs zweier Neonazis auf unliebsame Journalisten gewesen sein. »Soll« muss es heißen, weil das zuständige Landgericht Mühlhausen erst jetzt, fast vier Jahre später, versucht, zu klären, was sich 2018 zugetragen hat. Dass der Prozess erst im Herbst 2021 beginnen konnte, erklärte eine Sprecherin des Landgerichts Mühlhausen dem NDR unter anderem damit, dass der Vorsitzende der Kammer vorzeitig in den Ruhestand gegangen war.

Angefangen hat die Verfolgung, darin sind sich alle Parteien vor Gericht ­einig, im kleinen Örtchen Fretterode. Die beiden Journalisten hatten Fotos von einer Versammlung auf dem Grundstück des militanten Naziführers Thorsten Heise gemacht, als die beiden Angeklagten, zwei junge Männer aus Heises Umfeld, sie angriffen und mit dem Auto verfolgten. Vor Gericht behaupten die beiden, sie hätten die Journalisten nur verfolgt, um sich das Nummernschild des Autos zu ­notieren. Nachdem der Wagen im Straßengraben gelandet war, schlugen die Angeklagten nach Aussage der Opfer die Scheiben des Autos ein, zer­stachen die Reifen und sprühten Pfefferspray in das Fahrzeug. Sie verletzten demnach einen Journalisten mit einem Messer im Oberschenkel und brachen dem anderen mit einem Schraubenschlüssel den Schädel.

Den beiden Angeklagten wird ebenfalls vorgeworfen, die Kameraausstattung der Journalisten entwendet zu haben. Dass es überhaupt Bilder der Angreifer gibt, verdankt sich der Geistesgegenwart eines der ­beiden Journalisten, der seine Speicherkarte rechtzeitig aus der Kamera entfernte und versteckte. Für die mutmaßlichen Täter war es ein Leichtes, Beweise aus deren Auto verschwinden zu lassen. Den Anwälten der Nebenklage zufolge ergab die Beweisaufnahme, »dass trotz unmittelbarer Sichtung des ­Täterfahrzeuges auf dem Gelände der Familie Heise diverse Personen unter den Augen der Beamten über Stunden etliche Gegenstände aus dem Fahrzeug entnehmen und hineinlegen konnten«. Sie teilten außerdem mit, sie hätten gehört, wie einer der befragten Polizeibeamten nach seiner Aussage einen Anwalt der Angeklagten fragte: »War das in Ordnung, was ich da gerade gesagt habe, oder war das total ­kacke?«

Auch die polizeiliche Beweissicherung am Auto der Opfer wirft Fragen auf. Ein dort gefundenes Messer wurde weder auf Fingerabdrücke noch auf DNA-Spuren überprüft. Vor Gericht sagte einer der für die Untersuchung verantwortlichen Beamten, er habe nicht gewusst, dass ein Betroffener Stichverletzung hatte und die hinteren Reifen zerstochen wurden. Deshalb habe er das Messer als unauffälligen Gegenstand eingestuft. Von den Pfefferspraybehältern wurden DNA-Spuren genommen, die zu einem der Angeklagten passen. Von dem Schraubenschlüssel fehlt bis auf ein von den ­Journalisten aufgenommenes Foto jede Spur.

Der vom Gericht bestellten Gutachter Dr. Muggenthaler hielt einen Schraubenschlüssel als Tatwaffe für wahrscheinlich, berichtete die Beobachtungsstelle NSU Watch. Sowohl der Schlag mit dem Schraubenschlüssel als auch der Messerstich seien potentiell ­lebensbedrohlich gewesen. Trotzdem wird der Angriff in der Anklage nicht als versuchte Tötung gewertet, sondern nur als Körperverletzung und schwerer Raub.

Der Angeklagte Gianluca B. hat behauptet, die Journalisten hätten ihm mit einem Baseballschläger den kleinen Finger gebrochen. Am Tag des ­Angriffs hatte der Angeklagte im Krankenhaus allerdings angegeben, er habe ihn sich in einer Autotür eingeklemmt. Der Gutachterin Professor Dr. Gita Mall zufolge habe es am Finger eine Hautwunde gegeben, die eher auf eine Quetschung hinweise. Die Angeklagten hatten behauptet, die Journalisten hätten den Baseballschläger mit sich geführt. Die Schäden am Baseballschläger selbst weisen Muggenthaler zufolge jedoch eher darauf hin, dass damit statische Gegenstände bearbeitet worden seien. Das würde zu den schweren Schäden am Auto der beiden Journalisten passen.

Bundespolitische Bedeutung hat der Prozess auch aufgrund eines prominenten Bekannten von Thorsten Heise: Nur sechs Kilometer von Fretterode liegt Bornhagen. Dort lebt der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke. Die beiden kennen sich seit mindestens 2008, als Heise Höcke beim Umzug half. In Heises Zeitschrift Volk in Bewegung & Der Reichsbote schrieb zudem ein Autor namens Landolf Ladig. Sprachvergleiche von Texten Ladigs und ­Höckes, die zuerst der Sozialwissenschaftler Andreas Kemper anstellte, ­legen nahe, dass es sich bei Ladig um ein Pseudonym des AfD-Politikers handelt. Höcke bestreitet dies, verweigert aber eine eidesstattliche Versicherung, wie sie sogar der AfD-Bundesvorstand gefordert hatte.