Homestory

Homestory #18

Homestory Von

Als der Außen- und der Verteidigungsminister der USA Ende April Kiew besuchten, wurde der genaue Termin vorher geheimgehalten. Man muss es Wladimir Putin ja nicht zu einfach machen, falls er auf weitere dumme Ideen kommen sollte. Als der UN-Generalsekretär Antonio Guterres vergangene Woche direkt im Anschluss an einen Moskau-Besuch in Kiew vorbeischaute, schlugen dort russische Raketen ein. Die Jungle World spielt im großen Weltgeschehen freilich keine Rolle und fliegt vermutlich unter dem ­Radar des Kreml. Deshalb kann hier wohl gefahrlos angekündigt werden, dass ein Redakteur Ihrer Lieblingszeitung sich gerade im westukrainischen Lwiw aufhält. Er begleitet eine Delegation des European Solidarity Network with Ukraine (ESNU), die sich dort mit ukrainischen Linken und Gewerkschaftlerinnen treffen will und an der sich auch Kolleginnen und Kollegen der Zeitungen Analyse & Kritik aus Hamburg und Woz aus Zürich beteiligen.

Ende vergangener Woche wurde klar, dass eine weitere Aufgabe hinzukommt, nämlich der Versuch, den Gastgebern zu erklären, wie es im Oberstübchen der Dichter und Denker zugeht. Ein offener Brief ist erschienen, in dem die Speerspitze der deutschen ­Intelligenz Konzepte zur Lösung des Kriegs formulierte – und die müssen selbstverständlich dringend an die Ukrainerinnen übermittelt werden. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs, der auf der Website der Emma erschien, gehören Lars Eidinger, Dieter Nuhr, Alice Schwarzer und Martin Walser. Vor allem Letzterer hat bekanntlich Kriegserfahrung und ist damit besonders berufen, Osteuropa ein paar Lektionen zu erteilen.

Der Brief richtet sich zwar eigentlich »hochachtungsvoll« an den »sehr geehrten Herr Bundeskanzler«, enthält aber allerlei Ratschläge, auf die in Lwiw sicher sehnsuchtsvoll gewartet wird. Zum Beispiel wird dort ein »Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können«, gefordert. Dass es so etwas geben könnte, scheint in der Ukraine noch nicht richtig angekommen zu sein, dort neigt man noch dazu, der erklärten russischen Absicht, den ukrainischen Staat zu zerstören, eher kompromisslos entgegenzutreten.

In der Ukraine mag man vielleicht glauben, sich gegen den russischen Angriff zu wehren, weil man dadurch ukrainische Zivilisten vor den russischen Invasoren schützt. Aber um diesen Irrtum zu beheben, muss man ihnen ja gerade die Weisheiten von Schwarzer und Walser mitteilen. Die deutschen Briefeschreiber gestehen zwar zu, es gebe »eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht« zur Gegenwehr, doch das »hat Grenzen«. Dabei sorgten sie sich vor allem um das Leiden der ukrainischen Zivilisten, denn »der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis«. Gemeint scheint zu sein, dass im Krieg die Zivilbevölkerung leidet, weshalb die Ukraine nun endlich die Gegenwehr einstellen solle. Dann muss zumindest Schwarzer nicht mehr darunter leiden, sich den Krieg im Fernsehen anzuschauen.