Ein Gespräch mit der Fotografin Evelyn Kutschera über ihre Begeisterung für den Stil der Skinheads

»Ich porträtiere nur antifaschistische Skins«

Die in der Arbeiterjugend der sechziger Jahre in Großbritannien entstandene Subkultur der Skinheads findet immer wieder neue, junge Anhänger in der ganzen Welt. Dieses Phänomen fasziniert die Schweizer Fotografin Evelyn Kutschera, ihr Fotoprojekt »Skinheads« ist fast schon zu einer Art Lebensaufgabe geworden.
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Seit über zehn Jahren porträtieren Sie Skins. Woher kommt Ihre ­Faszination für das Fortleben britischer Subkultur der späten Sechziger?

Mit Menschen, die sich von der Masse abheben, konnte ich mich schon immer identifizieren. In meiner Kindheit fand ich die Skater cool, später waren es Indie-Rock-Kids und Punks. Ich mag Leute, die nicht einfach alles mit Ja und Amen akzeptieren und die sich trauen, ihren eigenen Stil und ihre Individualität auszuleben. Der Stil der Punks war mir irgendwie zu wild und edgy, der Skinhead-Look, der durchaus auch für die Arbeitswelt passabel ist, hat es mir sofort angetan.

Die Skinhead-Subkultur gilt als am gründlichsten missverstandene Jugendkultur überhaupt. Sehen Sie das auch so? Ist es für Sie eine Mission, mit Ihren Bildern an Vorurteilen zu rütteln?

Mein Fotoprojekt über die zeitgenössische, junge Skinhead-Szene ist ein sehr persönliches. Angefangen damit habe ich 2010 in England während meines Studiums der Dokumentarfotografie und des Fotojournalismus. Ein Jahr zuvor kam ich das erste Mal mit der Jugendkultur in Berührung und war sofort fasziniert von der für mich neuen Musik und dem brillanten Stil. In der Uni-Bibliothek fiel mir bei der Recherche für ein anderes Projekt das Buch »Skins« von Gavin Watson in die Hände und es inspirierte mich, meine eigenen Fotos der heutigen Szene zu schießen. Da es meiner Meinung nach gar keine rechtsradikalen Skinheads geben sollte, habe ich mich von Anfang an klar dafür entschieden, nur antifaschistische Skinheads zu porträtieren.

Sie nennen Gavin Watson als eine Inspirationsquelle. Mit seinen ­Fotobüchern aus seiner eigenen Skin-Jugend in der Vorstadt – ­unter anderem eben»Skins« 1994, »Oh What Fun We Had« 2019 – will er ja auch zeigen, dass, wie er es ausdrückte, Skin zu sein ge­rade nicht bedeutet, einem »fetten Mittdreißiger-Monster mit Unterarm­tattoos aus Barnsley« zu gleichen. Was bedeutet es denn für Sie?

Als Erstes war für mich die Musik entscheidend, dann kam der smarte, aber harte Look dazu. Aber ich glaube, was einen in der Szene hält, ist der große Zusammenhalt untereinander. In der Gesellschaft fühlst du dich oft als Außenseiter, die Szene ist wie eine zweite Familie für viele.

Woher kommen eigentlich Ihre Models, wie finden Sie zueinander?

Anfänglich habe ich meine Modelle über Facebook gefunden. Ich habe damals einfach szenerelevante Begriffe ins Suchfeld eingetippt, die Profile durchgeschaut, und wenn ich jemanden interessant fand, habe ich ihn kontaktiert und gefragt, ob ich ich ihn für mein Projekt fotografieren dürfe. Später war ich immer mehr vernetzt in der Szene und so fiel es mir leichter, neue spannende Gesichter zu finden. Aber auch heute noch kontaktiere ich die Skinheads oft über die sozialen Medien.

Wo wir gerade beim Look waren: Skinhead zu sein, ist ja auch eine Stilfrage. Sie haben mit Gavin Watson für die britische Modemarke Fred Perry gearbeitet, selbst fotografieren Sie für Merc, eine weitere typische Marke, die den klassischen Stil der Stil der Sechziger fortführt. Sehen Sie einen Unterschied zwischen Werbe- und Dokumentarfotografie?

Egal ob persönliches Projekt oder Business, ich versuche, meinem Stil treu zu bleiben. Den Auftrag für Merc habe ich erhalten, weil ihnen meine Handschrift als Fotografin ­gefällt. Die Herangehensweise bei der Werbefotografie differenziert sich für mich dadurch, dass ich zusätzlich auf die Präsentation des Produkts achten muss, trotzdem bevorzuge ich aber echte Skinheads und echte Punks als Modelle für die Fotos, alles andere verliert für mich die Authentizität.

Ihre Skinhead-Porträts dokumentieren und stilisieren zugleich. Das unterscheidet Sie von der Alltagsfotografie eines Martin Parr oder einer Benita Suchodrev, die auf ihre eigene schwarzhumorige oder auch traurige Weise Alltag und Amüsement der Prekarisierten dar­stellen. Hängen Sie da eher der ­alten Mod-Idee an: Wenn ich schon arm bin, möchte ich wenigstens nicht auch noch arm aus­sehen?

Martin Parr ist ein großartiger Fo­tograf, und ich bin ein Riesenfan von ihm. Seine Vorgehensweise unterscheidet sich dadurch von meiner, dass er den »decisive moment« nutzt und seine Sujets Fremde sind, die er mit seiner Kamera überrascht. Meine Porträts sind gestellte Bilder, eher im Stil von Rineke Dijkstra, James Mollison oder Anna Skladmann.

Es ist mir ein Anliegen, meine Sujets sowohl natürlich darzustellen als auch im bestmöglichen Licht. Der Mensch hinter dem boots and braces-Outfit liegt mir am Herzen und ich versuche, eine Verbindung zu der Person aufzubauen, und möchte, dass meine Modelle ihren Spaß haben und sich wohlfühlen bei den Shoots. Durch die Verwendung von Stativ, Belichtungsmesser, manuellem Fokus und Mittelformatfilm wird der Prozess extrem entschleunigt. Meist vergeht mehr Zeit mit dem Suchen der perfekten Umgebung und des perfekten Winkels als mit der Fotografie.

»James«, Fotografie von Evelyn Kutschera

James. Im typischen Schaffellmantel vor brutalistischer Architektur

Bild:
Evelyn Kutschera

Das modische Faible für klare Konturen und klassische Schnitte setzt sich in der gewählten Umgebung fort. Ihre Porträts entstehen nicht selten vor brutalistischer Architektur und alten Industriegebäuden, im Gesamteindruck wirken sie wie eine Art Hommage an die Moderne …

Brutalismus fasziniert mich extrem. Vielleicht liegt es daran, dass ich in einem Kuhdorf in der idyllischen Schweiz aufgewachsen bin, das Gegenteil von Beton und Großstadt­dschungel; vielleicht liegt es auch an der linksalternativen Hausgemeinschaft, in der ich groß geworden bin, denn da gab es sehr viel Sichtbeton. Wer weiß es schon … Für mich passen Beton brut und der Skinhead-Stil gut zusammen. Beides ist geradlinig, hart und aufs Wesentliche reduziert.

In diesen Tagen geht Ihre in der Londoner Brick Lane Gallery ­gezeigte Ausstellung »Skinheads« zu Ende. Bekommen wir demnächst die Gelegenheit, sie auch in Deutschland zu sehen? Ist die deutsche Szene für Sie von Interesse?

Das Skinhead-Projekt ist ein langfristiges Projekt. Es hat damals im kleinen Rahmen angefangen und hat sich dann über die Jahre in eine Art Lebensprojekt gewandelt. Mein Ziel ist es, die Szene in möglichst vielen Ländern festzuhalten, um zu zeigen, wie eine kleine Subkultur aus East London überall auf der Welt ­immer noch so viel Admiration und Anklang findet. Ich finde es auch spannend, kulturelle Einflüsse und Nuancen bei Skins anderer Nationen zu beobachten. Deutschland steht natürlich auch auf der Liste, bis München und Villingen-Schwenningen habe ich es ja immerhin schon geschafft. Gerne würde ich die Ausstellung auch nach Berlin bringen, und die Berliner Szene steht definitiv auch auf dem Plan!

Die Fotografin Evelyn Kutschera (Jahrgang 1986) hat an der Universität von Gloucestershire studiert und lebt in Schaffhausen (Schweiz). Neben Skinheads sind ihre Lieblingssujets Konzertszenen, Stadtlandschaften und klassisch britische Mode.