Soundtrack eines Massenmords
Das Internationale Festival für lyrische Kunst in Aix-en-Provence ist gerade zu Ende gegangen. An dem geschichtsträchtigen Ort werden alljährlich im Juli Opern und Orchesterwerke aufgeführt. Hauptspielort ist eine moderne Bühne im Hof des barocken Erzbischofspalasts. Die Stadt liegt in der provenzalischen Landschaft, deren unvergleichliche Lichtstimmung Paul Cézanne eingefangen hat. Doch das Festival will keine gefällige Begleitmusik vor landschaftlicher Kulisse liefern. Der seit 2019 amtierende Intendant Pierre Audi hat den Anspruch, dass die Aufführungen nicht bloß einen genussreichen Abend auf einer provenzalischen Terrasse verlängern sollen.
Dieser gegen jede Kulinarik gerichteten Maßgabe verpflichtet ist allem Anschein nach die Mahler-Adapation des italienischen Regisseurs Romeo Castellucci. Abseits der üblichen Spielstätten richtet er unter dem Titel »Résurrection« Gustav Mahlers monumentale Auferstehungssinfonie szenisch ein. Nicht zuletzt, weil seine Inszenierungen darauf angelegt sind, die Grenzen des (Musik-)Theaters auszuloten, genießt Castellucci den Ruf eines Skandalregisseurs.
Schon der Spielort fällt aus dem Rahmen: ein Hallenbau bei Vitrolles (Bouches-du-Rhône), einem im postindustriellen Ödland zwischen Aix, Marseille und dem Flughafen gelegenen Vorort. Das in den neunziger Jahren als Veranstaltungsort für Sportveranstaltungen entstandene, dann bald wieder aufgegebene schwärzliche Betonungetüm liegt vor einer in der Landschaft klaffenden Wunde: Am Hang dahinter wurde das Aluminiumerz Bauxit abgebaut, zurückgeblieben ist eine karmesinrot leuchtende Schlammhalde.
Die Inszenierung dieses Bühnengeschehens zeichnet sich dadurch aus, keine Inszenierung sein zu wollen. Alles ist so organisiert, dass es wie das detailgetreue Abbild einer aus den Medien bekannten Wirklichkeit erscheint.
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