Im sächsischen Staupitz können Nazis ungehindert Rechtsrock-Konzerte besuchen

Ein buchhalterischer Umgang mit Neonazis

Ein Gasthof im nordsächsischen Staupitz hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der bedeutendsten Orte für Rechtsrockkonzerte in der Bundesrepublik entwickelt. Die Veranstaltungen stoßen auf keinerlei Widerstand, die lokale Politik sieht offenbar kein Problem.

Noch fünf Konzerte, dann könnte es amtlicherseits möglicherweise zu viel werden. Fünf Konzerte hat es in diesem Jahr bereits gegeben – zehn Konzerte stellen das Limit dar. So lautet eine Vereinbarung, die die Behörden mit dem Eigentümer des Alten Gasthofs in Staupitz, einem Ortsteil der sächsischen Kleinstadt Torgau, getroffen haben. In den achtziger und neunziger Jahren fanden in dem Gasthof des Orts mit 300 Einwohnern noch Discos für junge Menschen aus den umliegenden Dörfern statt, doch seit 2008 hat er sich zu einem der wichtigsten Hotspots für Rechtsrockkonzerte entwickelt. Während es antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen in anderen sächsischen Orten, zum Beispiel Ostritz, gelungen ist, den Ablauf der dortigen Nazikonzerte zu erschweren, können ex­trem rechte Bands in Staupitz bis auf weiteres ungestört vor maximal 250 Zuschauerinnen und Zuschauern spielen. Nazis müssen hier weder Polizeikontrollen noch einen frühzeitigen Abbruch befürchten.

Das antifaschistische Leipziger Rechercheprojekt Chronik LE kommt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht zu dem Ergebnis, dass seit 2008 in Staupitz 112 Rechtsrockkonzerte mit 187 verschiedenen Bands stattgefunden haben. Die Bands seien nicht nur aus europäischen Ländern, sondern auch aus Aus­tralien, Japan und den USA angereist. Einer Kleinen Anfrage der sächsischen Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linkspartei) zufolge habe das bislang letzte Konzert Anfang Juli stattgefunden; angekündigt waren die Bands D.S.T. (Deutsch, Stolz, Treue) aus Berlin, Blutzeugen aus Dresden und Uwocaust, ein Musikprojekt des umtriebigen Rechtsrockers Uwe Menzel aus Brandenburg.

Das antifaschistische Rechercheprojekt Chronik LE kommt zu dem Ergebnis, dass seit 2008 in Staupitz 112 Rechtsrockkonzerte mit 187 verschiedenen Bands stattgefunden haben.

Das Gasthaus befindet sich Chronik LE zufolge im Besitz eines Neonazis namens Andreas B., welcher es verschiedenen neonazistischen Gruppen und Kameradschaften sowie Konzertveranstaltern und Labels zur Verfügung stelle. Einem früheren Bericht des MDR aus dem Jahr 2017 zufolge bestätigten Anwohnerinnen und Anwohner diese Einschätzung. »Der hängt praktisch drin in der Szene. Der Vater war damals auch nicht weit weg davon«, hieß es beispielsweise. Das der Gasthof als Veranstaltungsort sich so lange im Besitz eines Neonazis befinde, die Anzahl und Kontinuität der Konzerte sowie das Arrangement zwischen Neonazis und lokalen Behörden machten den Fall, wie Chronik LE schreibt, in Deutschland einzigartig.

Die damalige Bürgermeisterin Romina Barth (CDU), die kürzlich aus dem Amt geschieden ist, wies jede Verantwortung von sich. Auf Nachfrage des MDR sagte Barth 2017, dass sich der Verantwortungsbereich auf das Gewerbe- und Bauordnungsrecht beschränke und man für Inhaltliches nicht zuständig sei. Im Gespräch mit der Jungle World sagt Kerstin Köditz, dass das Ordnungsamt in Torgau in der Anfangsphase noch versucht habe, mit ordnungsrechtlichen Auflagen die Konzerte zu verhindern. Dem Eigentümer sei es jedoch gelungen, die Auflagen zu erfüllen. Der Veranstaltungsort sei damit »in einem gewissen Rahmen legalisiert« worden. Zehn Konzerte pro Jahr mit jeweils nicht mehr als 250 Teilnehmenden habe das Ordnungsamt ­genehmigt.

Chronik LE zufolge habe der Konzertort Staupitz andere Orte in der Region wie Belgern-Schildau, Colditz und Delitzsch ersetzt, an denen zuvor Veranstaltungen der extrem rechten Musikszene stattfanden. Auch vom Wegfall von NPD-Strukturen habe der Alte Gasthof profitiert. »Durch den Besitzer öffneten sich in Staupitz die Pforten für ein Szenepublikum, das bisher in der Region auf kleinere Locations angewiesen war«, sagt Köditz. Der Landtagsabgeordneten zufolge erfüllt Staupitz auch eine wichtige kommerzielle Funktion, schließlich kosteten die Konzerte Eintritt, zudem würden Getränke und Merchandise verkauft. Die extrem rechte Szene müsse dort kein Versteckspiel treiben. Während in der Zeit der Covid-19-Pandemie der rechtsextreme Konzertbetrieb bundesweit deutlich eingebrochen sei, habe der Gasthof in Staupitz weitergemacht. »Man wird dort bald wieder das Vor-Corona-Niveau ­erreichen«, befürchtet Köditz.

Handelte es sich anfangs meist um »klassische« Rechtsrockkonzerte, sind Köditz zufolge in den vergangenen Jahren »braune Spielarten« von Hardcore und Black Metal zum Angebot hinzugekommen. Einer aktuellen Publikation des Demokratievereins Kulturbüro Sachsen zufolge hätten in Staupitz in den vergangenen 14 Jahren mehrfach Konzerte stattgefunden, »die vom Blood & Honour-Umfeld und seinen Nachfolgestrukturen beworben worden sind oder bei welchen Bands aus dem Blood & Honour-Umfeld aufgetreten waren«. Das 1987 in England gegründete neonazistische Netzwerk Blood&Honour, dessen deutscher Ableger seit 2000 verboten ist, prägte eine international agierende extrem rechte Musikszene und besaß mit der Unterorganisation Combat 18 einen bewaffneten Arm.

Dem Kulturbüro Sachsen zufolge sei Staupitz nicht nur innerhalb Sachsens der bedeutendste Konzertstandort für Rechtsrock, sondern habe sich auch bundesweit einen Namen gemacht. Das Erfolgskonzept, »auf einem Privatgrundstück die nötigen Auflagen zu erfüllen und in einem Agreement mit den zuständigen Behörden dann Rechtsrockkonzerte stattfinden zu lassen«, ist dem Demokratieverein zufolge in zahlreichen anderen sächsischen Orten wie beispielsweise Langenhennersdorf inzwischen kopiert worden.

Versuche, das Problem in Torgau zu thematisieren, wurden Köditz zufolge bisher mit dem Vorwurf abgewehrt, ein »Nestbeschmutzer« zu sein. Die Landtagsabgeordnete vermutet, dass die Verwaltung »punktuell sogar ganz froh« sei, das Geschehen »einigermaßen unter Kontrolle« zu haben, »indem man es in geregelten Bahnen stattfinden lässt«.