Im Bett mit Quastenflossern

Tiere sehen gut aus und machen alles richtig. Naturfilme sind noch beliebter als die Sportschau

Allein den edelsten Motiven scheint der Tierfilm zu entspringen, nämlich über unsere Umwelt aufzuklären, das Fremde näher zu bringen, unser Wissen über das Leben auf dem Planeten zu vertiefen, kaum je erreichbare Spezien und Subspezien vorzustellen, Partei zu nehmen für den Erhalt von Natur und Artenvielfalt, auch die härtere Wahrheit des Kampfes ums Dasein nicht zu verschweigen, zu bilden, zu unterhalten und außerdem das allgegenwärtige Menschenwerk kritisch zu hinterfragen - das macht ihn populär, so überaus beliebt, ja noch beliebter als zum Beispiel Busenfilme und Bundesligaübertragungen: "Fischotter beliebter als Busen und Bundesliga", staunte unlängst Bild am Sonntag, und das sollte doch, wenn's stimmt, zu denken geben.

Rund fünf Millionen verfolgen regelmäßig die ARD- "Expeditionen ins Tierreich", nicht viel weniger hocken vor dem "Abenteuer Zoo", mehr als zwei Millionen sehen Desirée Nosbusch in "Natürlich" auf RTL oder die "Tierzeit" auf Vox. Es wird genommen, was reinkommt, beispielsweise "Gefleckte Großkatzen", "Die Paviane mit dem roten Fleck" oder "Wunderbare Welt: Unterwasserwelten"; wieder aufgelegte Grzimek- und Sielmannfilme gefallen ebenso wie die Action-, Quiz-, Spaß- und Entertainmentserien von "Mich laust der Affe" bis "Im Reich der wilden Tiere", die neuerdings auf allen Kanälen laufen - wenn nicht gerade die fürsorglichen Formate, "Tiere suchen ein Zuhause" oder "Tiersprechstunde", im Programm sind.

Die Leute, ob linksgestrickt oder rechtsgewickelt, ob Funny-van-Dannen- oder Nicole-Fans, wollen das offenbar, und Quote macht's ja auch wunderbarerweise. Je weiter die Vernichtung der realen Lebensräume fortschreitet, umso emsiger wird gefilmt, gesendet und, logisch, dann auch ge-tv-t , was z.B. Hermann Peter Piwitt gern und ausgiebig getan haben muß, mit dem bekannten Effekt, jetzt "Menschenrechte für Menschenaffen" bzw. die Todesstrafe für Wilderer zu ventilieren. Schlimm.

Indes Tierliebe hin, Misanthropie her, die Frage bleibt, was eigentlich die Leute an den immer wiederkehrenden Banalitäten, Trivialitäten und Vulgaritäten des Genres interessiert? Schwer zu sagen, ob's die "deutsche Megatugend, die Verbindung von Sentimentalität und Brutalität" ist, wie Georg Seeßlen in "Animal Charme" (konkret) schreibt, oder allein die biedere und gefällige Ästhetik mit Spannungsbogenknick und Väterchen Erzähler? Man will's fast nicht so genau wissen - zumal bei der Visitation all der Spezifikationen der Spezies auch noch eine grundsympathische Zugewandtheit zu unseren planetarischen Gattungskollegen mitschwingen soll, was natürlich gelogen ist.

Fest steht freilich: Tiere sehen gut aus, sind fotogen, und es ist wunderbar, ihnen beim Jagen und Fressen und Poppen zuzusehen und dabei sein gutes Gewissen zu pflegen. Sie machen alles richtig und haben, anders als wir mit Zweifeln und Freveln sonder Zahl belegten Sohlengänger, quasi von Natur aus keine Schuld und keine anderen Sorgen, als sich um sich selbst zu kümmern. Ihre Welt ist in Ordnung, solange nicht der Mensch seinen Fuß in sie hinein setzt. Es gibt keine Bösen, alle sind gut, rechtschaffen, unkompliziert und irgendwie vernünftig. Die Starken fressen, mit Recht, die Schwachen, doch diese können auch, wenn sie zusammenhalten, Glück haben. Nur der Mensch stört, wo er ist, es sei denn, es handelt sich um den untadeligen Naturschutzaktivisten vor Ort oder das Filmteam, das uns auf dem laufenden hält.

Seeßlen hat die Entwicklung des Genres als Geschichte der Vereinigung der suggestiven Welt da draußen mit dem deutschen Wohnzimmer analysiert und gezeigt, wie anfangs hier - also bei Grzimek und Sielmann - "all das verlorene der deutschen Ideale, die Familie, die Erziehung, die Hierarchie, das ÝGesetz der NaturÜ, die Faszination der Grausamkeit; seltsames Raunen von Volk und Rasse, Lebensraum und Artgerechtigkeit in netter Form" reproduziert wurden - ein Part, den bis zu seinem Tod vor drei Jahren der kongeniale Hajo Friedrichs in der "Wunderbaren Welt" (ZDF) übernommen hat, wenn auch wohl heute, anders als in den Fünfzigern, keine Familienandacht mehr vor den Mönchsbartgeiern zustande kommen dürfte.

Enervierend am Tierfilm ist, abgesehen von dem durchaus verdächtigen Engagement für bedrohte und womöglich aussterbende Arten, wahrlich mehrerlei: die gängige Vermenschlichung aller Faxen, deren Tiere vor der Kamera fähig sind; das rein pornographische und voyeuristische Interesse an den schier unvermeidlichen Begattungen und Kopulationen; der Moralismus, der sich paradoxerweise immer auf die Seite des Tierischen, also Barbarischen schlägt; die Stereotypen und fest umrissenen Feindbilder von den "Robbenschlächtern" oder den auf Nashorn-Hörnern und Tigerhoden versessenen Asiaten; das immer wieder herausgekehrte Humorige, Possierliche, Liebenswerte, Affige (die Toyota-Affen); das Pathos, Schicksalsgeraune und die gängige Beschwörung des Exotischen; die Pädagogik und die volksschulhafte Penetranz, damit verbunden das heillose Führer- und Naturführerprinzip; das wichtigmacherische Forscher- und Expeditionsleitergetue; der passionierte Blick überall hin, in den Mastdarm des Mastodons, ins Spechtnest, ins Schlafzimmer der Quastenflosser; die tumbe Ausdauer, mit der noch das letzte Wasserloch in der Savanne über Monate und Jahre hinweg beobachtet wird; die Dramaturgie der Bilder mit ihren ständigen Nahaufnahmen, Zeitlupen, verfolgenden Kamerabewegungen - und, um hier abzubrechen, überhaupt die vorsätzliche Vorführung und Zumutung all dieser bepelzten, fedrigen, wurmartigen, gepanzerten und alle möglichen Krankheiten übertragenden Kreaturen. Was ein zähes Zeug auch, was ein unerquicklicher Quatsch!

Eine Welt ohne Tierfilme wäre zweifellos eine bessere Welt, doch sie dürfte Utopie bleiben. Denn einerseits weckt die ökologische Katastrophe das Bedürfnis nach immer mehr Tierfilmen, andererseits aber scheinen sie ja auch notwendig und sinnvoll, diese eventuell doch noch am Ende womöglich aufzuhalten. So entsteht ein zirkulärer Prozeß, der fortlaufend neue Tierfilme hervorbringt, die von immer mehr Leuten gesehen werden. Erst wenn einmal alle Tiere restlos abgefilmt und tot sind, hat das obszöne Affentheater ein Ende. Vielleicht gibt«s dann wieder Filme mit Menschen und ihren Belangen, bis schließlich auch die konsequenterweise ausgestorben sind. Dann ist endlich Ruhe im Fernsehkasten.