Israelfeindliche Positionen in der Technoszene

Raven gegen Israel

Zahlreiche DJs und Clubs rufen zu Solidarität mit Palästina auf, schweigen sich aber über das Massaker an israelischen Zivilisten aus. Die Clubszene in Israel fühlt sich im Stich gelassen.

Als die Killerkommandos der Hamas am 7. Oktober Israel überfielen und unter anderem ein Massaker beim Psytrance-Festival »Supernova« anrichteten, war die Clubkultur zunächst überwiegend still. Großen Teilen einer Subkultur, die sonst gerne ein progressives Selbstbild pflegt, fiel es offenbar allzu schwer, antisemitischen Terror gegen Jüdinnen und Juden eindeutig zu verurteilen. Terror gegen die eigene Szene. Nur eine Handvoll Antizionist:innen meldeten sich gleich zu Wort: DJs wie Mama Snake, SPFDJ oder DJ Plead ergriffen durch Slides und Storys auf Instagram schnell Partei für die palästinensische Seite. Solidarität mit dem jüdischen Staat, mit den mehr als 1.400 Ermordeten und über 200 Geiseln, blieb aus.

Auch Lewamm Ghebremariam, eines der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder der Berliner Clubcommission, eines Lobbyverbands der Hauptstadtszene, begrüßte offenbar den Terror der Hamas. Jedenfalls kommentierte sie auf Instagram einen Beitrag mit Herz-Emoji und den Worten »Just a reminder«, in dem der brutale Großangriff auf Zivilisten als »Widerstand« gegen Besatzung und Apartheid bezeichnet wurde, der ein »Recht« und eine »Pflicht« sei. Der Beitrag stammte von einem amerikanisch-kuwaitischen Journalisten.

Das war kein Ausrutscher: In einer weiteren Story teilte sie einen Beitrag der Kampagne Nakba75, in dem die Worte »Free Palestine from German guilt« auf das Brandenburger Tor projiziert zu sein scheinen. Mit diesem Slogan hat die »Schuldkult«-Ideologie des rechten Rands auch die sich als links verstehende Clubkultur erreicht.

Eine Szene, die einst für Emanzipation stand, sucht die Repolitisierung – und wird mit plumper sogenannter Israelkritik fündig.

Die Clubcommission selbst veröffentlichte am 9. Oktober eine Stellungnahme zum Angriff auf das Festival, in der sie die Gewalt klipp und klar verurteilt. Nur von wem diese ausging, erfährt man nicht: Die Hamas wird kein einziges Mal erwähnt. Vergeblich sucht man zwischen vagen Worten auch nach den Begriffen »Juden« oder »Antisemitismus«. Ein Anschlag wie aus dem Nichts. Auf Anfrage der Jungle World wollte die Clubcommission sich weder zu ihrer Stellungnahme noch zu den Posts ihrer Geschäftsführerin äußern.

Dennoch wirken die Worte der Clubcommission noch vergleichsweise klar, blickt man auf den Rest der Szene. Denn einige der größten Player der Clubkultur machen aus ihrem mangelnden Mitleid für israelische Zivilist:in-nen keinen Hehl. Erst jetzt, da der jüdische Staat sich verteidigt und die Hamas ausschalten will, wird es in der Szene plötzlich wieder laut. Mehr als 4.000 Künstler:innen haben inzwischen einen offenen Brief der britischen Kampagne »Artists for Palestine UK« unterzeichnet, darunter die DJs Ben UFO und Shanti Celeste, die sich schon in Vergangenheit für die antiisraelische Boykottkampagne BDS stark gemacht hatten. Sie fordern darin einen Waffenstillstand und offene Grenzen für humanitäre Hilfe – nicht aber die Freilassung der israelischen Geiseln.

Dieser Trend kann kaum überraschen, denn in den vergangenen Jahren stießen die Boykottaufrufe der BDS-Bewegung auf immer mehr Resonanz in der Clubkultur. 2018 sagten rund 20 Künstler:in-nen ihren Auftritt beim israelischen Meteor-Festival ab, im selben Jahr folgte die Boykott-Kampagne #DJsForPalestine.

In letzter Zeit werden auch deutsche Technoclubs, die als zu »proisraelisch« gelten, von Boykotteur:innen angegangen. Und selbst israelische DJs werden in Europa manchmal gecancelt, und zwar unabhängig von ihrer persönlichen Position zum Konflikt. Eine Szene, die einst für Emanzipation stand, sucht die Repolitisierung – und wird mit plumper sogenannter Israelkritik fündig.

Die US-amerikanische DJ Manuka Honey sagte ihren Auftritt beim »Amsterdam Dance Event« mit den Worten »from the river to the sea« ab.

Das zeigt nun auch das Beispiel Resident Advisor. Das digitale Szeneblatt sammelt derzeit in einem Blogartikel Ressourcen, Solidaritätsbekundungen und Fundraising-Aktionen für Palästina, darunter die Benefiz-Compilation »From the river to the sea« von diversen Künstler:innen der elektronischen Musik. Was die Hamas unter dieser Schlachtparole versteht, hat sie seit dem 7. Oktober durch brutale Videos und bestürzende Augenzeugenberichte noch einmal ganz deutlich gemacht. Auf eine Anfrage der Jungle World reagierten die Macher:innen der Compilation nicht.

Resident Advisor teilte im Artikel auch den Aufruf von »Palästina spricht« zum globalen Streik am 20. Oktober und verlinkte auf die Instagram-Seite der Gruppierung. »Palästina spricht« nennt den Angriff der Hamas einen »revolutionären Tag«, auf den man »stolz« sein und den man »feiern« müsse. Die Gruppierung teilte auch den Beitrag ihres Sprechers, der zwischen israelischen Zivilist:innen und Soldat:innen nicht unterscheiden will – und gibt damit offenbar alle Israelis zum Abschuss frei. Und Israel? Die Opfer und Hinterbliebenen des Supernova-Festivals? Dazu schweigt Resident Advisor. Eine Anfrage der Jungle World ließ das Portal unbeantwortet.

Am erwähnten Streik für Palästina nahmen einige Akteur:innen der Clubkultur teil. Die US-amerikanische DJ Manuka Honey sagte ihren Auftritt beim »Amsterdam Dance Event« mit den Worten »from the river to the sea« ab. Auch die Tür des Amsterdamer Clubs »Garage Noord« blieb am Streiktag geschlossen – als Protest gegen den »Genozid« und die »ethnische Säuberung« von Palästina.

Die eingangs erwähnte SPFDJ schrieb auf Instagram, sie sei zwiegespalten, ob sie ihren eigenen All-Night-Auftritt im Londoner Club Venue MOT bestreiken soll. Am Ende entschied sie sich, erst nach Mitternacht, also nach Ende des Streiktags aufzulegen. Davor könne man mit ihr an der Bar über Gaza und die israelische Besatzung plaudern, hieß es weiter, auch wenn sie in einem überraschenden Moment der Selbstreflexion eingesteht, keine Nahostexpertin zu sein.

Der Online-Sender NTS Radio pausierte sein geplantes Programm, seine Büros in London und Los Angeles blieben am 20. Oktober geschlossen. Stattdessen spielte der Sender Playlists mit palästinensischer Musik sowie »Bildungsmaterial« zum Konflikt. Auffällig sind die Farben der Instagram-Kachel, auf der die Programmänderung erläutert wurde: weiße Schrift vor grünem Hintergrund – die Farben der Hamas. Daraufhin beendete das Tel Aviver Label Fortuna Records die Zusammenarbeit mit NTS: Dass der Sender das Massaker der Hamas missachtet, habe das Label schockiert. Auf eine Anfrage der Jungle World reagierte auch NTS Radio nicht.

»Wir fühlen uns verraten von einer Szene, der wir uns bis neulich zugehörig fühlten.« Guy Dreifuss, israelischer Promoter

Die Streaming-Plattform Boiler Room schaltete sich ebenfalls ein. In einer Stellungnahme verurteilt sie zwar die »entsetzlichen Attacken« der Hamas, behauptet aber auch, Israel würde »wahllos« Palästinenser:innen töten. Um Geld für Gaza zu sammeln, verkauft sie Soli-T-Shirts mit dem Aufdruck »Boiler Room Palestine«. Diese selektive Solidarität hat eine Vorgeschichte: 2018 veröffentlichte Boiler Room die Doku »Palestine Underground«, in der Einblendungen den jüdischen Staat als »Occupied Palestine« bezeichnen. Auch Boiler Room wollte sich dazu auf Anfrage der Jungle World nicht äußern.

Die israelische Clubszene, noch traumatisiert vom Massaker beim Supernova-Festival, fühlt sich wegen solcher Stellungnahmen im Stich gelassen. »Der Mangel an Solidarität und Empathie für israelisches und jüdisches Leben ist eine große Enttäuschung für viele in der Szene«, sagte Ori Raz der Jungle World. Der DJ veranstaltet die beliebte Reihe »Motivo Positivo« in Tel Aviv, betreibt das Label Liquid Memory und wohnt inzwischen in Berlin. Die positiven Werte, für die die Clubkultur stehe, seien »aus dem Fenster geschmissen« worden, so Raz. »Statt Brücken zu bauen, nutzen DJs ihre Reichweite, um weiter zu polarisieren.«

Ähnlich sieht es Guy Dreifuss. Der israelische Promoter steckt hinter vielen großen Festivals wie DGTL Tel Aviv und Port2Port, er organisiert nun eine Soli-Compilation für die Überlebenden des Supernova-Angriffs. »Wir fühlen uns verraten von einer Szene, der wir uns bis neulich zugehörig fühlten«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World. Die israelische Szene sei größtenteils gegen die derzeitige israelische Regierung und habe auch an den Protesten gegen die Justizreform teilgenommen, so Dreifuss. »Von einer sogenannten aufgeschlossenen Community erwarten wir, dass beiden Seiten zugehört wird.« Doch der Tenor in der Szene lautet offenbar: Raven gegen Israel.