Für eine Handvoll Dollar

Lafontaine kritisiert die "deutsch-nationale Angebotspolitik" der Bundesregierung

Je mehr sich der Dollar der Zwei-Mark-Linie nähert und dennoch in den USA die Arbeitslosigkeit zurückgeht, umso stärker werden hierzulande die Versuche, dieses Erfolgsmodell nachzuahmen. Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum und Beschäftigungszuwachs - das erscheint fast als die Quadratur des Kreises.

Dem traditionellen Versuch der Marktradikalen - FDP und Arbeitgeberverbände -, aus Clintons Wirtschaftspolitik hauptsächlich den Imperativ weiterer Deregulierung und Privatisierung abzuleiten, wird in jüngster Zeit von Oskar Lafontaine gekontert. Zu Recht macht der SPD-Vorsitzende darauf aufmerksam, daß der US-Boom gerade keine Konsequenz weltmarktorientierter Standort-Logik ist - nach wie vor fahren die USA große Außenhandelsdefizite ein -, und daß die Bundesbank-Philosophie vom knappen und deswegen harten Geld jenseits des Atlantiks keine Entsprechung findet - nach wie vor ist die Inflation dort doppelt so hoch wie in der BRD, während die Zinsen für langfristige Kredite, die für investitionswillige Unternehmer entscheidend sind, inflationsbereinigt deutlich unter den deutschen liegen.

Schlüssiger ist der Ansatz von Oskar Lafontaine, Clintons Wirtschaftspolitik gegen die deutschen Neoliberalen zu lesen. Der Bundesregierung wirft Lafontaine vor, daß sie "bei hoher Preisstabilität mit einer staatlichen unterstützten Senkung der Kosten real abzuwerten versucht und die Partner damit in die Deflation treibt". Diese "deutsch-nationale Angebotspolitik" (Lafontaine) beschere der Bundesrepublik zwar gewaltige Handelsüberschüsse beim Export - das Jahr 1996 brachte mit 100 Milliarden Mark einen neuen Rekord, 1997 soll noch besser werden -, aber auf Kosten der anderen EU-Staaten.

Lege man hingegen die EU-Ebene zugrunde, mache die Weltmarktorientierung wenig Sinn, denn die EU-Staaten wickeln 90 Prozent des Handels untereinander ab und exportieren nur zehn Prozent in den Nicht-EU-Raum. Der EU-Binnenmarkt könnte also eine ähnliche Wachstumslokomotive sein wie der US-Binnenmarkt, wenn ihn - so Lafontaines Schlußfolgerung - Bundesregierung und Bundesbank nicht aus nationalem Egoismus zerstören würden. Lafontaines Empfehlung: Staatliche Konjunkturprogramme, Bereitstellung von billigem Kreditgeld für Neuinvestitionen, Schluß mit dem Drei-Prozent-Fetischismus bei den Maastricht-Kriterien, dadurch fristgerechte Schaffung eines Euro-Währungsraumes mit vielen Teilnehmerländern.

So klug Lafontaines Kritik an den Neoliberalen vom Standpunkt des aufgeklärten Kapitalisten ist, so unrealistisch sind seine Gegenvorschläge: Die rigide Geldpolitik zu lockern, Inflation und einen weichen Euro zuzulassen - das würde zu Kapitalabfluß aus der Euro-Zone führen. In einer Gesellschaft mit Privatbesitz an Produktionsmitteln kann Geld nur dann seine Rolle für die Zirkulation des Kapitals spielen, wenn es stabil ist - sonst flüchten die Kapitalisten in ein geeigneteres "allgemeines Wertäquivalent" (Marx).

Und so haben sich, seit im Dezember 1996 auf dem EU-Gipfel von Dublin erkennbar wurde, daß Waigels Stabilitätspakt weich bleiben würde, die internationalen Finanzmärkte wieder auf den Dollar verlegt - mit den Wahlerfolgen von Blair und Jospin und mit der Konferenz von Amsterdam hat sich der Höhenflug des Greenbacks weiter verstärkt. "Die Flut von Dollaremissionen, die den internationalen Kapitalmarkt in der letzten Woche überschwemmt hat, widerspiegelt eine wachsende Skepsis der Anleger gegenüber der europäischen Währungsunion", bilanzierte die Neue Zürcher Zeitung" nach Abschluß der EU-Regierungskonferenz. Broker und Banker haben Waigels Bluff ("Ich habe in nichts, gar nichts, rein gar nichts nachgegeben") durchschaut: Einen von den Deutschen gewünschten Straf-Automatismus bei Euro-Stabilitätspakt gibt es nicht, die letzte Entscheidung fällt immer der EU-Ministerrat.

Dort aber haben, spätestens seit dem Regierungsantritt der Sozialisten in Frankreich, Staaten eine Mehrheit, die keynesianische Beschäftigungspolitik nicht als Sünde sehen und folglich bei den im Pakt vorgesehenen Milliardenbußen für Haushaltssünder großzügige Ausnahmen genehmigen werden.

Die USA umgekehrt können sich die nachfrageorientierte Politik nach dem Gusto Lafontaines erlauben und trotzdem globales Anlagekapital anziehen, denn der Dollar ist immer noch die Weltwährung - zwei Drittel des Welthandels werden auf Dollarbasis abgewickelt. Die US-Währung wird rund um den Globus bevorzugt, weil sie nach wie vor, auch nach Aufhebung der Goldbindung im Jahre 1971, durch andere Metalle gedeckt ist - nämlich durch Blei und Plutonium. Weniger metaphorisch gesagt: Weil das Pentagon mit Ledernacken und Atomwaffen dafür garantiert, daß der materielle Gegenwert für jeden einzelnen Dollar notfalls gewaltsam beigebracht werden kann. Die Weltwährung Nr. 1 wird nicht von der Federal Reserve, sondern vom Pentagon verteidigt - ökonomische Stärke verdankt sich im Kern außerökonomischer Gewalt. Im Unterschied dazu sind die Versuche der EU, eine ähnlich vertrauenserweckende Deckung für den künftigen Euro zu installieren, kläglich gescheitert. Defizitorientierte Wirtschaftspolitik kann nur Erfolg haben, wenn sie durch weltweite Kanonbootpolitik abgesichert wird - deswegen braucht Clinton einen Schwartzkopf, und Lafontaine einen Schröder.