Der Euro: Ein neoliberales Projekt - oder ein antinationales?

Die Linke und die Europäische Währungsunion: Grünen-Vorstandssprecher Jürgen Trittin ist dafür, Lothar Bisky und die PDS sind dagegen. Auf Einladung von Jungle World trugen sie die Kontroverse erstmals öffentlich aus

Trittin: Ich habe in einer anderen, auch in Berlin erscheinenden Wochenzeitung jüngst gelesen, mit meiner Position zum Euro sei ich der Pressesprecher von Herrn Tietmeyer. Wenn ich der Pressesprecher von Herrn Tietmeyer wäre, dann würde ich das tun, was zur Zeit Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und viele andere betreiben. Ich würde sehr nachdrücklich darauf dringen, daß die sogenannten Stabilitätskriterien auch hinter dem Komma, also Drei-Komma-Null beim Haushaltsdefizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, eingehalten werden, weil dies dazu führen wird, daß es den Euro nicht geben wird - weder die Bundesrepublik Deutschland noch andere Staaten werden in der Lage sein, diese punktgenaue Landung hinzubekommen.

Was wäre gewonnen, wenn der Euro scheitert? Damit wäre das gewonnen, was Herr Tietmeyer seit geraumer Zeit versucht, nämlich die Fortdauer der DM-Dominanz. Jeder weiß, ein Binnenmarkt schafft sich sein Austauschäquivalent. Es war der Ehrgeiz der Deutschen Bundesbank, daß dieser Binnenmarkt mit einer Leitwährung organisiert wird, die D-Mark heißt. Um es kurz zu sagen: Ich bin für eine gemeinsame europäische Währung, weil ich gegen ein deutsch dominiertes Europa bin.

Bisky: Den letzten Punkt würde ich unterstützen. Trotzdem will ich erläutern, warum ich gegen den Euro bin. Zunächst einmal: Mit dem Euro gewinnt die neoliberale Philosophie materielle Gewalt in Europa. Das ist für mich der Kernansatz. Die zweite Bemerkung, die ich machen will: Wir hatten eine Wirtschafts- und Währungsunion, als die DDR zusammengebrochen ist. Und wir haben die Erfahrung machen dürfen, daß das Versprechen, zuerst kommt die gemeinsame Währung und dann werden mit einem Konzept nachfolgender Modernisierung die Probleme gelöst, nicht aufgeht. In den neuen Bundesländern muß man heute feststellen, daß das Konzept nachfolgender Modernisierung gescheitert ist. Die Anpassung wird unheimlich lange dauern, und sie wird unheimlich teuer sein. Diese Erfahrung müssen wir auch beim Euro im Kopf haben. Auch dort ist ein Ansatz, erst die gemeinsame Währung, und dann lernen wir alles weitere zu beherrschen, der falsche Ansatz. Und der dritte Punkt, den ich ausführen will: Wenn andere aus der rechten Ecke eine große stabile D-Mark wollen, so ist das nicht unsere Argumentation. Unsere Alternative sieht so aus: Rückkehr zum Europäischen Währungssystem (EWS) mit engen Bandbreiten und Interventionspflicht der Zentralbanken und ständigen Konsultationen und Anpassungen; Begrenzung von Spekulationen durch eine differenzierte Spekulationssteuer von einem Prozent innerhalb dieses EWS und in doppelter Höhe für Transaktionen zwischen EWS und Währungsgebieten außerhalb des EWS, eine erweiterte Tobin-Steuer also; Integration Europas durch eine Sozial-, Umwelt und Beschäftigungsunion.

Trittin: Was die Behauptung angeht, der Euro sei ein neoliberales Projekt - da widerspreche ich. Es ist doch verwunderlich, daß gerade diejenigen, die am heftigsten auf der europäischen Ebene für ein neoliberales Gesellschaftsmodell gestanden haben, beispielsweise die Briten unter Thatcher und Major und die Bundesbank, immer wieder diejenigen waren, die diese gemeinsame Währung verhindern wollten.

Der Unterschied zu einer europäischen Zentralbank namens Bundesbank und einer sich jetzt entwickelnden europäischen Zentralbank ist, daß in letzterer, anders als in der Bundesbank, nicht die Bundesrepublik alleine sitzt, sondern die anderen Mitgliedsstaaten ebenso.

Bisky: Ich bleibe dabei, ich halte das für ein neoliberales Projekt. Ich sehe auch nicht, wer von der konservativen Seite, etwa aus der CDU, ernsthaft etwas anderes will. Ich sehe auch nicht, daß die Bundesbank etwas anderes will. Sie hat vielleicht hier und da Unterschiede zu Waigel und Kohl, möglicherweise gibt es auch Differenzen zwischen Stoiber und Waigel, aber ich denke, das Konzept von ihnen allen ist ziemlich deutlich: Europa soll rein fiskalisch zusammengeschweißt werden, und ich bezweifle, daß das möglich ist.

Wer ein Europa will, das nicht an der Oder endet, der muß sich auch Gedanken darüber machen, was aus den anderen osteuropäischen und mitteleuropäischen Staaten wird. Wenn dieses Euro-Konzept durchgeht, wird es zu einem Kerneuropa führen.

Natürlich werden andere Staaten in der Europäischen Zentralbank mitdiskutieren, das ist völlig klar. Aber es gibt einen Anpassungsschock, wenn die gemeinsame Währung kommt, so wie damals bei der Einführung der D-Mark im Osten auch - einen Anpassungsschock für den Arbeitmarkt und auch für die Kapitalmärkte. Damit zusammenhängend werden die Zinsen weiter steigen, mit vorraussehbaren Folgen. Dieses neoliberale Modell wird dann für Europa insgesamt bestimmend sein.

Wenn also Währungsunion, dann nur als Ergebnis eines ökologischen, wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpolitischen Gesamtkonzepts. Alles andere wird nach hinten losgehen.

Trittin: Wer aus der deutschen Einheit eine Lehre ziehen will, der muß ja nun gerade sagen: Ich halte die Maastricht-Kriterien hoch, höher geht's gar nicht. Denn was ist bei der deutschen Einheit passiert? Ist sie einnahmefinanziert worden? Wurde auf niedrige Zinsen geachtet und darauf, daß die jährliche Staatsverschuldung nicht drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt - zwei der Maastricht-Kriterien? Das ist nicht passiert. Sondern der angeblich neoliberale Helmut Kohl hat das größte keynesianische Projekt in der Geschichte der Bundesrepublik, oder vielleicht der Geschichte Deutschlands überhaupt, aufgelegt.

Die Bundesregierung hat die deutsche Einheit in einem Ausmaß kreditfinanziert, daß die Spielräume für eine alternative Politik nur noch dann zu erreichen sind, wenn die Politik jetzt strikt das praktiziert, wofür die Grünen schon lange stehen: Was wir als Staat machen, muß durch Einnahmen finanziert werden, also durch Steuern und nicht durch Verschuldung. Das Geld für die Staatstätigkeit muß durch Besteuerung der Besserverdienenden kommen, dazu muß die Linke den Mut und die Konsequenz haben; der sozialdemokratische Weg, statt dessen den Staatshaushalt über Verschuldung zu finanzieren, ist eine Flucht, die am Schluß die unteren Einkommensschichten bezahlen - also gerade keine Umverteilung.

Deswegen kann die Staatstätigkeit erhöht werden, auch wenn die Staatsschulden nicht wachsen. Und auch da sind die Stabilitätskriterien nicht neoliberal, denn es wurde ja nicht festgelegt, daß die Staatsquote einen bestimmten Punkt nicht überschreiten darf. Festgelegt wurde nur, daß die Staatsschulden einen bestimmten Punkt nicht überschreiten dürfen. Deswegen kann sich Dänemark ein Grundsicherungsmodell leisten, die Niederlande und Finnland leisten sich ein ...kosteuersystem - das heißt, sie betreiben sinnvolle Staatstätigkeit, ohne, und das ist das Interessante, mit den Euro-Stabilitätskriterien in Konflikt zu kommen.

Lothar Bisky behauptet, mit dem Euro wird es zu einem Zinsanstieg kommen. Aber der Vertrag von Maastricht hatte europaweit die Angleichung der Zinsen nach unten zur Folge - das ist ja eines der Euro-Kriterien. Das Absinken des Zinsniveaus hat gerade in den südlichen Ländern, wo man ein sehr hohes Zinsniveau gehabt hat, positive realwirtschaftliche Effekte gehabt.

Wenn Lothar Bisky schließlich sagt, wir müssen in Europa zuerst alles politisch gestalten, erst dann darf die Währungsunion kommern - nun, dieser Zug ist 1993 abgefahren. Seither gibt es den Binnenmarkt mit allen Freizügigkeiten. Man sollte so realitätstüchtig sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß hier keine Währungsunion vorweggeht wie bei der deutschen Einheit, sondern daß hier zunächst ein entsprechender Markt entstanden ist, der heute faktisch unumkehrbar funktioniert. Dieser schafft sich entweder im Selbstlauf eine gemeinsame Leitwährung, das wäre dann aller Voraussicht nach die D-Mark, oder es gelingt der Versuch, diese Leitwährung politisch zu gestalten, das ist der Ansatz beim Euro.

Zuschauer: Was mich sehr gewundert hat, ist, daß keiner der Redner auf das Demokratiedefizit eingegangen ist. Wenn du, Jürgen Trittin, dich mal wieder bemühen würdest, zum Volk zu gehen, dann würdest du feststellen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes den Euro nicht will. Nehmt doch Stellung zur Volksbefragung: Wie sieht es tatsächlich aus mit dem Willen des Volkes?

Trittin: Es ist relativ einfach, warum Grüne, und vielleicht auch andere Linke, für Europa sind - schlicht und ergreifend, weil sie keine Nationalisten sind. Eines der gelungensten protektionistischen Projekte war der deutsche Nationalsozialismus. Und wer das wiederholen möchte, dem wünsche ich dabei viel Spaß. Er wird auf meinen entschiedenen politischen Widerstand stoßen. Nein, nein, da bin ich ganz beinhart.

Die Integration der Bundesrepublik, die Abkehr von jeglicher Form von Sonderweg in Europa, ist eine historische Leistung, die ich mir auf diese Weise nicht kaputtreden lasse. Ich bin und bleibe Antifaschist, und für mich ist Linkssein gleichzusetzen mit Antinationalismus, und das ist nicht vereinbar mit Protektionismus.

Bisky: Ich bin mit Trittins antifaschistischer Gesinnung einig - das ist gemeinsamer Ausgangspunkt. Ich will trotzdem die Frage nach der Demokratie stellen, da will ich nicht ausweichen, da habe ich eine Lebenserfahrung.

Zuschauer: So isses.

Bisky: Ich will aber keinen Beifall von der falschen Seite bekommen. Unsere Position ist doch eindeutig: Die PDS lehnt den Euro in der bisherigen Konzeption ab und befürwortet die Durchführung eines Volksentscheids darüber. Das ist im übrigen nicht nur unsere Position, sondern das wird europaweit getragen von einem Bündnis linker Parteien, dem auch die Rifundazione Comunista aus Italien, die französische KP und die spanische Vereinigte Linke angehören. Kurz gesagt steht die PDS - so auch ihr Wahlslogan 1994 - für die Parole: Ja zu Europa, nein zu Maastricht. Damit ist etwas Doppeltes ausgedrückt: Einerseits die Ablehnung der neoliberalen Konzeption der Maastrichter Verträge mitsamt des Euro, andererseits wollen wir zum Ausdruck bringen, daß wir kein Zurück zu einem Europa der Nationalstaaten anstreben.

Und nochmal zur Demokratie-Frage: Ich verstehe die Sorge, daß bei Volksentscheiden etwas herauskommen kann, was man als Linker ablehnt. Aber welches Demokratiemodell steckt dahinter, wenn ich mir heraussuchen will, ob mir etwas paßt oder nicht? Demokratie kann man nur im Ganzen wollen, nicht in Teilen. Man kann nicht sagen, wir wollen Mitbestimmung, aber auf bestimmten Gebieten nicht.

Trittin: Ich habe 1993 vor Asylbewerberheimen gestanden. Ich habe versucht den Bundestag mitzublockieren, obwohl das Volk Deutschlands zu drei Vierteln wollte, daß das Asylrecht abgeschafft wird. Und ich sage, ich stehe dazu, daß es Punkte gibt, wo ich mich im offenen Dissens zur Mehrheitsmeinung dieses Volkes bewege. Das muß man manchmal tun, und das halte ich für hochvernünftig. Denn es gibt nicht nur Volk, es gibt auch gesundes Volksempfinden, und das ist mir zutiefst zuwider.

Die Linke in diesem Lande weiß ziemlich genau, was die ersten Volksentscheide in der jetzigen Situation sein würden. Deswegen bin ich gelegentlich ganz froh, daß es gegen den Volkswillen auch im System bestimmte Filter gibt.

Die von Jürgen Elsässer moderierte Veranstaltung fand am 24. Juni 1997 in Berlin statt.