Frisch gewichst im ZDF

Als der ZDF-Redakteur Günther Neufeld am Mittwoch abend um 23.00 Uhr seine letzte Tasse "Krönung light" trank, entdeckte er plötzlich, daß seine Schuhe völlig verdreckt waren. In einer Stunde sollte er die Spätnachrichtensendung "heute nacht" moderieren. "Sieht man ja nicht", murmelte er, aber seit er einmal mit dem Intendanten im Fahrstuhl gefahren war und Stolte ständig auf seine ungeputzten Schuhe hinabgesehen hatte, war er vorsichtig geworden. "Du willst doch Chefredakteur werden", ermahnte er sich selbst und eilte ins Foyer des Sendezentrums, wo er sich grußlos in den hohen Ledersessel hineinlümmelte. Vor ihm kniete Heinz Weiss (48), ehemaliger Elektroingenieur, der seine Familie und Bremen verlassen hatte, nachdem die letzte Werft geschlossen wurde. Im kräftigen Rhythmus einer Schiffsschraubenwelle ließ Weiß abwechselnd die harte und die weiche Bürste über Neufelds Schlangenlederschuhe gleiten. "Merci, daß es dich gibt", summte Neufeld. Dann schnippte er dem Schuhboy mit einem anerkennenden Lächeln ein Fünzigpfennigstück zu und lief frisch gewichst zurück in die Redaktion: "Ich hab' s: Wir fahren die 'Thomy-Erpressung' erst an zweiter Stelle. Es gibt endlich was Positives", weckte er die "heute"-Crew. Als um Mitternacht das Rotlicht aufleuchtete, blickte Neufeld routiniert auf den Teleprompter und las stolz seinen Aufmachertext: "Mit 5,5 Millionen Arbeitslosen hat die Arbeitslosigkeit in England zum ersten Mal seit 17 Jahren ein Rekordtief erreicht. In den letzten Jahren sind in England und Amerika vor allem auf dem Dienstleistungssektor Millionen Jobs entstanden. Das reicht vom Schuhputzer bis zum Computerfachmann. Da hat Deutschland noch einiges nachzuholen." Ja, mehr Schuhputzer brauchen wir. Und in fünf Jahren bekomme ich meinen eigenen. Soll doch Stolte seine Schuhe selbst ablecken. Neufeld nahm einen tiefen Zug seines Lieblingsbieres und pfiff zwischen den Zähnen hindurch: "Endlich, ich...". Ich liebe den Standort Deutschland.