Heiße Ware

Im Hamburger Bilderklau-Prozeß setzt sich vorerst der Spiegel durch.

Es war ein Prozeß mit kabarettreifen Fehlleistungen: Die Fotografenorganisation FreeLens klagte gegen das Nachrichtenmagazin Der Spiegel - für 7 000 Fotos sollten 150 000 Mark auf die Konten von 72 Fotojournalistinnen und

-journalisten überwiesen werden. Die Spiegel-Jahrgänge ab 1989 sind auf CD-ROMs erhältlich. Das Verlagshaus will nicht einsehen, daß dafür eine Nachhonorierung fällig ist. Dabei ist die Sache eindeutig: Was der Spiegel tat, ist im Branchenjargon eine "nicht genehmigte Nutzung".

Der Fall wurde vor der 8. Kammer verhandelt: Das ist sozusagen die Fachkammer für Pressedelikte, und man sollte davon ausgehen, daß die Richter etwas von der Materie verstehen. Sollte sich die Auffassung der Fotografen durchsetzen, gab der zuständige Richter Wolfgang Neuschild gleich am ersten Prozeßtag zum besten, sei das "eine echte Fortschrittsbremse für die Menschheit". Und überhaupt fühle er sich total unwohl in der Sache: Was kann nämlich ein Richter dafür, wenn der Gesetzgeber nicht auf den technischen Fortschritt reagiert und ein Gesetz von 1965 nicht ändert? Er ließ durchblicken, daß er sich als Libero der Politik fühle, der nun deren Versäumnisse ausgleichen müsse: "Mein Urteil wird sowieso keinen Bestand haben, eine der Parteien geht sowieso in die Berufung."

Am zweiten Verhandlungstag wurde nachgelegt: Spiegel-Justitiar Dietrich Krause schilderte, wie schwierig es für die Rechtsabteilung sei, zu überprüfen, ob die Fotografen auch nicht schwindelten. Es müsse der Frage nachgegangen werden, ob die 72 Frauen und Männer auch tatsächlich im fraglichen Zeitraum Fotos abgeliefert hätten: Um das zu überprüfen, muß immer "jemand in den Keller steigen" - so Krause wörtlich - und in alten Unterlagen wühlen.

Die rettende Idee kam von einem Zuhörer: Das Gericht könne sich die CDs doch selbst anschauen. Aber - Fachkammer hin, Fachkammer her - dafür braucht man einen PC nebst CD-ROM-Laufwerk. Derartige Gerätschaften waren im Gerichtsgebäude aber nicht aufzutreiben!

Als nun Anfang letzter Woche - am dritten Verhandlungstag - endlich Recht gesprochen wurde, staunte die Fachwelt nicht schlecht, als das Gericht feststellte, daß eine CD-ROM kein neues Medium sei. Da redet die ganze Welt von Multimedia, Informationsgesellschaft und neuen Medien und in Hamburg ist ein Gericht - ohne technische Ausstattung - der Meinung, bei den silbernen Scheiben handele es sich lediglich um ein "substituiertes Medium", welches die herkömmliche Archivierung von Zeitungen und Zeitschriften auf den bisher üblichen Microfiches ablöse.

Zwar ging es bei diesem erstinstanzlichen Prozeß lediglich um die Verwertung von Fotos - Text-Journalisten sind durch das Entstehen großer und kleiner Datenbanken jedoch mit ähnlichen Problemen konfrontiert.

Das Urteil sei eine "Ermutigung für Foto-Piraten" und eine Entwertung der journalistischen Arbeit, so die IG Medien. Wenn sich jeder nach Belieben in Text- und Bilddateien bedienen kann, werden Journalisten zu "Fast-Food-Produzenten". Der Grund: Die digitale Technik ermöglicht heutzutage fast alles, und jeder PC-Besitzer hat Zugriff auf Archive und Datenbanken. Mit dem Material lassen sich dann Zeitungen, Vereinsblätter, Prospekte und CDs gestalten und vermarkten. Die Urheber der Ausgangsprodukte - Journalisten, Autoren, Karikaturisten, Fotografen - sehen in den entstehenden multimedialen Kiosken Selbstbedienungsläden, in denen für sie allerdings keine Kasse bereit steht.

Bisher wurde das Problem relativ einfach gehandhabt: Beim Kauf eines Fotokopiergerätes wird eine Kopierabgabe erhoben, diese wird jährlich von der "Verwertungsgesellschaft (VG) Wort" unter den Journalisten ausgeschüttet. Eine ähnliche Funktion hat die VG Bild-Kunst für Fotografen und Pressezeichner. Dieser Scheck ist für freiberufliche Journalisten so etwas wie das 13. Monatsgehalt und für Festangestellte ein willkommenes Zubrot. Für elektronische Medien fehlt eine solche Regelung.

Bereits 1994 hat der Bundesverband der Pressebildagenturen (BVPA) den Spiegel auf Verstöße gegen das Urheberrecht aufmerksam gemacht. Seither wird für die zusätzliche digitale Nutzung - aber eben erst ab 1994- den Fotografen ein 20prozentiger Honoraraufschlag gewährt. Verkauft werden die CDs allerdings zum Stückpreis von 150 Mark. Davon wollten auch diejenigen profitieren, die helfen, Woche für Woche die Seiten zu füllen: Dies sei eine "gerechtfertigte Nachhonorierung", wie die IG Medien und Fotografenverband betonen. FreeLens - rund 900 freiberufliche Foto-Journalistinnen und -Journalisten zählt die Mitgliederstatistik - sagte, bei den Jahrgangs-CDs handele es sich nach dem Urheberrecht um eine "Zweitnutzung", die selbstverständlich honorarpflichtig sei.

Gegenüber der herkömmlichen Heftarchivierung in Sammelbänden oder auf den besagten Microfiches ist das Digitalarchiv auf CD allemal platzsparender, und wie der Vorsitzende der Journalistenvereinigung der IG Medien in Hamburg, Jürgen Bischof sagte, "einfach händelbar" - niemand hätte sich früher eine Rolle Mikrofilme nebst der dazugehörenden Technik gekauft, um sich bei Bedarf Kopien zu ziehen. "Dafür ging man in ein Archiv oder eine Bibliothek. Die CD dagegen kann man sich in jedem Kaufhaus kaufen", sagt der Gewerkschafter. Das Problem ist einfach: Was für den Schlosser der Stundenlohn, ist für die freie Journalistin das Zeilenhonorar oder den Fotografen das Bildhonorar. Ein Zeitungsartikel oder ein Foto sind im Sinne des Urheberrechts "persönliche geistige Schöpfungen" und werden als "geschützte Werke" bezeichnet.

Was für die abhängig Beschäftigten das Tarifgesetz ist, ist für Künstler - nach dem Gesetz sind Journalisten als solche einzustufen; deshalb heißt zum Beispiel die gesetzliche Versicherung auch Künstlersozialkasse - das Urheberrechtsgesetz.

Es ist die Grundlage zur Vermarktung des Produkts "geistiges Eigentum", auch "Werk" genannt, und gilt als urheberfreundlich. Experten sind sich einig, daß das Gesetz von 1965 nicht mehr zeitgemäß ist, weil es die Möglichkeiten der neuen Medien noch nicht berücksichtigen kann. Uneinigkeit besteht nur, wie es an die Anforderungen der Informationsgesellschaft angepaßt werden soll. Die Urheber befürchten, daß ihre Position geschwächt wird, und aus den Medienunternehmen ist zu hören, das Gesetz schränke die "ökonomische Effizienz" ein. Diese Effizienz gilt auch für die Fotografen: Der Erlös aus der Mehrfachnutzung ist für viele eine Art Altersvorsorge.

Die Bertelsmann-Juristin Marie-Thérèse Hupperts bringt den Konflikt auf den Punkt: "Die digitale Technologie birgt die Möglichkeit, Musik, Bild und Text aus Netzwerken individuell abzurufen. Gleichzeitig entsteht die Gefahr, unendlich viele Kopien herzustellen." Dadurch gerate das "bestehende Gleichgewicht" ins Wanken, Einkommensverluste bei Urhebern und Medienunternehmen seien die Folge. Wobei der Dame das Gleichgewicht des Bertelsmannprofits näher ist als die Tantiemen für Künstler; die sind halt lästige Lieferanten, die man braucht, um etwas auf den Markt zu werfen.

Ein typisches Beispiel erzählt der Hamburger Fotograf Rolf Nobel: Er sollte für ein Magazin "erfolgreiche Ostmenschen im Gründungsfieber" ablichten. In der Nähe von Rostock traf er auf einen jungen Mann, der Software für Bewachungsunternehmen entwickelte. Stolz präsentierte der Jungunternehmer dem Fotografen seine Internet-Homepage. Nobel staunte nicht schlecht, als sich vor seinen Augen ein Foto, das er vor Jahren verkauft hatte, auf dem PC-Monitor aufbaute. Auf Nachfrage erklärte der EDV-Tüftler, das Foto habe er aus "irgendeinem Magazin abgescannt". Ein klassischer Fall von Bilderklau.

Paragraph 12 des Urheberrechtsgesetzes sagt eindeutig, daß allein der Urheber - in diesem Fall also der Fotograf - das Recht zur Entscheidung hat, ob und wie sein Werk veröffentlicht wird. Durch den Verkauf seiner Fotos räumt der Fotograf zum Beispiel einem Verlag das Recht ein, seine Werke "zu nutzen" - sie also zu drucken. Dieses "Nutzungsrecht" wird in der Regel entweder einmal oder ausschließlich erteilt und entsprechend honoriert. Durch den Bilderkauf sichern sich die Nutzer Exklusivität. Das heißt aber nicht, daß sie die Bilder wahllos wiederverwenden oder gar verkaufen dürfen. Das dem Verlag übertragene Nutzungsrecht kann nur mit Zustimmung des Urhebers übertragen werden.

Das Landgericht Hannover sieht das "angesichts der Fülle von verschiedenen Medien" auch so. Es gestand dem Fotografen Paul-Ernst Kämmer das Recht zu, auch ohne "konkrete Verdachtsmomente" vom Magazin Focus Auskunft darüber zu bekommen, ob und wie seine Fotos verwertet wurden. Bei einem Besuch der Computermesse Cebit 1995 in Hannover entdeckte Kämmer auf einer Demo-CD-ROM vier seiner Fotos, die er dem Magazin für die Serie "Die 1 000 besten Ärzte" lediglich zum Abdruck verkauft hatte. Später wurden die Fotos auch noch in einem Buch verwendet. Das Gericht sprach dem Fotografen 12 000 Mark wegen "nicht genehmigter Veröffentlichung" seiner Fotos zu.

"Auf dem Bildermarkt", so Robert Nobel, "herrscht die totale Selbstbedienungsmentalität." Gefördert wird diese Unbefangenheit auch durch den Umstand, daß sich die digitale Verwertung weitgehend im rechtsfreien Raum abspielt. Wie dem Problem beizukommen ist, ist derzeit völlig unklar. Doch während man beim oben genannten Jungunternehmer geneigt ist, den Bilderklau als Unerfahrenheit zu deuten, dürfte hinter dem Verhalten der Verlagsprofis von Spiegel und Focus betriebswirtschaftliches Kalkül stecken. Nobel: "Wir wollen qualitativ hochwertige Fotos verkaufen, die Verleger wollen Exklusivität, setzt sich die Junk-Food-Mentalität durch, gehören beide Seiten zu den Verlierern." FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann wartet jetzt auf die schriftliche Begründung des Urteils und kündigte bereits Berufung an.