Krenz wieder hinter Mauer

Gericht blieb deutlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft

Nach fast zwei Jahren ging am vergangenen Montag der Politbüroprozeß zu Ende. Für sechseinhalb Jahre soll der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR, Egon Krenz, ins Gefängnis. Zu jeweils drei Jahren Haft verurteilte das Berliner Landgericht Günter Schabowski und Günther Kleiber. Das Gericht blieb damit überraschend deutlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Sie hatte für Krenz elf Jahre, für Schabowski neun und für Kleiber siebeneinhalb Jahre Haft wegen Totschlags gefordert. Der Vorsitzende Richter Hoch sagte bei der Urteilsbegründung, es sei eine Illusion zu glauben, man könne die Vergangenheit mit den Mitteln des Strafrechts aufarbeiten. Die Anklage hatte den dreien Totschlag in vier Fällen vorgeworfen. Alle drei hätten es als Mitglieder des Politbüros unterlassen, den tödlichen Schußwaffeneinsatz an der Westgrenze der DDR zu stoppen. Die Grenzsicherungspraxis der DDR habe das grundlegende Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit mißachtet.

Kleiber und Schabowski hatten in ihren Schlußworten zwar ihre juristische Unschuld beteuert, dem Gericht aber ein faires Verfahren bescheinigt. "Ich kann nicht das System akzeptieren und das Rechtssystem nicht, wenn ich zu dessen Objekt geworden bin", sagte Schabowski zur Begründung. Gleichzeitig wehrte sich der ehemalige Berliner SED-Bezirkschef heftig gegen den Vorwurf des Opportunismus. Auf seinen Mitangeklagten Krenz gemünzt sagte er: "Es braucht mehr Courage dazu, aus eigenem Willen und ohne Aussicht auf Absolution den bitteren Weg der Selbsterkenntnis einzuschlagen, als sich dem durch Flucht in die Nestwärme eines Clubs von Unbelehrbaren zu entziehen."

Krenz hatte in seinem Schlußwort betont, er bitte nicht um Gnade oder Milde. "Meine Ehre ist mir soviel wert, daß ich sie lieber mit ins Gefängnis nehme, als daß ich sie durch einen Kniefall opportunistisch verhökere." In seiner einstündigen Rede betonte er, die Justiz werde in dem Verfahren für politische Zwecke mißbraucht. "Die siegreiche Macht rächt sich an den Vertretern der besiegten Macht", sagte er.

Es liege ihm fern, "die menschliche Tragik, das nicht wieder gutzumachende Leid zu verkleinern". Aber den Anklägern sei es eigentlich nicht um Menschenschicksale gegangen. Einen Schießbefehl habe es nicht gegeben. "Keiner von uns hat einen Menschen umgebracht. So wie ich meinerseits nicht behaupten werde, daß ein Regierender Bürgermeister von Berlin den Studenten Benno Ohnesorg getötet hat (...) oder ein bundesdeutscher Innenminister einen jungen Kurden in Hannover". Das Gericht sei nie an einer wahrheitsgemäßen Geschichtsaufarbeitung interessiert gewesen. Um einen offenen und ehrlichen Dialog über die Geschichte beider deutscher Staaten zu ermöglichen, forderte er eine "Magna Charta finitum als Urkunde des Schlußstrichs unter die deutsche Spaltung".

Dieser Forderung schloß sich die Kommunistische Plattform bei der letzten Solidaritätsveranstaltung für Krenz vor der Urteilsverkündung an. In der Erklärung der KPF heißt es außerdem: "Das Perfide der Verhandlung bestand darin, vierzig Jahre eines Gemeinwesens, welches darum rang, sozial, friedliebend und antifaschistisch zu sein, auf die Toten an der Mauer zu reduzieren, und dies, ohne die historischen Umstände zu untersuchen, die zu ihrer Entstehung führten." Der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow rief auf der Veranstaltung aus: "Was geschieht, ist Unrecht!" Deshalb gebe es keine andere Chance als ein Schlußgesetz, wofür sich die PDS-Bundestagsgruppe einsetzen solle. Krenz betonte vor den über 100 BesucherInnen der Veranstaltung - bei seinem vorerst letzten Auftritt in Freiheit - er wolle "keinen politischen Schlußstrich", wohl aber ein "juristisches Schlußgesetz".

Doch bis es soweit ist, wird Egon Krenz noch einige Male vor Gericht auftreten. Mehrfach hatten er und seine Anwälte angekündigt, gegen das Urteil des Berliner Landgerichts Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen und anschließend vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Eine für Krenz positive Entscheidung erhoffen sie sich allerdings erst vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.