Schröder bleibt Sozi

Unionspolitiker haben die rechtspopulistischen Vorgaben des niedersächsischen Landeschefs erfolgreich aufgegriffen

"Wir wollen hart gegen das Verbrechen sein." Als Tony Blair Anfang Mai scharfe Maßnahmen ankündigte, um einer vermeintlich steigenden Kriminalität die Stirn zu bieten, gingen die Linken der Labour-Partei zunächst hart mit dem frisch gewählten britischen Premier ins Gericht. Er verschreibe sich mit seinen Plänen traditionell konservativer Politik, wurde dem Labour-Frontman vorgeworfen. Als knapp zwei Monate später Gerhard Schröder, sozialdemokratischer Kanzlerkandidat in spe, die Law-and-order-Politik seines britischen Parteifreundes ins Deutsche übersetzte, wartete man allerdings vergeblich auf solche Kritik.

Im Gegenteil: Parteichef Oskar Lafontaine gab dem niedersächsischen Ministerpräsidenten durch beredtes Schweigen Rückendeckung. Und Henning Voscherau, Hamburgs SPD-Spitzenkandidat für die anstehenden Bürgerschaftswahlen, wußte: Wer wie Schröder straffällige Ausländer schnell abschieben und Sexualverbrecher härter bestrafen will, der verschafft sich derzeit beim Volk Gehör - und kann zudem die eigene Basis zufriedenstellen. Denn die steht, folgt man den vergangene Woche veröffentlichten Ergebnissen einer SPD-internen repräsentativen Umfrage, mehrheitlich hinter den Thesen ihres Landeschefs: 76 Prozent der Befragten Partei-Mitglieder aus Hannover und Umgebung stimmen demnach "voll und ganz" der Forderung Schröders zu, "Ausländer, die als Asylbewerber, als Touristen oder mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland leben und Straftaten begehen", ohne Umschweife in ihr Herkunftsland abzuschieben. Nur neun Prozent lehnten die Position eindeutig ab.

Ein klares Votum also für den ordnungspolitischen Hardliner aus Niedersachsen. Damit könne er "gut leben", ließ Schröder denn auch aus seinen Sommerurlaubs-Domizil wissen. Und legte nach. Künftig sollten nur noch jene Staaten Finanzhilfen aus deutschen Töpfen erhalten, die bereit sind, bei der Abschiebung ihrer Landsleute tatkräftig mitzumischen. Vor allem afrikanische Staaten zeigten sich bei der Abschiebung krimineller Ausländer, deren Herkunftsland schwer zu ermitteln sei, wenig kooperativ. Zur Disposition stünden, da weiß Schröder sich mit dem liberalen Außenminister Klaus Kinkel einig, "Hilfen jedweder Art". Schließlich könnten "wir" von Staaten, "denen wir helfen, eine Berücksichtigung unserer Interessen erwarten". Unsere Interessen: Straffällige Ausländer raus, und zwar subito! Wer "unser Gastrecht mißbraucht", hat hier nichts zu suchen.

Mit Schröders Brand-Sätzen begann im Juli eine neue Runde des gesellschaftlichen Diskurses über steigende Kriminalität und sogenannte Ausländerkriminalität. Wie bei zuvor inszenierten Debatten über "Asylantenschwemmen", "Flüchtlingsfluten" und andere Bedrohungsszenarien stimmte man gleich den richtigen Ton an: "Türken beim Drogenhandel auffällig", titelte das Nachrichtenmagazin Focus wenige Wochen nach den Äußerungen Schröders. Und der Souffleur selbst wußte: "Beim organisierten Autodiebstahl sind Polen nun mal besonders aktiv, das Geschäft mit der Prostitution wird dominiert von der Russenmafia." Wer mag bei so eindeutiger Zuschreibung noch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen vermeintlich zunehmender Kriminalität und Flüchtlingsbewegungen bezweifeln? Die Message kam an: Wir, die deutschen Opfer, bedroht vom Kollektiv "ausländischer Täter".

Und "unsere" Sorgen will auch der Sozialdemokrat Wolfgang Jüttner ernstnehmen. Der Parteichef des Schröder-Bezirks Hannover zeigt großes Verständnis für die zweifelhaften Sympathien der Basis. Schließlich "nehmen die Leute die Situation so wahr, daß ihre persönliche Sicherheit im öffentlichen Raum nicht mehr hinreichend gewährleistet ist". Eine interessante Wahrnehmung, denn tatsächlich ist die generelle Verbrechensentwicklung in Niedersachsen rückläufig. Auch Jüttner weiß: "Zum Teil sind die Zahlen vergleichbar mit denen zu Beginn der achtziger Jahre." Die Grünen stellen gar bundesweit "entgegen der Darstellung in den Medien" eine leichte Entspannung im Bereich der "Organisierten Kriminalität" fest.

Nur drei Tage nach Schröders Vorgaben bemühte sich die Bundestagsfraktion der Öko-Partei, mit der Präsentation eines "alternativen Sicherheitskonzeptes" zu retten, was im Interesse grüner Regierungsbeteiligung noch zu retten war. Ausführlich erläuterten sie ihr Vorhaben, "anstelle einer Politik mit der Angst, ständigen Strafrechtsverschärfungen und einem weiteren Abbau der Bürgerrechte" vorrangig auf soziale, organisatorische, städtebauliche und technische Prävention zu setzen. Doch wenn auch kritisch, so fühlen sich selbst die Grünen verpflichtet, im Diskurs um die "Ausländerkriminalität" mitzumischen. "Der immer noch überdurchschnittlich hohe Anteil Nichtdeutscher an Straftaten ist seit 1993 rückläufig", bestätigen die alternativen Sicherheitspolitiker unter Punkt 9: "Ausländerkriminalität richtig einschätzen und Ursachen bekämpfen". Die statistisch höhere Kriminalität von Ausländern und Ausländerinnen werde ohnehin häufig überschätzt, zudem sei die Internationalisierung der Kriminalisierung eben der Preis für "zunehmende Globalisierung".

Für den Unionspolitiker Rupert Scholz allerdings sind solche Versuche der Grünen, Verbrechen im sozialen Kontext zu betrachten und entsprechend zu behandeln, "inzwischen als falsch erkannte, wohlgemeinte Tendenzen der Toleranz und Liberalisierung". Zu oft sei in der Vergangenheit "der Täter zum vermeintlichen Opfer stilisiert und die Schuld auf die negative soziale Prägung durch die Gesellschaft abgewälzt" worden, warf der Innen- und Rechtspolitische Sprecher der Partei Anfang August in die Debatte.

Nur knappe zwei Wochen nach Schröders Startsschuß lieferte Scholz gleich einen ganzen Maßnahmenkatalog, um "effektive Wege der Kriminalitätsbekämpfung" aufzuzeigen. Entgegen einer Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, wie sie von den Grünen gefordert wird, macht sich der CDU-Politiker für eine konsequente Strafverfolgung bei Fällen von Ladendiebstahl, Schwarzfahren oder "Drogenkonsum" stark. Weitere Schwerpunkte seiner sogenannten politischen Offensive: "Kinder- und Jugendkriminalität, Organisierte Kriminalität - und Ausländerkriminalität."

Kaum hatten Opposition und Regierung Mitte des Jahres gemeinsam das Ausländer- und Asylverfahrensrecht verschärft, um künftig straffällig gewordene Flüchtlinge schneller abschieben zu können, nutzte Scholz die Gunst der Stunde und legte nach: Bereits bei der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sollen Flüchtlinge künftig zwingend abgeschoben oder ausgewiesen werden. "Des weiteren sollte schon ab sechs Monaten die Kann-Ausweisung ermöglicht werden", so Scholz.

Pünktlich zum Ende der Sommerpause griff nun vergangene Woche auch Manfred Kanther ins Geschehen ein. Mit einen Zehn-Punkte-Programm zur Verbrechensbekämpfung will der Bundesinnenminister die "Sicherheitslage in Deutschland" verbessern. Auch er läßt keinen Zweifel an seiner Übereinstimmung mit Schröders Law-and-order-Phantasien: Mehr öffentliche Präsenz uniformierter Polizeikräfte, erweiterte rechtliche Möglichkeiten für Polizei und Justiz, schärfere Verurteilungen - und natürlich eine weitere "Verbesserung der Abschiebemöglichkeiten". Im Gegensatz zum Rechtspolitiker Scholz widmet sich Kanther allerdings gesellschaftlichen Entwicklungen - und weiß auch gleich die Lösung: "Kampf dem schleichenden Werteverfall." Schwindendes Rechtsbewußtsein, Individualisierung und abnehmender Einfluß "stabilisierender und wertevermittelnder Institutionen" seien Ursachen für die hohe Kriminalitätsrate. Nicht zuletzt sollte die Gewaltdarstellung im Fernsehen eingeschränkt und "in der Berichterstattung Gewalttätern kein Forum für Propaganda" geboten werden, sagte Deutschlands höchster Verantwortlicher für Abschiebungen.

Kanthers Forderung, jeder Bürger müsse mehr Verantwortung für die Bekämpfung von Verbrechen übernehmen, haben Schröders Demokraten schon lange verstanden. Denn auch da sind sich die Hannoveraner SPD-Mitglieder einig: Für die niedersächsiche Landtagswahl wünschen sie sich die Themen "Innere Sicherheit" und "Kriminalität" auf Platz zwei der Top-Liste. Bei den Parteilinken will man indessen nicht so recht wahrhaben, wie wohlwollend die erfolgsträchtigen Sprüche in der eigenen Organisation aufgenommen werden. So kritisierte die Vorsitzende des Ortsvereins Linden/Limmer, Karin Beckmann, die Fragen seien suggestiv formuliert worden, um eine vorzeigbare Zustimmung für Schröder zu schaffen. Dabei könne es doch nicht sozialdemokratische Politik sein, "die Angst der Menschen um ihre eigene Sicherheit zu schüren". Doch Hannovers Parteichef Jüttner kontert: Es sei schließlich "legitim, wenn die Partei mal hineinhorcht in den eigenen Bauch".