Abschiebung in sicherer Begleitung

Auch nach den jüngsten Massakern sieht die Bundesregierung keinen Grund, ihre Algerien-Politik zu ändern

Klammheimliche Freude beschlich den Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Kurt Schelter, Mitte März dieses Jahres. Nachdem die Regierung Algeriens in den Verhandlungen mit der Bundesregierung vor der deutschen Forderung eingeknickt war, algerische Flüchtlinge auf Abschiebeflügen nach Algier, Oran und Constantine von algerischen Polizisten begleiten zu lassen, schrieb er an seine Kollegen in den Länder-Innenministerien: "Dies ist angesichts der stetig zunehmenden Zahl renitenter algerischer Schüblinge von enormer praktischer und medienöffentlicher Bedeutung."

Das Rückübernahmeprotokoll zwischen Algerien und der BRD war unter Dach und Fach. Eigentlich sollte es bereits im Mai in Kraft treten, doch verzögert sich seine Umsetzung, weil die neugewählte, parlamentarische Opposition in Algerien es bis heute nicht ratifizieren will. Begründung: Der Machtkampf zwischen radikalen Islamisten und den regierenden Militärs werde immer mehr auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen; in einer solchen Situation sei es untragbar, Flüchtlinge zurückzuschicken, die sowohl staatlicher als auch nicht-staatlicher Verfolgung ausgesetzt seien.

Was sich während des Wahlkampfs im Frühjahr bereits blutig abzeichnete, ist in den vergangenen Wochen eskaliert: Seit den Parlaments-Wahlen Anfang Juni sind in Algerien über 1 600 Menschen umgebracht worden, allein am Wochenende wieder 70.

Unbeeindruckt davon zeigt sich die Bundesregierung. Noch im Mai, zur selben Zeit also, als die neue britische Regierung unter Tony Blair wegen der Ermordung eines abgeschobenen Flüchtlings in algerischem Polizeigewahrsam einen Abschiebestopp erließ, lehnte sie jegliche Änderung des Rückübernahmeprotokolls ab. Von einer Parteinahme für die Regierung, konterte das Innenministerium seinen Kritikern, könne nicht die Rede sein.

Das Protokoll spricht eine andere Sprache. Darin hat sich Bonn verpflichtet, die Abschiebeflüge der abgelehnten Asylbewerber und ihre Begleitung durch "spezialisiertes Sicherheitspersonal" zu bezahlen. Hinweise auf besonders resistente Abzuschiebende gibt es gratis: Bereits bei der Identifizierung der Flüchtlinge erteilen deutsche Behörden dem eingeschalteten algerischen Innenministerium Hinweise auf mögliche Widerstandsaktionen. Als "unverhohlene Kollaboration mit dem algerischen Terrorregime" wurde das Abkommen daraufhin von der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl, gewertet.

Fast ein halbes Jahr nach dessen Unterzeichnung wird nun erneut Kritik laut an der Bonner Algerien-Politik. Vergangene Woche forderte die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer Bundesinnenminister Manfred Kanther auf, einen sofortigen Abschiebestopp zu erlassen und das Rückführungsabkommen mit Algerien zu annullieren.

Umdenken im Innenministerium? Fehlanzeige. Schließlich werde jeder Einzelfall von den örtlichen Ausländerbehörden geprüft, heißt es dort. "Wenn Gefahr für Leib und Leben eines Abzuschiebenden besteht", so ein Ministeriumssprecher gegenüber Jungle World, "wird die zuständige Behörde die Abschiebung natürlich aussetzen."

Mitnichten. Daß Verfolgung im Herkunftsland kein Abschiebehindernis ist, zeigt das Beispiel von Ismail Grip, der Mitte Mai nach Algerien abgeschoben wurde. Als ehemaliger Polizist und Deserteuer wurde er nach seiner Rückkehr sowohl durch bewaffnete islamistische Truppen als auch durch algerische Behörden und Sicherheitskräfte bedroht. Weder seine schwangere deutsche Verlobte noch ein Anwalt erhielten auf Nachfrage Auskunft über seinen Verbleib.

Nach den jüngsten Massakern konnten sich lediglich die rot-grünen Regierungen Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens vergangene Woche dazu durchringen, Abschiebungen nach Algerien vorübergehend auszusetzen. Anfragen von Jungle World bei weiteren Länder-Innenministerien ergaben, daß man die Entwicklung erst einmal weiterverfolgen wolle, ehe Maßnahmen ergriffen würden. Das Innenministerium in Bonn verwies darauf, daß mindestens elf Länder einen Abschiebestopp beantragen müßten, ehe eine solche Möglichkeit im Ministerium überprüft werde. Des weiteren werde ein Bericht aus dem Auswärtigen Amt erwartet, der bei der Einschätzung ebenfalls berücksichtigt würde. - Während Bonn deutschen Touristen und Geschäftsleuten rät, auf Reisen nach Algerien zu verzichten, erkennt es die Gefahren für abgeschobene Algerier nicht an: Allein im ersten Halbjahr 1997 schob die BRD 187 Flüchtlinge in den nordafrikanischen Staat ab.

In Frankreich hingegen hat die neue Regierung Lionel Jospins mit Hinweis auf die Lage in Algerien eine Änderung ihrer Asylpolitik angekündigt. Es könne nicht länger hingenommen werden, daß von islamistisch-fundamentalistischen Bewegungen Verfolgte keinen Flüchtlingsstatus erhielten, nur weil die Verfolgung nicht vom Staat ausgehe.

Vom Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen mehrfach kritisiert, klafft diese Schutzlücke im deutschen Asylrecht weiter: Flüchtlinge, die vor nichtstaatlicher Verfolgung fliehen, erhalten in der BRD kein Asyl - und werden abgeschoben.

Die Uno-Kritik - für Bonn kein Grund zur Besorgnis. Daß es der Bundesregierung beim Asylrecht nicht um Flüchtlingsrechte geht, sondern um handfeste außenpolitische Interessen, machte am Wochenende Außenminister Klaus Kinkel deutlich. Er sei sich mit Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger (CSU) und Innenminister Kanther einig, daß die wirtschafts-, entwicklungs- und asylpolitischen Interessen Deutschlands stärker miteinander verknüpft werden müßten: "Wer die Ampel bei der völkerrechtlich gebotenen Wiederaufnahme eigener Staatsangehöriger auf Rot stellt, der darf sich nicht wundern, wenn in Deutschland die Forderung nach dem entwicklungspolitischen Rotstift laut wird". Vulgo: Nicht Bonn steht unter Druck, seine Politik zu ändern, sondern Algier. - Holt die algerische Polizei ihre Flüchtlinge nicht bald selbst zurück, gibt's aus Bonn auch keine Gelder mehr.