Im Halseisen des Marktes

Ein Wutausbruch gegen die Zumutungen des Kapitalismus: Viviane Forresters fulminante Polemik "Der Terror der Ökonomie".

Schreiben für die Öffentlichkeit ist im Kapitalismus so schizophren wie alles andere auch: Die Hoffnung auf viele Leser blamiert sich durch die Kriterien der Marktgängigkeit, die den Text in Gedankenschrott zu verwandeln drohen. Bestseller sind verdächtig; der Autor / die Autorin muß sich wenigstens klammheimlich fragen, was er / sie falsch gemacht hat (zumindest bei einem Rest von Schamgefühl).

In Deutschland potenzieren sich die Verdachtsmomente, wenn es in die Jahre gekommene Achtundsechziger sind, die Stapeltitel vom Stapel lassen. Dann ist nämlich in der Regel staatsmännisch-sorgenvolles Gesabber garantiert, von dem die grünen Besserverdiener gar nicht genug kriegen können. Autorinnen bilden da längst keine Ausnahme mehr, denn zu den unerträglichsten, aber in der "guten Gesellschaft" am meisten herumgereichten Figuren gehört heute bekanntlich die ex-feministische, zur Nato-Truppenbetreuerin mutierte Ex-Achtundsechzigerin in ihrem zivilgesellschaftlichen Wahn.

Die hierzulande kaum bekannte Französin Viviane Forrester hat zwar auch einen Bestseller geschrieben: "Der Terror der Ökonomie". Aber erstens ist man in Frankreich, obwohl gelegentlich von nationalistischer Grandeur benebelt, in der öffentlichen Debatte wenigstens noch nicht ganz so hündisch den Marktgesetzen ergeben wie hierzulande. Und zweitens garantiert der Geburtsjahrgang 1927, daß die Verfasserin nicht das Handicap einer politischen Achtundsechziger-Sozialisation mit sich herumschleppt. Einer Verszeile von Rimbaud entnommen, sind ihr Thema "die Schrecken der Ökonomie", die im deutschen Titel völlig zutreffend als "Terror" wiedergegeben werden. Es ist kein theoretisches Buch, das nun auch dem in sozialkritischer Hinsicht verschnarchten linksdeutschen Publikum zugemutet wird, sondern ein literarischer Essay.

Die an feuilletonistische Politik Marke Antje Vollmer gewöhnten Leser werden seufzen und eine Mischung aus tödlich verunglückten Metaphern, Hopi-Weisheit und großmütterlicher Gräfin-Dönhoff-Moral erwarten. Aber in Frankreich gehört zur essayistischen Publizistik auch die Gattung des Pamphlets, unter deutschen Ausgewogenheitsphilistern nur als Schimpfwort bekannt. Und das Buch von Viviane Forrester ist tatsächlich ein fulminantes Pamphlet gegen die Marktwirtschaft, mit einem gesunden Menschenverstand geschrieben, der sich ausnahmsweise einmal nicht zum Komplizen der herrschenden Logik, d. h. des ökonomischen Terrors macht. Vielleicht muß mensch heute 70 Jahre alt und Französin sein, um einen Wutausbruch gegen die marktwirtschaftsdemokratischen Zumutungen zu bekommen, denen die globalisierten postmodernen Generationen nur noch ergeben den Hintern hinhalten.

Natürlich fragt sich, wie so etwas überhaupt in die normalerweise von Selbstzensur abgeschirmte kapitalistische Zirkulation gelangt, noch dazu über den sonst eher durch liberalkonservative Publikationen aufgefallenen Wiener Zsolnay-Verlag. Möglicherweise ist der Markt der Ideen mangels radikaler Kritik so ausgedörrt, daß die grenzenlos gelangweilte und langweilende kapitalistische Bewußtseinsindustrie geradezu nach einem Gegner lechzt, um zu spüren, daß sie selbst noch da ist. Und das in der Postmoderne surreal gewordene konservative Selbstbewußtsein kann offenbar einen publizistischen Ausreißer ertragen, dessen polemische Direktheit z. B. im Suhrkamp-Programm mit seiner gestelzt verfassungspatriotischen, von habermasianischer Magersucht befallenen, vor lauter Gemäßigtheit kaum laufen könnenden Salon-Ex-Gesellschaftskritik ganz unmöglich wäre.

Über weite Strecken macht Viviane Forrester in ihrem Text nichts anderes, als die Phrasen des heute weltweit herrschenden wirtschaftsliberalen Einheitsdenkens in ihrer ganzen Absurdität und Frechheit vorzuführen. Dieses Denksystem, das heute gar "nicht mehr wirklich formuliert" werden muß, scheint "bei den betäubten Massen des Planeten" dermaßen durchgesetzt und verinnerlicht zu sein, daß diejenigen, die auf ihren eigenen Lebensinteressen beharren, geradezu als "Vertreter schlechten Geschmacks" erscheinen. Die "von ihrer eigenen Nichtigkeit überzeugten" Menschen schämen sich, wenn sie nicht "nützlich" für die Rentabilität des Kapitals sind; und "diese Scham sollte an der Börse gehandelt werden: Sie ist ein wichtiger Grundstoff des Profits". Was dabei verlorenzugehen droht, ist "die Fähigkeit, dem System nicht in den reduzierenden Begriffen zu antworten, die es uns anbietet und die jeglichen Widerspruch verhindern". In demselben Maße, wie nur noch in den Kategorien des kapitalistischen Utilitarismus gedacht werden kann, "umschließt uns das Halseisen der Märkte wie eine zweite Haut, von der wir meinen, daß sie uns angemessener sei als die unseres eigenen Körpers".

Aber die derart zugerichtete Menschheit wird durch den inneren Selbstwiderspruch des Systems in eine ausweglose Lage gebracht. Einerseits gibt es ein "Einverständnis von kosmischen Ausmaßen", daß die herrschende Lebensweise die einzig mögliche und "Beschäftigungsfähigkeit" das einzige Ziel sei; "Arbeit suchen gehört in den Bereich frommer Werke", so daß die Suchenden "von der Arbeit träumen wie vom Heiligen Gral", obwohl doch noch vor gar nicht so langer Zeit die kapitalistische Arbeit als das Leid erlebt wurde, das sie real auch ist. Der "wie ein Zirkustier" konditionierte Nützlichkeitsmensch hat sich längst die erzliberale Maxime zu eigen gemacht: "Alles steht dem offen, der sich für nichts zu schade ist." Andererseits aber schafft das Marktsystem selber eine Situation, in der "es untersagt ist, die Pflicht zu erfüllen" und "unmöglich wird, was vorgeschrieben ist": Die Arbeit verschwindet, die Arbeitssuche wird sinnlos, "der Hauptdarsteller ist, ohne daß wir es merkten, desertiert und hat das Drehbuch mitgenommen". Gleichzeitig bleibt das System auf die Rolle der Warenkonsumentinnen und -konsumenten angewiesen, "denn ißt nicht beispielsweise auch der letzte sozial Benachteiligte gelegentlich Nudeln einer berühmten Marke, deren Namen klangvoller ist als der eigene? Nudeln mit Börsenkurs?" Und zerstört die Marktwirtschaft nicht zusammen mit der Konsumfähigkeit der Massen ihre eigene Existenzbedingung?

Natürlich kann ein 200-Seiten-Pamphlet gewisse Wiederholungen nicht vermeiden; und ginge es nur um die moralischen Defizite des Konkurrenzsystems (die ein alter Hut sind), wäre auch gutformulierter Zorn nicht besonders bemerkenswert. Zum Bestseller konnte das Buch wohl nur werden, weil es in einem flachen Sinne interpretiert wird: als "leidenschaftliche Anklage gegen die menschenverachtende Weltwirtschaft" und gegen den Skandal der Massenarbeitslosigkeit", wie der Klappentext behauptet. In Wirklichkeit geht es Viviane Forrester um etwas ganz anderes. Sie verlangt nämlich, "das Fehlen der Erwerbsarbeit zur Grundlage von Zukunftsüberlegungen zu machen", statt durch nationalistische und technikfeindliche Parolen "die Rückkehr der Beschäftigung" zu fordern: "Warum sollte man verbissen und mit aller Kraft Anstrengung an etwas vergeuden, was nicht mehr benötigt wird? Warum sollte man auf den Begriff dessen, was sich uns entzieht oder bereits verschwunden ist, nicht verzichten, weshalb sollten wir uns von dem Begriff der Arbeit nicht lösen?" Ja, warum denn nicht endlich? Das ist eine Frage nicht zuletzt an die radikale Gesellschaftskritik, die als "Partei der Arbeit" selbst reaktionär geworden ist und kein Programm der Emanzipation gegen den Terror der Ökonomie mehr formulieren kann.

Viviane Forrester: Der Terror der Ökonomie. Zsolnay, Wien 1997,
216 S., DM 36