Grüner als grün

Riza Bahan verharmlost den Fundamentalismus. Von Wahied Wahdathagh

Es ist nicht einfach, antirassistisch zu sein und zugleich weder in die Falle der Nationalisten noch in die der Islamisten zu laufen. Ein beredtes Beispiel dafür sind die Überlegungen, die Riza Baran, Abgeordneter der Grünen in Berlin, nach der Entlassung eines Milli Görüs-Mitgliedes aus der CDU angestellt hat.

Baran verharmlost die Gefahr von antidemokratischen islamistischen Organisationen, wenn er von der Kommando-Höhe seines Abgeordnetenamtes vorschlägt, sich auf die Krise der Marktwirtschaft zu konzentrieren, statt auf die Islamisten ein Auge zu werfen, die ein Produkt dieser Gesellschaft seien. Als ob Kritik an der Marktwirtschaft antidemokratische Organisationen entlastete, oder umgekehrt eine Kritik des Islamismus die Krise der Marktwirtschaft aufheben könnte.Es ist intellektuell unredlich, den KritikerInnen an einer religiös verbrämten politischen Organisation vorzuwerfen, sie seien vom tradierten "Feindbild Islam" geprägt. Baran unterschlägt glatt den Unterschied zwischen dem individuellen, privaten Recht auf Religionsfreiheit und der durchaus existierenden Gefahr der islamistischen Bewegung. Es kann auch nicht bestritten werden, daß der islamistische Fundamentalismus in Afghanistan, in Algerien, in Iran, aber auch in der Türkei eine menschliche Katastrophe ist, die historisch an die christliche Inquisition erinnert.

Baran schreibt, daß der "Islamismus bundesrepublikanischer MuslimInnen in der bundesdeutschen Gesellschaft entstanden ist und nur in diesem Zusammenhang verstanden werden kann". Dies ist ein hilfloser Versuch, den internationalen politischen und ökonomischen Zusammenhang der islamistischen Bewegungen und ihre Vernetzung zu verschweigen und zu verschleiern. Als ob es keine ideologischen, aber auch keine parteipolitischen Zusammenhänge gäbe, als ob keine Gelder aus Saudi-Arabien, aus Iran und Libyen für islamische Gemeinden nach Deutschland flössen, als ob die antirassistische Diskussion nicht auch an islamistische Kreise die Meßlatte der universellen Prinzipien von Menschenrechten und Demokratie anlegen müßte. Es wäre eine falsche Frontbildung, wenn wir die Gesellschaft nationalistisch in deutsch und nichtdeutsch einteilten. Die Grenzen liegen nicht zwischen den Nationen, sondern zwischen Demokraten und Antidemokraten.

Baran fragt, ob der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer in seiner Studie nicht die fundamentalistische Gefahr herbeirede, wenn er feststellt, daß 33 Prozent der Jugendlichen sich an Milli Görüs orientieren. Und Baran schreibt weiter, es liege nahe, daß Jugendliche in der "provozierenden Bestätigung des anti-islamischen Feindbildes eine Möglichkeit sehen, die Verletzungen ihres Selbstwertgefühls zu kompensieren".

Für eine Studie der Freien Universität Berlin hat Manoochehr Heshmati Jugendliche im Alter zwischen 12 und 20 Jahren in Berlin befragt und ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wie Heitmeyer. 69 Prozent der Befragten haben beispielsweise die Frage, ob die Scharia als gesellschaftliche Rechtsgrundlage wieder eingeführt werden sollte, bejaht.

Wie wenig die Umsetzung der Scharia mit demokratischen Werten zu tun hat, sollte hinlänglich bekannt sein. Bekannt ist aber auch, daß Milli Görüs die Islamisierung zumindest der türkischen Community auch in Deutschland anstrebt. Es ist weiter bekannt, daß Milli Görüs die türkisch-islamistische Wohlfahrtspartei Refah unterstützt.Refah-Chef Erbakan hat mehrfach den Milli Görüs-Funktionären zu ihren Erfolgen gratuliert. Und ein Blick in die auf deutsch erscheinende Islamische Zeitung, die auch von deutschen Islamisten gemacht wird, gibt einen Einblick in die politischen Positionen dieser Bewegung, die nach Baran nichts mit den türkischen Verhältnissen zu tun haben soll.

Riza Baran konstatiert, daß Milli Görüs 29 400 Mitglieder hat. Ihre Berechtigung leitet er daraus ab, daß die Organisation die "handfesten Interessen" der türkischen MigrantInnen vertrete. Eine groteske Beweisführung: Dann verträten also auch rechtsradikale deutsche Organisationen die Interessen der Deutschen? Und wie sollte Milli Görüs einen religiösen Dialog führen können? Wenn gleichzeitig die Umsetzung der Scharia gefordert wird? Es gibt verschiedene Richtungen in der islamistischen Bewegung, aber die Abschaffung einer laizistischen Staatsordnung streben alle islamistischen Kräfte an, und dies ist trotz aller Differenzen ihr gemeinsamer Nenner.

Milli Görüs und die Grauen Wölfe - und in der Türkei die Refah-Partei und die MHP - bewegen sich strategisch und ideologisch auf politischen Feldern, die sich partiell überschneiden und Übergänge aufweisen. Die Wohlfahrtspartei, deren Organisation in Deutschland Milli Görüs heißt, strebt innenpolitisch einen islamischen Staat an. Außenpolitisch werden Bündnisse mit islamischen Ländern eingegangen, in bester Tradition der pan-islamischen Bewegung. Und dennoch schreibt der grüne Abgeordnete Riza Baran: "Die deutsch-türkischen IslamistInnen können nur deshalb bedrohlich wirken, weil sie in Verbindung mit islamistischen Bewegungen in der Türkei und anderswo auf der Welt gesehen werden."

Die reaktionäre Rückbesinnung auf Nationalismen und auf islamistische Denkmuster mag eine existentielle Verunsicherung der Menschen widerspiegeln.Dem Fundamentalismus aber mit Verharmlosung zu begegnen, statt mit handfesten politischen Forderungen, die die Rechte der ImmigrantInnen festschreiben, ist der falsche Weg.

Wahied Wahdathagh ist Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte