Hausboot gekentert

"Boheme und Diktatur in der DDR" - eine Ausstellung im Berliner Zeughaus scheitert an der Unmöglichkeit, Dissidenz an ihrer Gegenständlichkeit festzumachen.

Das Leben ist eine Baustelle, Berlin sowieso, mag man sich gedacht haben, als man das Erdgeschoß des Berliner Zeughauses für die Ausstellung "Boheme und Diktatur in der DDR" einrichtete. Die Exponate - Bilder, die Fotografie von den "Familien Bohley", Magazincover, ein Musikinstrument, erschaffen, benutzt, weggeworfen in den Jahren 1970 bis 1989 - sind zwischen Baugerüsten und Brettern drapiert. Hier wird explizit deutsch gelitten. Die Ausstellungspolitik des sonst dusteren Deutschen Historischen Museums unter der Leitung seines Direktors Christoph Stölzl orientiert sich ausnahmsweise einmal an der Devise "Mehr Licht".

Denn es ist eine Menge Dunkel auszuleuchten. Die von den Gastkuratoren, den ostdeutschen Journalisten Paul Kaiser und Claudia Petzold, zusammengetragene Schau möchte die Subkultur des untergegangenen Staates ausstellen - man ist also mittlerweile unten angekommen -, nicht ohne zu bemerken, daß das gar nicht geht. Zur Klärung politischer und ästhetischer Prozesse sei das Museum als gesellschaftliche Institution überstrapaziert, sagt auch Stölzl. Und entschuldigt sich für vorangegangene Arbeiten - auch die Ausstellung "Auftragskunst" habe letztlich nicht die "wirkliche DDR" gezeigt, sondern ein gewisses Bild von ihr. So verhalte es sich auch mit der Subkultur, und bewußt habe man die Konzeption von zwei allein Arbeitenden recherchieren lassen, statt wie bisher von Gruppen.

Zu sehen gibt es Dokumente aus den "Quartieren" der Boheme. Jürgen Schweinebradens EP-Galerie im Prenzlauer Berg, die Modegruppe Allerleirauh, deren spektakuläre Kostüme hier aufgehängt sind. Man möchte einen subversiven Lebensstil präsentieren, dessen Protagonisten Keramikwerkstätten betrieben, teils um nicht aufzufallen, teils, weil ihnen andere Beschäftigungen verboten wurden. Man findet selbstgedruckte Einladungen zu spektakulären Lesungen in Privatwohnungen vor und zu illegalen Punkkonzerten. Manifeste und Plastiken haben die Aussteller aus Kellern herausggeholt, ebenso wie die Unterlagen der allumfassenden Überwachung durch die Stasi.

Die Boheme oszilliert zwischen Subversion und offizieller Kultur, von der man nur noch die wichtigsten Namen kennt. Sascha Anderson, Castorf, Haußmann, Heiner Müller, Christoph Tannert, der heute das Berliner Künstlerhaus Bethanien leitet. Neben den Bildern von der Ausstellung "Frühstück im Freien" 1982 in Dresden erfährt der Besucher vom Asketen und Puppenspieler Reinhardt in Obergruna, von der einen oder anderen Perfomance, und da ist auch noch ein Kassettenrecorder, der mal subversives Tonmaterial speicherte. Und davon, daß die Gesellschaft der DDR nicht das geschlossene System war, wie man sich das im Westen dachte, sondern ein anderes, eines der Orte anarchischer Kreativität. Subversion - das andere will man mit der Ausstellung zeigen, Boheme hat man es dann genannt, was genau so groß oder klein wie die DDR eben selbst war. Die Künstler wollten gegen die Staatssicherheit die Unsicherheit setzen, und so abgesteckt war auch das Terrain.

Die Boheme der DDR erscheint, trotz aller Bekundungen, als begrenzter Raum. Schließlich ist "Subkultur" ein widerspenstiges Sujet. Gemeinhin einer "Hochkultur" entgegengestellt, einem ästhetischen Schaffen, das sich gemäß den von einer Gesellschaft genormten Eckdaten bewegt, soll der Terminus Subkultur das Brüchige, Flüchtige oder nur in kleinen Zirkeln Vorhandene und Debattierte bezeichnen. Subkultur in der DDR, wie es die Ausstellung vermittelt, muß bedeutet haben: Lesungen, unangemeldete Rockkonzerte, illegale Galerien in Abbruchhäusern. In einem ökonomischen Rahmen betrachtet, könnte man von einer aufkeimenden privatwirtschaftlichen Organisationsform sprechen, eben so, wie im Kapitalismus der Terminus "Subkultur" bisweilen mit dem Topos des Jungunternehmers verbunden ist. Das ist in gewisser Weise nur logisch: Wer andere Werte in der DDR schaffen wollte, war ebenso auf die Mittel angewiesen wie anderswo.

Wenn man davon ausgeht, daß sich die Subkultur-Produktion auf Schnelles und Flüchtiges spezialisiert, sich mindestens aber auf ein System von Absprachen beruft, ist man in der "Boheme"-Ausstellung richtig. Kaiser und Petzold führten 140 Interviews mit Vertretern der anderen Kultur der DDR, die oft genug die offizielle der Bundesrepublik hätte sein können. Denn die Staatsicherheit sah ja eine ganze Menge Dinge nicht gern. Da sie sich im Besitz der richtigen Meinung wähnte, ordneten deren Sachbearbeiter alles, was von der proletarischen Linie abwich, als spätbürgerliche oder staatsgefährdende Spielerei ein. Stasi-Akten haben Petzold und Kaiser jahrelang gewälzt.

Und sie liefern jede Menge Datenmaterial über die verschiedenen Subszenen. Daß es seltsam ist, sich gerade zur Kategorisierung einer diffusen Welt die Kontrollpapiere einer an Kultur über alle Maßen interessierten öffentlichen Instanz zu orientieren, wie es Petzold und Kaiser getan haben, scheinen auch sie zu merken. Man verlege sich letztlich auf die Ausstellung von "Phänomenen", erklärt Direktor Stölzl, von Einzelobjekten, an denen mit der zeitlichen Entfernung der DDR ein "immenses Publikumsinteresse" bestehe. Ein Eindruck, den jeder bestätigen kann, der ab und zu im Osten Berlins vorbeischaut. Zu einer Lesung des Journalisten Alexander Osang aus seinem Buch über die letztes Jahr verstorbene Sängerin Tamara Danz erschienen über 800 Besucher. "Die DDR ist vergangen, aber lange noch nicht vorbei" lautet denn auch eine These der Ausstellung - angelehnt an einen Neil-Young-Song ("The King is gone, but he's not forgotten" aus "Out of the Blue"): der sozialistische Staat als kleine, feine Popwelt.

Boheme und Subkultur der DDR reichten von links nach rechts, und ihre definitive Bestimmung war nicht immer Staatsferne. Dabei spielte die evangelische Kirche als "Schutzmacht" eine ebenso entscheidende Rolle wie die Ständige Vertretung der Bundesrepublik. Zentrales Motiv der Ausstellung ist der Sänger Wolf Biermann, dessen berühmtes Porträt in der Wohnung in der Berliner Chaussee-Straße. Dieses Bild scheint auszudrücken, was auch der 400 Seiten starke Katalog gerne zusammenfassen würde. Da sitzt ein Künstler bei der Produktion von Kunst, zwei Frauen auf dem Sofa und die ganze Wand ist voller Bilder. Stereoboxen und ein Kachelofen. Das ist die Version einer Subkultur, die mit der Ausweisung Biermanns beendet schien. Bis dato dachten die Bürger, mit subversiven Anregungen ans System heranzukommen. Und verengten den Blick rein aufs deutsche Schicksal. "Bohemia" bedeutete ja auch: legale Westreisen. Und vielleicht auch: eine Schwulen- und Lesbenszene. Aber die hat man getrost vergessen.

Später sei den Bürgern klar geworden, daß sich eine produktive Veränderung der DDR nicht ergeben würde. "Die DDR-Boheme hatte weder eine pyramidale Hierarchie noch ein einheitliches Programm", schreiben Petzold und Kaiser im Katalog, "sie war eine lose Solidar- und Notgemeinschaft, die verschiedenste Facetten, Typologien und Philosphien in informellen Kreisen, Zirkeln und Gruppenbildungen verband." Sie verwarf zuweilen ihren politischen Charakter, weil ja grundsätzlich das Private als politisch galt. Boheme - was soll man darunter verstehen, wenn die Darstellung scheitert? Ein Notizbuch aus dem "Notwehr"-Kreis des rechtskonservativen Politikers Steffen Heitmann, die Gedichte eines Lutz Rathenow, Bilder von Bärbel Bohley mit Kindern, Clogs und Schlaghose im Kreise ihrer Angehörigen und abstrakte Kunst ebenso wie die Fotos der Klaus-Renft-Combo, eine der am intensivsten überwachten Musikgruppen, deren Mitglieder zeitweilig im Gefängnis saßen oder Strafarbeiten abzuleisten hatten. Ein beliebtes Erziehungsmittel war die berufliche Degradierung. "Perlen von die Säue" nennen die Kuratoren diese Verschwendung an Humankapital.

Nichts anderes eint in Ausstellung wie Vergangenheit als eine irgendwie geartete Oppostionstätigkeit, deren Grad in den Schreibstuben des MfS beurteilt wurde. Aktennotizen von Operativen Vorgängen sollen die Wechselwirkung zwischen Staat und Kultur verdeutlichen. Das ist nicht gerade spannend, Spannung aber soll sich einstellen bei Bildern von gepackten Ausreisekisten.

"Ich bin Dreck. Und will Dreck bleiben" - das bekannte Plakat des später emigrierten A.R.Penck soll der individuellen Befindlichkeit des "DDR-Menschen" (Stölzl) Ausdruck verleihen, dem dauernden deutschen Leiden, wo alle anderen Exponate nicht recht wirken mögen: Ein Nebeneinander von Schallplattencovern von sogenannten schwarzen (Punk-)Bands der achtziger Jahre, Galerie-Plakaten, Malereien und Party-Fotos aus den Dissidenz-Zentren und "Inseln der Unordnung" Berlin-Prenzlauer Berg, Leipzig-Konnewitz oder Dresden-Neustadt.

Die Aussteller lassen offen, ob die DDR-Subkultur letztlich von der Staatssicherheit simuliert wurde; daß sie aktiv am Zusammenbruch des Sozialismus teil hatte, steht für sie fest. Kultur als Widerstandsritual faßt hier biederste bürgerliche Literatenzirkel, rechtsradikale Romantiker und linksreformerische Avantgarden zusammen. Boheme sei - Dissidenz. Und die wiederum eine Überlebensstrategie. Definition: Hedonisten in unhedonistischen Zeiten. Ob Boheme in der DDR nicht nur "fröhlich saufen und spät aufstehen" bedeutet habe, möchte hingegen der "Westmensch" Stölzl offenlassen. Das wäre jedenfalls nicht die schlechteste Zusammenfassung, die diese Ausstellung zu leisten imstande wäre. Sie kommt einer vor Zeiten von Diedrich Diederichsen aufgestellten These nahe, nach der der Bohemien sich vor allem dadurch auszeichne, daß er nachts das Anderthalbfache dessen verprasse, was er am Tag verdiene. Damit wäre allerdings nicht nur die DDR-Boheme bezeichnet. Sondern Produktionsnotizen von Kultur insgesamt. Womit an Erkenntnis leider nichts gewonnen wurde.

Boheme und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte, Quartiere. 1970 bis 1989. Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin. Täglich außer Mittwoch, 10 bis 18 Uhr. Bis 16. Dezember