»Ich habe befohlen: 'Feuern'!«

Heinz Barth, einer von Hitlers sehr willigen Vollstreckern, ist aus der Haft entlassen worden

"Kompaniechef Kahn gab mir den Befehl, mit meiner Gruppe die französischen Bürger in der Scheune zu erschießen. Die Torflügel der Scheune standen weit offen. Die Männer darin waren sehr erregt, sehr aufgeregt. (...) Und dann habe ich befohlen: 'Gruppe, feuern!' Es haben alle geschossen. Ich selbst habe etwa zwölf bis 15 Schuß abgegeben. Also, etwa eine halbe bis eine Minute wurde geschossen. (...) Die Menschen klappten einfach so zusammen." (Aussage des Angeklagten Heinz Barth vor dem Stadtgericht Berlin)

Der Nazi-Kriegsverbrecher Heinz Barth, geboren am 15. Oktober 1920, wird seinen 77. Geburtstag in Freiheit feiern. Gemessen an seinen Lebensjahren, war die Zeit im Gefängnis eine kurze: Am 14. Juni 1981 wurde er in der DDR festgenommen, am 7. Juni 1983 vom Stadtgericht Berlin zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, Anfang September 1997 - der genaue Termin bleibt geheim - aus der Haft entlassen. Der Rechtsstandpunkt des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ist eindeutig: Das hohe Alter und die angeschlagene Gesundheit des Heinz Barth sowie seine eindeutige Distanzierung von den Taten, derentwegen er verurteilt wurde, und sein Verhalten, das von "tiefer Reue" geprägt sei, gebiete es, die Freiheitsstrafe nicht bis zum Tode fortzusetzen.

Sein Weg als Nazi-Mörder führte den Polizisten Barth von Lidice in der Tschechoslowakei über Tulle nach Oradour-sur-Glane im französischen Limousin. Als Barth seinen Dienst in einer Polizeieinheit der Tschechoslowakei antritt, ist der Name seines Stationierungsorts Klattau noch weitaus bekannter als der des nahegelegenen Dorfes Lidice. Als am 27. Mai 1942 der SD-Chef von Prag, Reinhard Heydrich, von Partisanen erschossen wird, überziehen die Deutschen das "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren" mit einer Welle des Terrors, für die der Name des Bergarbeiterdorfes Lidice zum Begriff werden sollte. In der Nacht zum 9. Juni stürmen die Deutschen das Dorf, erschießen die 173 Männer und Jungen; die Frauen und Mädchen werden in die Konzentrationslager in Theresienstadt und Auschwitz deportiert, die nur wenige überleben werden. Das Dorf wird von einem Trupp des Reichsarbeitsdienstes gesprengt. Am Abend des 10. Juni 1942 erschießt Barth in Klattau zum ersten Mal Geiseln: Vier Angehörige der tschechischen Intelligenz.

Das 22jährige NSDAP-Mitglied Barth bekommt von seinem Vorgesetzten ein gutes Zeugnis. Er zeige "bei gesundem Ehrgeiz echten Kameradschaftssinn. Im und außer Dienst sowie Vorgesetzten gegenüber ist sein Verhalten stets stramm und einwandfrei. Barth hat das Wesen der nationalsozialistischen Weltanschauung erfaßt". Er wird zu einem Offiziersanwärterlehrgang vorgeschlagen. Im Januar 1943 wird Barth befördert, er kommt von der Polizei zur SS. In der schwarzen Uniform geht es von Frankreich an die Ostfront, von da kommt SS-Untersturmführer Barth mit Frostbeulen zurück nach Südwestfrankreich und soll nun bei der Waffen-SS-Division "Das Reich" Unterführer ausbilden.

Am 6. Juni 1944 landen die Alliierten in der Normandie. Überall in Frankreich verstärken die Widerstandsbewegungen ihre Aktivitäten. Von Toulouse aus setzt sich die SS-Division "Das Reich" in Richtung Normandie in Bewegung. Es beginnt, was in Frankreich der "blutige Marsch" genannt wird. Am 8. Juni 1944 wird in dem Dorf Frayssinet-le-Gélat, wo die Division Pause macht, ein SS-Mann erschossen. Das Dorf wird in Brand gesetzt, viele seiner Einwohnerinnen und Einwohner werden erschossen. Am 9. Juni werden in der Stadt Tulle 99 Menschen erhängt, an den Balkons der Häuser, an Laternen und Telefonmasten. Über einen Verstärker lassen die Deutschen Tangomusik durch die Straßen dröhnen.

Die Deutschen, durch die Aktionen der Partisanen zunehmend zermürbt, ziehen mordend weiter. Als die Partisanen am selben Tag, an dem das Massaker von Tulle stattfindet, den SS-Sturmbannführer Kämpfe entführen, befiehlt der SS-Bataillonskommandant, den Ort Oradour-sur-Glane bei Limoges zu zerstören und alle Einwohnerinnen und Einwohner, gleich welchen Alters, zu töten. Das geschieht am 10. Juni 1944. 642 Menschen fallen der Rache der SS zum Opfer; nur 52 von ihnen können identifiziert werden.

Barth ist überall dabei. Auf dem Weg nach Oradour ruft er seinen Kameraden zu: "Heute werdet ihr viel Blut sehen."

Ende Juni wird Barth schwer verwundet, ein Unterschenkel muß amputiert werden. Er kehrt als Obersturmbannführer nach Gransee in Brandenburg zurück, wo er vor dem Krieg gelebt hatte. Dort bleibt er. Er wird DDR-Bürger, er wird Leiter des Konsums in Gransee. Barth hätte schon Anfang der sechziger Jahre festgenommen werden können, aber die ihn belastenden Aussagen werden in der BRD unter Verschluß gehalten. Er fälscht seinen Lebenslauf, 1981 rechnete Barth nicht mehr damit, noch vor Gericht gestellt zu werden.

Wie Lidice ist Oradour zu einem Begriff für das Verbrechen geworden. Oradour bedeutet in Frankreich jedoch nicht nur das Verbrechen, Oradour bedeutet auch das Scheitern der Ahndung und Verfolgung dieses Verbrechens. Die Freilassung Barths, aber auch das Erscheinen und das Verbot eines revisionistischen Oradour-Buches, haben in Frankreich eine Debatte ausgelöst, die in ihrer Schärfe an die fast fünfzig Jahre zurückliegende Auseinandersetzung um das Amnestie-Gesetz für Kollaborateure erinnert. Damals ging es vor allem um elsässische SS-Männer, von denen einige auch an dem Massaker von Oradour beteiligt waren. Am 12. Februar 1953 ging in Bordeaux der Oradour-Prozeß zu Ende. Ein Angeklagter wurde freigesprochen, zweimal wurde die Todesstrafe verhängt, achtzehnmal Gefängnisstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren. Drei Angeklagte wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt - unter ihnen Barth, dessen Vorname nicht bekannt war. Sechs Tage nach dem Urteil beschloß die Nationalversammlung eine Amnestie, die SS-Leute aus dem Elsaß wurden freigelassen, wenig später auch die deutschen, das Urteil wurde kassiert.

Sechs Tage seines Lebens ist Barth also - wahrscheinlich wußte er nicht einmal davon - zum Tode verurteilt gewesen. 44 Jahre später heißt es in der Presse-Erklärung des Gerichts, Barth habe aufgrund der "Schwere der Schuld" zwar "deutlich über 15 Jahre" abzusitzen gehabt, "unter Berücksichtigung der Umstände dieses Einzelfalles" sei jedoch "keine Fortsetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe bis zum Tode" geboten. Das wäre Barth gegenüber auch ungerecht: Keiner der Mörder der 642 von Oradour, auch nicht der kommandierende SS-General Lammerding, ist in der BRD vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Im Gegenteil wurde Lammerding 1953 vom Auswärtigen Amt gewarnt, vor dem Gericht in Bordeaux auszusagen, weil er dort schon wegen anderer Verbrechen zum Tode verurteilt sei.

Mit dem Wissen darum, was Barth in "mörderischer Selbstrealisierung" (Jean Améry) getan hat, muten die Begründungen des Potsdamer Gerichts, obgleich juristisch korrekt, anmaßend an; überdies springt die freiwillige Beteiligung an barbarischen Exzessen gegen die Zivilbevölkerung ins Auge; Barth ist unter den willigen Vollstreckern einer der sehr willigen gewesen: Aber nicht einmal Barths gerichtsbekannte Grausamkeit spricht gegen die Freilassung. Das Gericht übt sich in Ausgewogenheit, die Entlassungsgründe überwiegen eben, schließlich ist es eine Freilassung "zur Bewährung" - im Wiederholungsfalle, da können die in Frankreich doch glücklich sein, würde er in Deutschland wieder eingesperrt werden.