Oskar, Joschka und die Couchkartoffel

Die Haushaltsdebatte im Bundestag war die Vorschau auf dreizehn Monate Wahlkampf

Helmut Kohl hat es wieder mal als erster ausgesprochen: "Wenn Sie wollen, können Sie zwölf Monate Wahlkampf machen", sagte er der SPD-Opposition in der Generaldebatte um den Haushalt 1998 am 10. September im Bundestag: "Zunächst in diesen Tagen in Hamburg. Im nächsten Jahr haben wir die Wahlen in Niedersachsen und dann in Sachsen-Anhalt. Dort werden Sie den Wählern erläutern müssen, wie es mit Ihrem Probelauf mit dem Modell SPD-Grüne-PDS ist. (...) Ferner werden wir im nächsten Jahr in Bayern, dann die Bundestagswahl und die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern haben." Ob es dem Kanzler gefällt oder nicht (natürlich gefällt es ihm nicht): Der Wahlkampf zur Bundestagswahl im Oktober 1998 hat längst begonnen. Spätestens seit die norddeutsche Sozialdemokratie mit Gerhard Schröder und Henning Voscherau an der Spitze im Juni eine Debatte um das Thema Innere Sicherheit und das angeblich so erfolgversprechende New Yorker Rezept hierzu losgetreten hat, seit Kohls eigener Finanzminister Waigel dem Staatsfernsehen seinen Frust mitgeteilt hat, bleibt auch dem Regierungschef nichts anderes übrig, als Wahlkampf zu machen.

So ging es denn in jener großen Bundestags-Debatte, traditionell als Haushaltsdebatte bezeichnet wird, noch weniger als in den Jahren zuvor um Etatfragen. Es ging um Profilierung, es ging vor allem darum, innerhalb der einzelnen Parteien und Fraktionen inhaltliche Schwerpunkte zu setzen und personelle Pfründen abzustecken. Einzig der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine ging ausführlich auf Fragen der Wirtschafts- und Steuerpolitik ein und versuchte so den Eindruck zu zerstreuen, für Fragen der Ökonomie sei bei den Sozialdemokraten Gerhard Schröder zuständig. Gegen Lafontaines Vorhaltungen, seine Koalition habe den Staat heruntergewirtschaftet, konnte Kohl denn auch schwer punkten.

Doch man wurde den Eindruck nicht los, daß Lafontaine sich nicht deswegen so lange beim Thema Staatsfinanzen aufhielt, weil dies das Motto der Debatte war, sondern weil er vorhat, einen wesentlichen Teil des Wahlkampfes mit diesem Thema zu bestreiten. In der Tat wird die SPD einige Überzeugungskraft brauchen, um den Wählern glaubwürdig zu machen, daß ihr im Falle eines Wahlsiegs auch nur ein geringer Spielraum für irgendwelche Reformvorhaben bleibt. Zudem haben die Sozialdemokraten an der Hypothek zu tragen, daß ihren beiden Frontmänner von der Regierungskoalition ihre notwendig pragmatische Politik als Ministerpräsidenten vorgehalten wird - insbesondere, da beim beherrschenden Steuerthema die Konflikte zwischen Bund und Ländern stärker hervortreten werden, als dies ohnehin schon der Fall ist, wird es für die Union ein leichtes sein, hier Pluspunkte zu sammeln.

Das kündigte sich in der Haushaltsdebatte schon durch unentwegte "Saarland! Saarland!"-Zwischenrufe von den Unionsbänken an, wenn Lafontaine auf den Zustand der Bundesfinanzen einging.

Was die Redebeiträge fast sämtlicher anderer Redner betrifft, beschränkte sich deren Informationsgehalt im wesentlichen darauf, zu demonstrieren, von welcher Art die Dauerberieselung während der kommenden 13 Monate sein wird. Kohl versuchte, ganz der würdevolle Patriarch, den zu verlachen längst nicht nur als unfein, sondern auch als unklug gilt, alle Anwerfungen an sich abgleiten zu lassen. Der Kanzler wird wohl auch während des kommenden Jahres sein bestes tun, um den angekratzten Mythos der Unangreifbarkeit noch einmal aufzupolieren. Die Dreckarbeit erledigen andere, etwa der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, der am 10. September wieder einmal vorführte, was so eine richtig schöne Ausländerhetze auf gut bayerisch ist ("Zu uns ins Land wären sehr viel weniger Ausländer gekommen, wenn wir die Schlupflöcher eher gestopft hätten. Ein Teil des Arbeitsmarktproblems beruht darauf, daß wir in unserem Land zu viele Ausländer haben."). Zwischen CDU und CSU zeichnet sich eine bewährte Arbeitsteilung ab: Kanzler Kohl und seine Getreuen geben die Staatslenker, während die Partei aus dem Süden - auch im Hinblick auf die Wahl zum Landtag im eigenen Bundesland, die zwei Wochen vor der Bundestagswahl stattfinden wird - einen Wahlkampf nach Art der Republikaner machen wird. Welche Rolle dabei CSU-Chef Theodor Waigel einnimmt, der das lästige Finanzressort gerne möglichst lange vor der Bundestagswahl los wäre, ist derzeit noch nicht vorherzusagen.

Immerhin wird Grünen-Sprecher Joseph Fischer, der nicht nur dem spröden Scharping, sondern auch Lafontaine und Schröder rhetorisch weit überlegen ist, für Unterhaltungseinlagen von der Oppositionsbank sorgen. Schon jetzt geraten Beobachter des Bundestagsgeschehens ins Schwärmen, wenn der abgespeckte Grünen-Chef ans Rednerpult tritt, und fühlen sich an die klassischen Schlagabtäusche zwischen Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß in den siebziger Jahren erinnert. Doch der Union und erst recht der vollends langweiligen FDP fehlt es an passenden Konkurrenten, so daß die Übertragungen aus dem Bundestag wohl auf mittlere Sicht die damalige Qualität nicht wieder erreichen werden. Dafür gibt es ja mittlerweile eine Fernsteuerung, mit der man schnell weiterzappen kann.