Sportchef des ORB-Fernsehens

Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Am Tag, als Jürgen Sparwasser den Weg zu Sepp Maiers Tor fand, war ich zu Hause. Schließlich begann das Spiel erst gegen 20 Uhr, und ich war erst neun Jahre alt.

Schon vor Sparwassers Tor war dieser Tag ein besonderer für mich, denn ich durfte trotz der fortgeschrittenen Tageszeit dem deutsch-deutschen Fußballspiel vor dem Fernseher beiwohnen. Ein besonderes Erlebnis, denn es gab Salzstangen, Erdnußflips und Bitter Lemon, die extra aus der Hauptstadt der DDR herangekarrt worden waren. Nicht wegen Sparwasser und Beckenbauer, sondern wegen Tante Hannelore und Onkel Wilfried, die aus Potsdam zu Besuch gekommen waren.

Insofern lief der Fernseher vor durchaus beeindruckender Kulisse mit zweimal Eltern, einmal Oma, zweimal Verwandtschaft, einmal Hund und mir. Vom Spiel selbst sind mir nur drei Situationen in Erinnerung geblieben: Die Riesenchance von Hansi Kreische aus Dresden vor dem leeren westdeutschen Tor, die gelbbestrafte Schauspieleinlage desselben Spielers und das Tor. Das Tor der Tore.

78. Minute. Abwurf vom späteren Zwickauer Bürgermeister Jürgen Croy, damals Torwart der Betriebssportgemeinschaft Sachsenring Zwickau, dann die Flanke vom Hauptmann der Nationalen Volksarmee Erich Hamann, gerade eingewechselter Mittelfeldarbeiter vom FC Vorwärts Frankfurt/Oder und schließlich die historische Vollendung vom Bördekicker Jürgen Sparwasser vom 1. FC Magdeburg. Seitdem habe ich nie mehr verstanden, warum Hans-Hubert Vogts ein großartiger Verteidiger gewesen sein soll.

Tor und Ergebnis hatten für mich zwei Konsequenzen: Ich wurde am Rotkäppchen-Sekt-Gelage der Erwachsenen beteiligt. Und ich erwarb kurze Zeit später auf dem Soli-Basar der DDR-Journalisten auf dem Berliner Alexanderplatz am Stand vom Deutschen Sportecho ein Original-Foto von Sparwassers Tor. Dieses Bild hing jahrelang an der Wand meines Kinderzimmers. Und deshalb erinnere ich mich immer an den Tag, an dem das Sparwasser-Tor fiel.