Alltag einer Heldenstadt

Leipzigs Gerichte müssen über mehrere mutmaßliche Mörder urteilen. Rechtsradikale Hintergründe können die Strafverfolger glücklicherweise nicht so recht erkennen

Leipzig im Herbst 1997. Gleich zweimal muß die Justiz der Messestadt über Mordfälle richten, in denen vor allem eines vorab schon feststeht: Weder sind die Täter in rechtsradikale Organisationen eingebunden, noch besteht ein Zusammenhang zwischen dem rassistischen gesellschaftlichen Diskurs und den Morden. Beides wird vor dem Landgericht wohl keine Rolle mehr spielen, obwohl allein die Wahl der Opfer für sich spricht: Im Mai vergangenen Jahres ermordeten vier Skinheads den Schwulen Bernd G., fünf Monat später töteten zwei deutsche Männer den syrischen Asylbewerber Achmed Bachir.

Für den Leipziger Oberstaatsanwalt Norbert Röger ist der Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder Bachirs schon erledigt, bevor er überhaupt begonnen hat: Die beiden Deutschen Daniel Z. und Norman E. ermordeten den Asylsuchenden nicht aus rassistischer Motivation, so das Fazit Rögers, der die Anklage gegen die Männer vor Gericht vertreten wird, wenn am 29. September der Prozeß beginnt. "Die bisherigen Hinweise haben den Verdacht eines ausländerfeindlichen Angriffes nicht bestätigt."

Eine eigenartige Wahrnehmung. Schließlich hatten die zwei deutschen Jungmänner an ihrer Gesinnung wenig Zweifel gelassen, als sie am 23. Oktober vergangenen Jahres kurz vor Ladenschluß das Gemüsegeschäft des Syrers Shahim betraten. "Türkenweiber" und "Alte Schlampen" schrien sie den deutschen Verkäuferinnen entgegen, stießen die Auslagen um und warfen mit Pampelmusen, Äpfeln und Orangen. Dann trat ihnen Achmed Bachir entgegen, der seit einigen Wochen in Shanins "Fruchtparadies" aushalf. "Nun ist gut, wir wollen jetzt schließen, geht nach Hause", sagte er, klatschte in die Hände und begleitete Daniel Z. und Norman E. an die Türe. Dort stach einer der beiden plötzlich zu. Mit einem Butterfly-Messer ging er auf den Syrer los. Die Männer flüchteten, der 30jährige Achmed Bachir blieb regungslos auf dem Boden liegen. Eine halbe Stunde später starb Achmed Bachir. Nach Deutschland war er gekommen, um seine Familie in Damaskus finanziell zu unterstützen - ein sogenannter Wirtschaftsflüchtling, der nach geltendem Recht keine Chancen auf Asylgewährung gehabt hätte.

Rassismus? "Sicher sind gewisse Worte gefallen", räumt Staatsanwalt Röger ein, aber deswegen könne noch nicht von dem Motiv Ausländerfeindlichkeit gesprochen werden. So bestätigt sich nach knapp einjährigen "umfangreichen ergebnislosen Recherchen" über eine mögliche Einbindung der Täter in rechtsradikale Organsationen, was die Leipziger Strafverfolger schon unmittelbar nach dem Mord wußten: Aus "irgendeinem ausländerfeindlichen Ausdruck" könne man noch nicht auf eine entsprechende Gesinnung schließen, wie Staatsanwalt Rainer Moser einen Tag nach der Tat sagte. Achmed Bachirs Freund Shahin widerspricht: "Daß die Täter von vorneherein etwas von Ausländerhaß in sich hatten, ist nicht zu leugnen." Und beim Leipziger Bündnis gegen Rechts wird man ob der "ganz normalen gewaltbereiten Einzeltäter" langsam zynisch. Dennoch gehen auch die Antifas davon aus, daß die beiden Täter "nirgends eingebunden" sind. "Außer eben im organisierten Deutschtum, das keine festeren Strukturen braucht als den allgemeinen rassistischen Konsens", wie ein Sprecher der Gruppe ergänzt.

Stojan Gugutschkow, Ausländerbeauftragter in der Messestadt, hält den Mord allerdings für ein "außergewöhnliches Vorkommnis". Während die Antifa von einer Zunahme rechter Gewalt spricht, wollte er nach der Tat keinen Zusammenhang erkennen. Eine nennenswerte rechtsextremistische Szene existiere in Leipzig nicht. Gugutschkow: "Es hätte auch irgendeinen Deutschen treffen können."

Fünf Monate vorher hatte es tatsächlich einen Deutschen getroffen, nicht "irgendeinen", nein, den stadtbekannten Schwulen Bernd G., der schon zu DDR-Zeiten mit seinem Freund einen Laden im Leipziger Stadtteil Wahren betrieb. Mehrere Neonazis aus dem Viertel überfielen den 43jährigen am Abend des 8. Mai 1996, einer zog ein Messer und stach auf das Opfer ein. Dann verfrachteten sie den Mann in einen Trabant, fuhren an einen nahegelegenen See und warfen ihn ins Wasser. Zehn Tage später fanden Spaziergänger die Leiche. Den Tätern kam die Polizei jedoch nur zufällig auf die Spur: Einer der Rechtsradikalen wurde automatisch fotografiert, als er versucht hatte, mit der Scheckkarte des Ermordeten Geld abzuheben. Kurz darauf nahm die Polizei auch die Mittäter fest.

Seit dem 16. September müssen sich Rainer S., Michael L., David D. und Markus W. für den Mord vor dem Landgericht verantworten. Zweifel am neonazistischen Hintergrund lassen sich in diesem Fall allerdings beim besten Willen nicht schüren: Bei einer Razzia in der Wohnung, in der sich die Männer vor der Tat aufgehalten hatten, stellte die Polizei rechtsradikales Propagandamaterial und eine Reichskriegsflagge sicher.

Das Leipziger Bündnis gegen Rechts vermutet weitere Zusammenhänge. Schließlich lebe nahe jener durchsuchten Wohnung auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD und Geschäftsführer des Kreisverbandes der Partei, Jürgen Schön. "Dort treffen sich regelmäßig Neonazis, von denen faschistische Angriffe ausgehen", sagt eine Sprecherin der Antifa-Gruppe. Und tatsächlich ist der Stadtteil Wahren nach Informationen des Schwulenbeauftragten der Stadt ein Schwerpunkt schwulenfeindlicher Angriffe in Leipzig.

Doch nicht nur räumlich, vor allem ideologisch gehen die Täter mit der NPD konform. Schließlich will die rechtsradikale Partei gegen "die Abwanderung unserer Gesellschaft in eine Tunten-Schmuddelrepublik" vorgehen. So scheint es wenig verwunderlich, daß 20 bis 25 junge Herren mit entsprechendem Outfit, die in dem Viertel regelmäßig auffallen, das Verfahren gegen ihre vier Kameraden vor dem Leipziger Landgericht mit Spannung verfolgen. Ob aber dort die rechtsradikale Einbindung der teilweise geständigen Beschuldigten zur Sprache kommt, scheint unwahrscheinlich. Bislang hat der Ankläger kein Wort zu diesem Thema verloren, und noch in diesen Tagen soll der Prozeß bereits zu Ende gehen.