Die Vertagung des letzten Gefechts

In Manila demonstrierten rund 500 000 Menschen am 25. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts. Die Träume der Guerilla haben sich nicht erfüllt

Mammutaufmarsch in Manila: Zum 25. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts durch den damaligen Präsidenten Ferdinand E. Marcos demonstrierten und beteten am Sonntag vor einer Woche mindestens 500 000 Menschen in der philippinischen Hauptstadt für Demokratie und besondere Wachsamkeit gegen Machtmißbrauch durch hochrangige Politiker. Kurz vor der Kundgebung und nicht zuletzt, um der Kritik an seiner Person den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte der amtierende Präsident Fidel V. Ramos erklärt, er werde sich an die Verfassung halten und somit im nächsten Frühjahr kein zweites Mal für das Präsidentenamt kandidieren. Knapp zwei Wochen zuvor hatte er diese Frage ausdrücklich offen gelassen.

Ramos verfolgt den ehrgeizigen, wenngleich wenig realistischen Plan, aus den Philippinen einen kleinen "Tiger" zu machen. Nicht zuletzt deswegen ist er gezwungen, für innenpolitische Stabilität zu sorgen, wobei ihm diverse Guerilla-Bewegungen wie das Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) im Wege stehen. Die Friedensverhandlungen mit der NDFP stagnieren jedoch (s. Interview).

Noch Mitte der achtziger Jahre galt die NDFP mit ihren ein Dutzend sektoralen Gruppierungen, darunter die Kommunistische Paffei (CPP) und die Neue Volksarmee (NPA), als die weltweit am schnellsten wachsende Guerillabewegung. So jedenfalls sahen das seinerzeit die Strategen des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums und der CIA. Doch der Sturz des 20 Jahre lang amtierenden Despoten Marcos im Februar 1986 war alles andere als dem erfolgreichen letzten Gefecht der Revolutionäre geschuldet. Es waren vorrangig die metropolitanen Mittelschichten in Manila, welche die Speerspitze eines breiten antidiktatorischen und demokratischen Kampfes bildeten und in den entscheidenden Augenblicken des Machtwechsels ihre RepräsentantInnen - verkörpert in Corazon C. Aquino - an die Macht hievten. Wichtige Rückendeckung genoß die neue Präsidentin dabei seitens einer Offiziers- und Politikerkaste um General Fidel V. Ramos und Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile, die dem Diktator langjährig die Stange gehalten und sich nunmehr hurtig von ihm abgewandt hatten.

Seitdem geriet nicht nur das Weltbild der NDFP ins Wanken, die sich die postdiktatoriale Ära gänzlich anders vorgestellt hatte. Der vormalige ideologische Bezugspunkt, die VR China, büßte im Sog ihres nachholenden kapitalistischen Übereifers und des drakonischen Vorgehens gegen innenpolitischen Dissens zunehmend an Faszination ein. Schließlich schien mit der Erosion der realsozialistischen Regime in Osteuropa und dem Verschwinden der Sowjetunion das Projekt Sozialismus zu Grabe getragen worden zu sein. Interne Schwierigkeiten taten ein übriges, die NDFP eines Großteils ihrer einst genossenen Reputation und politisch-ideologischen Stärke zu berauben.

Die Untersuchung von Massakern an eigenen GenossInnen löste einen erbitterten Disput über die Ursachen und Konsequenzen eines solch desaströsen Kurses aus. Die vormals monolithisch auftretende Organisation spaltete sich hoffnungslos in sogenannte Reaffirmists und Rejectionists - mit bis heute andauernden Folgen. Betrachten erstere die philippinische Gesellschaft nach wie vor als semi-feudal und semi-kolonial sowie den langwierigen Volkskrieg zwecks Schaffung einer volksdemokratischen Regierung als gültig, verfolgten und verfolgen letztere die Strategie eines politisch-militärischen Kampfes inklusive städtischer Insurrektionen, um die Machtfrage in ihrem Sinne zu lösen. Bisheriges Fazit: Die Linke insgesamt hat schwere Rückschläge erlitten, die CPP/NPA versucht verlorengegangenes Terrain zurückzugewinnen. Derweil brüstet sich Präsident Ramos damit, sein Land allmählich in einen "Tiger" zu verwandeln, der zum großen Sprung ins nächste Jahrtausend ansetzt und die Inseln in den erlauchten Kreis der asiatisch-pazifischen Erfolgsökonomien einführt. Dazu bedarf es unbedingt stabiler und friedlicher innenpolitischer Zustände. So sind denn seit Jahren Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen der Regierung in Manila mit der in Utrecht residierenden (Reaffirmist-) Exilführung der NPFP im Gange, die - hauptsächlich in verschiedenen Orten der Niederlande geführt - in die entscheidende Phase treten.

Präsident Ramos ist daran gelegen, schnellstmöglich zu einem Schulterschluß mit der NDFP zu kommen. Mit den innermilitärischen Kontrahenten der RAM, den Nachfolgern der Mitte der achtziger Jahren entstandenen "Reformbewegung der Streitkräfte", konnte er bislang ebenso Frieden schließen wie mit der von Nur Misuari befehligten Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), deren Kampf für Autonomie seit Beginn der siebziger Jahre etwa 120 000 Menschen das Leben kostete, immense materielle Verwüstungen auf den Südinseln Mindanao und Jolo hinterließ und zwischenzeitlich Zehntausende Flüchtlinge ins benachbarte malaysische Sabah verschlug. Friedensverhandlungen laufen überdies zwischen der Zentralregierung in Manila und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), einer Abspaltung von der MNLF, die immer noch - allerdings ohne reale Erfolgsaussichten - die Bildung eines unabhängigen islamischen Staates im Süden des Archipels anvisiert.