Entscheidung am 5. Oktober

Milosevićs Kandidat Zoran Lilić hat in Serbien gute Aussichten, aber noch nicht gewonnen. Bei einem Erfolg des Rechtsradikalen Seselj droht Rest-Jugoslawien eine erneute Spaltung

Die serbischen Parlamentswahlen endeten mit einem Paukenschlag: Die Rechtsradikalen (SRS) verdoppelten ihre Sitze auf 80, die Sozialisten (SPS und JUL) fielen auf 110 (vorher 123) zurück, die Konservativen (SPO) landeten abgeschlagen bei 45 Sitzen. Bei den gleichzeitig abgehaltenen Präsidentschaftswahlen ergab sich ein ähnliches Bild: Der sozialistische Kandidat Zoran Lilić erhielt etwa 36 Prozent, gefolgt vom Rechtsradikalen Vojislav Seselj mit 29 und dem konservativen, mittlerweile zum Monarchismus konvertierten Vuk Draskovic« mit 21 Prozent.

Damit verändert sich die politische Szenerie Serbiens innerhalb von wenigen Monaten erneut völlig: Das bürgerlich-demokratische Oppositionsbündnis Zajedno, das im Winter 1996 noch mit wochenlangen Massendemonstrationen die nachträgliche Anerkennung seiner Erfolge bei den Kommunalwahlen erzwingen konnte, hat sich selbst entmachtet. Die Strategie der gemäßigten Oppositionspolitiker Zoran Djindjić (DS; Demokratische Partei) und Vesna Pesic« (GSS; Serbische Bürgerallianz), zum Wahlboykott aufzurufen, hat sich blamiert: Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 62 Prozent deutlich über dem erforderlichen Quorum.

Die OSZE hat - entgegen der Beschwerden der Blamierten und ihrer publizistischen Helfer im Westen - die Korrektheit der Wahlen bestätigt. Die Herauslösung der rabiat-antikommunistischen SPO aus dem Zajedno-Bündnis und ihre Teilnahme an den Wahlen endete allerdings in einem nicht weniger großen Desaster. Bei der Abschlußkundgebung von Draskovićs Wahlkampagne verloren sich gerade 10 000 Menschen auf dem "Platz der Republik" in der Belgrader Altstadt, militante Angriffe von SPO-Anhängern auf Veranstaltungen mit Milosević und monarchistische Parolenvon Drasković provozierten die Wähler eher dazu, gleich das rechtsradikale Original zu wählen: Vojislav Seselj und seine Serbische Radikale Partei SRS.

Bei der Regierungsbildung ebenso wie beim zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen steht die konservative SPO jetzt vor der Frage, ob sie gegen die SRS mit den Sozialisten zusammengeht. Falls nicht, wird Seselj viele SPO-Anhänger bei der Stichwahl vermutlich für sich gewinnen können und eine Regierungsbildung ohne seine Partei nicht mehr möglich sein. Ein serbischer Faschismus, den der Westen jahrelang begriffslos auf Milosevićs Sozialisten projiziert hatte, wäre dann eine reale Gefahr.

Dies hätte zunächst Auswirkungen für die Republik Srpska. Die Demontage der bislang dominierenden Karadzić-Partei SDS durch Aktionen der Sfor-Truppen hat nämlich bei den Kommunalwahlen am 14. September zumindest im östlichen Teil von Srpska nicht zu Gewinnen der bürgerlichen oder sozialdemokratischen Opposition geführt - sondern ebenfalls zu einem starken Anwachsen des bosno-serbischen Ablegers von Seseljs SRS.

Der Antagonismus zwischen Pale und Banja Luka, den beiden Machtzentren von Srpska, wird sich damit weiter verstärken - und damit wächst die Gefahr einer Spaltung des Landes in einen westlichen und einen östlichen Teil. "Jeder von ihnen hat seine historische und ökonomische Gravitationsregion: die westliche Entität ist gen Zagreb gerichtet, die östliche gen Belgrad. In diesem Fall kämen erneut die Zentrifugalkräfte ins Spiel, die zu einer Aufteilung Bosnien-Herzegowinas führen würden, und zwar entlang jener Linie, die der kroatische Präsident Franjo Tudjman seinerzeit bei einem Londoner Bankett auf einer Serviette gezogen hat", analysiert am 27.August Drago Buvać - früher einer der prominentesten jugoslawischen Journalisten, heute in den USA lebend - im Nedelnij Telegraf, die Lage.

Auch hier ist der vom Westen zu Unrecht stigmatisierte Milosević wieder als Feuerwehrmann tätig: Ende September brachte er das Kunststück fertig, zwischen Pale und Banja Luka einen Kompromiß zu stiften. Unter seiner Ägide einigten sich Momcilo Krajisnik, der serbische Vertreter im gesamtbosnischen Staatspräsidium, und die Srpska-Präsidentin Biljana Plavsić darauf, sowohl für das Srpska-Parlament als auch für das Präsidenten-Amt Neuwahlen anzusetzen. Damit wird versucht, das verfassungsrechtliche Patt zwischen beiden Staatsorganen auf demokratische Weise - und nicht, wie zuletzt, mit Steinen, Schlägern und Sfor-Panzern - aufzulösen. Stellt sich auf diese Weise eine neue Machtbalance in Srpska ein, wäre auch der Dayton-Friede fürs erste gerettet - und Seseljs Propaganda für die Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas und für einen Anschluß von Pale an Belgrad ginge ins Leere.

Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, daß ein Teil der westlichen Politiker den jugoslawischen Präsidenten bei dieser Gleichgewichtspolitik wenigstens nicht behindert. So hat sich das US-amerikanische State Department, seit es mit Milosević Hilfe den Dayton-Vertrag unter Dach und Fach bringen konnte, mit Scharfmachereien zurückgehalten: Die Zajedno-Forderungen zur Anerkennung der Kommunalwahlergebnisse wurden zwar unterstützt, nicht aber weitergehende Ziele wie der Sturz von Milosević; im Mai wurden die Kosovo-Albaner von der Organisierung illegaler Separat-Wahlen abgehalten und der Wahlboykott von Djindjić und Pesic« scharf kritisiert. Dazu wurde Belgrads außenpolitischer Gegner Kroatien geschwächt, indem man sämtliche Kredite von IWF und Weltbank einfror, das Verfahren gegen einen hohen kroatischen General vor dem Haager Tribunal eröffnete und vor kurzem auch noch den Ausschluß des Landes aus dem Europarat forderte.

Dem steht, neben einer anti-serbischen Strömung im Pentagon, vor allem die Politik der BRD entgegen: Der Sabotagekurs des kroatischen Regimes am Dayton-Bosnien hat Bonn so ungeniert unterstützt, daß Hans Koschnick als EU-Statthalter in Mostar verärgert zurücktrat; das Außenministerium hätschelt die militanten Kosovo-Albaner, ihr selbsternannter Präsident residiert in Bonn; Draskovic« werden in Belgrad Kontakte zum BND nachgesagt.

Die größte Gefahr für den Erhalt Rest-Jugoslawiens droht allerdings von Montenegro: Auch dort finden am 5. Oktober Präsidentschaftswahlen statt, und die besten Aussichten hat ein Mann, der ziemlich unverhohlen für die Eigenstaatlichkeit der Mini-Republik eintritt: Milovan Djukanović, der bisherige Premier.

Im Machtkampf innerhalb der regierenden "Demokratischen Partei der Sozialisten" (DPS) hat Djukanović Milosevićs Günstling Momir Bulatovic«, den bisherigen Präsidenten, ausgestochen. Die Fehde in den Führungsgremien endete mit der Spaltung der Partei, die allerdings noch nicht offen erklärt ist; beide Kandidaten beharren darauf, legitim von der DPS nominiert zu sein. Doch die öffentliche Meinung in Montenegro steht ziemlich klar auf der Seite von Djukanović, in der DPS-Parlamentsfraktion sind es ungefähr zwei Drittel der Abgeordneten.

Hinter dem Sezessionisten stehen die Direktoren der montenegrinischen Fabriken. Sie "fühlen sich durch die obstruktive Haltung Belgrads in ihrer Existenz bedroht", schreibt die FAZ. Das sind Töne, wie man sie 1990 ähnlich von ihren Kollegen in Slowenien und Kroatien hören konnte: Auch in Montenegro will das Kapital offenbar die Pflichten gegenüber dem Zentralstaat abschütteln und auf eigene Faust prosperieren. Die Einnahmen aus dem Adria-Tourismus will man nicht mehr mit Belgrad teilen, außerdem gibt es Visionen, als internationale Steuer- und Finanzoase ähnlich wie Luxemburg ausländisches Anlagekapital anziehen zu können. Das mögen Fantastereien sein, doch es wäre nicht das erste Mal, daß wegen solcher Fantastereien Blut fließen muß.

Die jugoslawische Armee hat jedenfalls schon ihre Truppen verstärkt, an der Grenze zu Serbien wird - ein absolutes Novum - seit neuestem scharf kontrolliert. Der worst case wäre zweifellos, wenn am Sonntag der serbische Ultra-Nationalist auf der einen, der montenegrinische Sezessionist auf der anderen Seite die Wahlen gewönne.

Ob Milosević, der seit seinem Wechsel in das Amt des jugoslawischen Präsidenten im Juli des Jahres eigentlich über beiden steht, dann noch schlichten kann, muß bezweifelt werden: Die Niederlage seiner Kandidaten Lilic« und Bulatović würde auch ihn schwächen.