Ausgebremste Wahrheitssucher

Südafrikas Wahrheitskommission soll im Oktober zahlreiche Massaker des Apartheid-Regimes untersuchen

Die südafrikanische Kommission für Wahrheitsfindung und Versöhnung, kurz: Wahrheitskommission, hat es in der jüngsten Zeit schwer. Denn die Auftritte von Winnie Madikizela-Mandela, Parlamentsabgeordnete, Vorsitzende der Frauenliga des African National Congress (ANC) und bis 1996 Ehefrau von Staatspräsident Nelson Mandela, überschatten zur Zeit alle anderen Aktivitäten der Kommission. Zuletzt waren es die nicht-öffentlichen Anhörungen Madikizela-Mandelas am 26. und 27. September in Port Elizabeth, die das Interesse der internationalen Medien auf sich zogen; Ende November wird es - nach enormem öffentlichen Druck, nicht zuletzt von Madikizela-Mandela - die erste öffentliche Anhörung sein.

Hierbei geht es um einen vorläufig schon abgeschlossenen Fall, der durch einen Amnestieantrag vor der Wahrheitskommission nun wieder aufgerollt wird: Von der Beschuldigung des Mordes und der Anstiftung zum Mord in acht Fällen wurde Madikezela-Mandela bereits vor geraumer Zeit freigesprochen, Jerry Richardson, Fußballtrainer des von ihr unterhaltenen Clubs "Mandela United" jedoch 1991 zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Er soll den 14jährigen James Moeketsi Seipei, genannt Stompie, gegen Ende des Jahres 1988 im Haus von Winnie Mandela getötet haben und an weiteren Morden an Jugendlichen beteiligt gewesen sein.

Richardson hat seinen Fall nun vor die Wahrheitskommission bringen lassen, um noch in diesem Jahr amnestiert zu werden. Handelte es sich doch, nach seiner Einschätzung, bei Stompie eindeutig um einen eingeschleusten Polizeispitzel, der zur eigenen und auch zur Sicherheit Winnie Mandelas beseitigt werden mußte. Somit liege eine politisch motivierte Straftat - und eben kein "normales Verbrechen" - vor, Amnestie wäre möglich. Da ein angeblicher Mittäter, Katiza Cebekhulu, bis heute flüchtig ist, muß auch Madikizela-Mandela erneut Rede und Antwort stehen.

Obwohl in diesem Fall zur Zeit kaum etwas Spektakuläres zu erwarten ist - weder eine Amnestie für Jerry Richardson noch neue Beweise zur Verwicklung Winnie Madikizela-Mandelas in die Straftaten -, tritt die sonstige Arbeit der Wahrheitskommission zunehmend in den Hintergrund des öffentlichen Interesses. Im vergangenen Monat ist die Frist zum Einreichen von Amnestie-Anträgen abgelaufen. Bis dahin wurden dort 1 700 von fast 7 000 Amnestiegesuchen behandelt, in 50 Fällen gewährte die Kommission Straffreiheit, rund 2 000 Amnestieanträge erhielten einen abschlägigen Bescheid.

In der nächsten Zeit sind Anhörungen von ehemaligen ranghohen Armee- und Regierungsangehörigen anberaumt. Vom 14. bis zum 16. Oktober sollen der frühere südafrikanische Außenminister Roelof "Pik" Botha, der ehemalige Verteidigungsminister General Magnus Malan und Ex-Sicherheitsminister Adiaan Vlok - allesamt hochrangige Mitglieder der National Party (NP) - in Johannesburg Auskunft über "die Aktivitäten", das heißt zahlreiche Übergriffe und Morde der ehemaligen South African Defence Forces (SADF) geben.

Der ehemalige Polizeikommissar Johan van der Merwe hatte bereits im Oktober 1996 die ehemaligen Mitglieder des Regierungskabinetts beschuldigt, Terroraktionen gegen den ANC angeordnet zu haben. Ein Bombenanschlag auf den Hauptsitz des Südafrikanischen Kirchenrates sei, so van der Merwe, 1988 von Sicherheitsminister Adriaan Vlok persönlich angeordnet worden. Dieser habe im Gebäude des Kirchenrates in Johannesburg das Hauptquartier des ANC vermutet. Auch die Ermordung von zehn ANC-Mitgliedern im Jahr 1986 sei von Kabinettsmitgliedern angeordnet worden, belastete van der Merwe "seine Vorgesetzten und die alte Regierung". Diese sollten nun "die Verantwortung für das übernehmen, was wir in unserem Bestreben getan haben, die Anführer an der Macht zu halten", äußerte der Ex-Polizist 1996 zusammen mit fünf anderen Sicherheitskräften vor der Wahrheitskommission. Höhepunkt dieses Geständnisses: Auch Ex-Staatspräsident Pieter Botha habe von der Planung des Bombenanschlags gewußt. Dieser verweigerte damals, wie übrigens auch alle anderen ehemaligen Regierungsmitglieder, seine Zusammenarbeit mit der Wahrheitskommission. Solange nicht "die Taten des ANC" dort zur Sprache kämen, werde er auf keine Anschuldigung antworten.

Während sich Malan, Vlok und "Pik" Botha in der vergangenen Woche bereit erklärten, bei der nächsten Anhörung anwesend zu sein, ließ sich Pieter Botha "aus gesundheitlichen Gründen" entschuldigen. Er folgte damit der Strategie des Schweigens seines Nachfolgers de Klerk. Dieser hatte auch nach Aussagen aus den Reihen des ANC im vergangenen und diesem Jahr - Anschläge des ANC wurden offengelegt und der Kommission wurde Einblick in die Befehlsketten des ANC und seines bewaffneten Flügels Umkhonto weSwize gewährt - jegliche Mitarbeit verweigert.

Das ging dem Vorsitzenden der Wahrheitskommission, dem südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu dann doch zu weit. Zusammen mit dem Vizevorsitzenden der Kommission, Alex Boraine, forderte er im Sommer dieses Jahres die Führungsriege der NP auf, endlich auszusagen. Denn die Arbeit der Wahrheitskommission beruhe auf der stillschweigenden Übereinkunft aller Parteien und Organisationen, alles ihnen Mögliche zur Aufklärung der Vergangenheit beizutragen. Nur so könne sich die "heilende Wirkung der Wahrheit" entfalten, erklärte Tutu. Aber erst nachdem sich Tutu und Boraine für diesen angeblichen Affront öffentlich entschuldigt hatten, signalisierte der neue NP-Parteichef van Schalwyk die Bereitschaft zur Zusammenarbeit: Parteifunktionäre der NP werden künftig zu den Anhörungen erscheinen - ob und was sie dort aussagen, steht auf einem anderen Blatt.