Der Tod wird’s richten

Der Prozeß ehemaliger Zwangsarbeiterinnen geht in die letzte Runde

24. September, Landgericht Bonn: Ein weiterer Verhandlungstag im Prozeß von 22 Überlebenden des KZ Auschwitz gegen die Bundesrepublik Deutschland um Entschädigung für geleistete Zwangsarbeit in der dortigen Produktionsstätte der Firma Union. Keine der 21 Klägerinnen ist anwesend, der einzige Kläger im Verlauf des seit fünf Jahren laufenden Verfahren gestorben. Während der Verhandlung wird bekannt, daß eine weitere Überlebende im März 1996 gestorben ist.

Daß das Gericht den ehemaligen Zwangsarbeiterinnen ihr Recht auf Entschädigung zuspricht, ist heute unwahrscheinlich. Schließlich hatte man Jahrzehnte Zeit, juristische Spitzfindigkeiten zu entdecken, entweder kamen die Kläger zu früh oder zu spät, war ihr Anspruch verjährt oder noch nicht einklagbar. Selbst nachdem in dem Verfahren, das Waltraud Blass 1990 gegen Siemens angestrengt hatte, die Klägerin nachweisen konnte, daß führende Siemens-Manager KZ-Häftlinge für die Zwangsarbeit beim Reichsführer SS, Heinrich Himmler, angefordert hatten (siehe Interview unten), wurde die Rechtsprechung entsprechend modifiziert, um Zahlungen zu vermeiden.

Am heutigen Prozeßtag treten Beamte des Bundesfinanzministeriums auf, die ihre in mühevollem Aktenstudium gewonnenen Erkenntnisse dem Gericht präsentieren. In allen Einzelheiten und bis auf den letzten Pfennig rechnen sie der Öffentlichkeit und dem Gericht vor, für welche "Schäden" die Klägerinnen schon wieviel Zahlungen erhalten haben - jüdische Überlebende als undankbare Bittstellerinnen und Bittsteller, die nach über 50 Jahren immer noch keine Ruhe geben.

Bereits im Juli 1993 hatte das Gericht erklärt, die Klage zwar dem Grunde nach für gerechtfertigt zu halten, sich durch offene Rechtsfragen aber daran gehindert zu sehen, ihr stattzugeben. Hilfesuchend wandte man sich an das Bundesverfassungsgericht, das sich mit seinem Beschluß drei Jahre Zeit ließ. Das höchste Gericht drückte sich jedoch vor einer eindeutigen Entscheidung. Einzig die magere Feststellung, daß individuelle Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nicht durch eine allgemeine Regel des Völkerrechts ausgeschlossen seien, konnten sich die Karsruher Richter abringen.

Das Bonner Landgericht, nun wieder am Ball, bedauert sich sehr und wünscht sich politische Klärung der Entschädigung für die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Damit ist es aber bei der Bundesregierung an der falschen Adresse. Im Juli 1996 schrieb die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanzministerium, Irmgard Kawatzky, daß das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber "keineswegs die Pflicht auferlegt (habe), bestehende Wiedergutmachungsleistungen zugunsten der ehemaligen Zwangsarbeiter nachzubessern". Auch die Notwendigkeit der Einrichtung einer Bundesstiftung zur Entschädigung von NS-Unrecht sah sie, "nach Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Staatengemeinschaft und nach umfangreichen Transferleistungen", nicht als gegeben.

In dem für den 5. November angekündigten Urteil kann das Bonner Gericht entscheiden, wie es will, zahlen werden weder Regierung noch Konzerne. In einer am 18. Dezember 1996 im Auswärtigen Amt durchgeführten Besprechung mit Vertretern von Bundesregierung und Industrie über eine Zusammenarbeit bei der Abwehr der Ansprüche von Überlebenden wurde man sich schnell einig, daß "das Bundesfinanzministerium den Prozeß erforderlichenfalls bis zum Bundesgerichtshof führen" werde.