Friedliche Engel

Der Krieg der skandinavischen Rocker wurde nach langen Friedensverhandlungen beendet

Nachdem sich die Rockergangs Bandidos und Hell's Angels in Skandinavien jahrelang blutige Kämpfe mit insgesamt zwölf Todesopfern geliefert hatten, war es vor zwei Wochen endlich soweit: Nach langen Verhandlungen unter Leitung des dänischen Rechtsanwalts Thorkild H¿yer, in deren Verlauf skandinavische Anführer beider Gruppen auch in Washington waren, wo die internationalen Chefs in die Gespräche einbezogen worden waren, konnte der Abschluß der Friedensverhandlungen live in der Hauptnachrichtensendung des dänischen Fernsehens verkündet werden.

Eine Frage der Motorradfahrer-Ehre waren diese Auseinandersetzungen nicht. "Motorrad-Klubs sind Gelddruckmaschinen", schrieb das norwegische Dagbladet schon vor zwei Jahren, der Krieg der Rocker war in Wirklichkeit ein Verteilungskampf um den skandinavischen Absatzmarkt, auf dem es viel Geld zu verdienen gibt: Alkohol kann man nur in staatlichen Läden kaufen, und dort ist er sehr teuer. Vorrangiges Ziel der skandinavischen Alkoholpolitik ist es nämlich nicht, möglichst viel Ware zu verkaufen, sondern die Bürger vom Trinken abzuhalten. Stolz verkündet man Jahr für Jahr rückläufigen Konsum, der allerdings auch darin begründet sein dürfte, daß den Durchschnittsschweden und -norwegern der legale Flaschenkauf viel zu teuer geworden ist. Der "Hjemmebrennt", der schwarz gebrannte Schnaps, erfreut sich, trotz gelegentlicher Pannen, bei denen durchaus auch schon mal das Eigenheim in die Luft fliegen kann, großer Beliebtheit.

In einem bemerkenswert unkritisch geführten Interview mit der Zeitschrift Biker News, nachgedruckt in Beute, bestritten Bandidos und Angels diese Theorie vehement. Auf die Anschläge gingen sie dabei nicht ein, stellten sich jedoch ausgiebig als Opfer einer skandinavischen Polizeiverschwörung und als freiheitsdurstige Individualisten dar. "Die kollektive Haltung der Angels war immer eine faschistische", schrieb Hunter S. Thompson dagegen schon in seinem 1967 erschienen Buch "Hell's Angels", "ihre politischen Überzeugungen sind auf denselben Retro-Patriotismus begrenzt wie die der John Bird-Society, des Ku Klux Klan und der American Nazi-Party." Diese Erfahrung hatten 1965 schon die gegen den Vietnam-Krieg Protestierenden machen müssen - Hell's Angels hatten ihre Kundgebung unter Rufen wie "Kommunisten!" und "Verräter!" gesprengt. Die Überfallenen waren erschüttert, immerhin hatte man die Angels als individualistische und revolutionäre Aussteiger gesehen, und dann das - 15 000 Hippies ließen sich von einem Dutzend Rocker einschüchtern, angreifen und verprügeln. Trotzdem hofften sie weiter auf die Angels als Verbündete - Allen Ginsburg verfaßte sogar extra ein Gedicht "To the Angels", in dem sie gebeten wurden, "Camrado, Freund, Geliebter" zu sein und bei der nächsten Demo mitzumarschieren. Einen Tag vorher verkündeten die Angels allerdings auf einer Pressekonferenz, an diesen "unamerikanischen Umtrieben" nicht teilnehmen zu wollen, "weil unsere patriotischen Befürchtungen über das, was diese Leute unserer großartigen Nation antun wollen, uns zu Gewalt provozieren könnte - das würde jedoch nur Sympathien für diesen Verräter-Mob bringen!" Gleichzeitig verlas Angels-Präsident Barger ein Telegramm an Präsident Johnson, in dem er sich und seine Jungs als freiwillige Kämpfer in Vietnam anbot. Thompson berichtet weiter, daß die jüngeren Mitglieder der Hell's Angels schon Mitte der Sechziger ins Heroingeschäft eingestiegen waren.

Daß die skandinavische Polizei heute bei Hausdurchsuchungen bislang außer Waffen noch nie illegale Ware entdeckte, sieht sie eher als Beleg für ihre Theorie, daß die Klubs eigentlich dem organisierten Verbrechen zuzuordnen sind, dem systematischen Drogen- und Alkoholschmuggel, der Schutzgelderpressung und der Prostitution - auf einem zur Zeit heiß umkämpften Markt. Die Angels sahen ihre Monopolstellung deshalb durch die Konkurrenz der Bandidos bedroht. Schon einmal, Mitte der Siebziger, hatten sie einen ähnlich gelagerten Konflikt in Dänemark klar gewonnen. Damals forderte eine Fehde zwischen den Hell's Angels und den neu gegründeten Bullshits zehn Todesopfer, bis die deutlich unterlegenen Bullshits schließlich resignierten und sich auflösten.

Eine der Hauptfiguren im jüngsten Verteilungskampf war der 41jährige Däne Michael Garcia "Lerche" Olson. Aufgewachsen in einem reichen Elternhaus, ging die Sache mit der bürgerlichen Karriere gründlich schief. Als 1979 eine dänische Abteilung der weltweit agierenden Motorradgang Hell's Angel gegründet wurde, gehörte Olson zu den ersten Mitgliedern. Ein knappes Jahr später wurde er wegen Mordes an einem Aussteiger zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, was sich bei den Angels jedoch nicht karriereknickend auswirken muß: Nach seiner Entlassung stieg er zum Klubpräsidenten auf.

1986 war die Angels-Laufbahn dann allerdings auch schon wieder zu Ende. Eine offizielle Begründung gab es zwar nicht, aber anscheinend hatte Lerche Geld aus illegalen Geschäften unterschlagen und Einkünfte aus mindestens einem von den Rockern betriebenen Kopenhagener Bordell für sich behalten. Das bedeutete die Höchststrafe, unehrenhafte Entlassung, genannt Bad stand: Alle Gegenstände mit dem Hell's-Angels-Symbol sind sofort abzuliefern (mit dem Verkauf dieser Devotionalien wird der Defense Fund, der Verteidigungsfonds für straffällig gewordene Mitglieder, finanziert), und einschlägige Tätowierungen zu ändern. Ferner ist es untersagt, sich weiter im Biker-Milieu aufzuhalten und Harley Davidson zu fahren. Ein Aufenthaltsverbot für Kopenhagen kam in Lerches Fall hinzu.

1993 wurde der kleine Motorradklub, dem sich Olson mittlerweile sofort angeschlossen hatte, dann zur dänischen Filiale des US-amerikanischen Mutterklubs MC Bandidos - und zur massiven Konkurrenz für den Marktführer Hell's Angels. Schnell stieg Lerche zum sogenannten Kriegsminister auf und wurde überdies Leibwächter des Klubchefs von ganz Skandinavien. Diesen letzten Job erledigte er allerdings bemerkenswert erfolglos: Michael "Joe" Lundgren wurde 1995 auf einer schwedischen Autobahn erschossen, kurz nachdem er seinen Bodyguard weggeschickt hatte.

Dann wurde Lerche zum Hauptangriffsziel der Angels-Attacken. Im letzten Jahr entging er nur knapp einem Maschinenpistolenangriff auf dem Osloer Flughafen Fornebu. Bis dahin war Norwegen von den Auseinandersetzungen noch relativ verschont geblieben, während sich in Dänemark und Schweden schon Anfang der Neunziger Bandidos und Angels mit bei Überfällen auf Militärdepots erbeuteten Panzerabwehrraketen beschossen, kam es in Norge lange Zeit nur zu Brandanschlägen auf die mit Stacheldraht, Mauern, Flutlicht und Videoüberwachung festungsartig ausgebauten Klubheime. Dabei war die Situation dort noch etwas unübersichtlicher, denn es standen sich gleich mehrere Gangs, allesamt assoziierte Mitglieder US-amerikanischer Mutterklubs, gegenüber: Hell's Angels und der MC Norway mit Hauptsitz in Trondheim auf der einen, Bandidos und Outlaws, die Oslo und Umgebung kontrollierten, auf der anderen Seite.

Im Frühjahr dieses Jahres gab es jedoch auch in Norwegen das erste Todesopfer. Bei einem Bombenanschlag auf das Drammener Klubheim, der Lerche galt, wurde eine zufällig vorbeifahrende Autofahrerin getötet.

Das dänische Gesetz, wonach es den Klubs verboten ist, ihre Vereinsheime in bewohnten Gebieten zu installieren, wurde danach auch in Norwegen übernommen. Und Bandidos und Hell's Angels sorgten gemeinsam dafür, daß die Norweger Maßnahmen diskutierten, die sie bislang immer strikt abgelehnt haben, Telefonüberwachung beispielsweise, die bislang nur in schweren Fällen, wenn z.B. die Landessicherheit auf dem Spiel stand, erlaubt war oder Zeugenschutzprogramme, die es überhaupt nicht gibt. Mit dem nun ausgebrochenen Frieden sind die Rocker jedoch vor allem dem drohenden Verbot ihrer Klubs zuvorgekommen.