Hausarrest für den Demokrator

Nach dem Vorwahlsieg des Putschgenerals Lino Oviedo eskalieren die internen Machtkämpfe in Paraguays Regierungspartei

Nach seinem knappen Sieg bei der internen Vor-Ausscheidung der regierenden Colorado-Partei für die Präsidentschaftswahlen im Mai 1998 glaubte der Rechtspopulist und ehemalige Oberkommandierende der paraguayischen Streitkräfte, Lino Oviedo, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben: Denn mit knapp 40 Prozent der Stimmen, ließ er nach wochenlangen Auszählungen verlauten, sei er jetzt nicht nur der aussichtsreichste, sondern auch der demokratischste Bewerber um das höchste Staatsamt; schließlich sei Demokratie ja eine Frage der Mehrheiten.

Nicht alle sind sich da so sicher wie Oviedo, angefangen beim noch amtierenden Präsidenten Juan Carlos Wasmosy, den der General im April 1996 aus dem Amt zu putschen versucht hatte. Wasmosys Kandidat Carlos Facetti allerdings landete bei den Vorwahlen abgeschlagen auf dem dritten Platz, noch hinter Luis Mar'a Arga-a, dem Kandidaten der Parteibürokratie und altgedienten Gefolgsmann des Ex-Diktators Alfredo Stroessner. Die Colorado-Partei, die Paraguay seit 50 Jahren auf diktatorischer Weise regiert, muß sich bei den Präsidentschaftswahlen erstmals mit einem breiten Oppositionsbündnis aus Liberalen und Sozialdemokraten unter Führung des Widerstandsveteranen Domingo Laino messen, der bei den letzten Wahlen noch knapp gegen Wasmosy unterlegen war.

Nachdem Arga-a noch Ende September das Vorwahlergebnis vor dem nationalen Wahlausschuß angefochten hat, muß sich Oviedo nun mit Betrugsvorwürfen auseinandersetzen. Auch zwei Verfahren gegen den temperamentvollen General, die zwischenzeitlich ins Stocken geraten waren, sind seit der vergangenen Woche vom Obersten Gerichtshof reaktiviert worden: Wegen des gescheiterten Staatstreichs gegen Wasmosy, bei dem er sich mit loyalen Militärs drei Tage lang in den Kasernen verbarrikadiert hatte, muß sich Oviedo nicht nur wegen schweren Landfriedensbruchs, sondern zudem wegen verbotener politischer Betätigung während seiner Amtszeit als Armeechef zwischen 1992 und 1996 verantworten. Am vergangenen Freitag schließlich goß die Regierung nochmals Öl ins Feuer, indem sie Oviedo, der während einer Argentinienreise vor der Presse schwere Korruptionsvorwürfe gegen Wasmosy erhoben hatte, unter Berufung auf die militärische Loyalitätspflicht gegenüber dem Staatsoberhaupt zu 30 Tagen Hausarrest verurteilte. Zur Stunde ist das Domizil des Generals in Asunci-n von einem Polizeikordon umstellt, während dieser, auf Wahlkampftournee im Landesinneren, durch Sprecher ankündigen ließ, er werde sich der illegalen Maßnahme nur unter Protest fügen.

Freilich könnten sich die Prozesse und Disziplinarmaßnahmen, mit denen die unpopuläre Regierung Wasmosy den unberechenbaren Oviedo politisch unschädlich machen wollte, bald als Bumerang erweisen - ebenso wie die Warnungen der USA und der Mercosur-Mitgliedsstaaten, die das Ansehen des Generals bislang eher noch verstärkt haben. Bereits Stunden vor der Vorwahlentscheidung warnte etwa Washingtons Subsekretär für Lateinamerika, Peter Romero, die Clinton-Administration behalte sich ihre Reaktion vor, falls autoritäre und antidemokratische Kräfte in Paraguay die Macht ergreifen sollten, und Vertreter der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur und der Rio-Gruppe drückten am Rande der UNO-Vollversammlung im September ihre Sorge aus, Oviedos Kandidatur könne sich als Sprengsatz für die wirtschaftliche und politische Integration der Region erweisen.

Auch die Armeeführung, die Wasmosy vor einem Jahr gegen Oviedo die Treue gehalten hatte, zeigte sich beunruhigt: Der Oberkommandierende, General Noguera, warnte, man dürfe nicht zulassen, daß eine Figur vom Schlage seines Vorgängers das Präsidentenamt bekleide, äußerte auf Nachfrage aber lediglich die Hoffnung, die Wählerschaft werde den Sieg Oviedos schon zu verhindern wissen. Hinter den vagen Drohungen Nogueras verbirgt sich ein interner Machtkampf innerhalb der Streitkräfte, deren Führung nach der Niederlage des Wasmosy-Flügels ihren Rückhalt schwinden sieht. Denn hinter Oviedo stehen vor allem jüngere Offiziere der unteren Ränge, von denen über 200 vor einem Jahr im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom Dienst suspendiert wurden. Natürlich hat Oviedo, sollte er im nächsten Jahr zum Präsidenten gewählt werden, deren volle Rehabilitierung angekündigt.

Die Verquickung von Militär- und Parteiapparat der Colorados ist eine der zahlreichen Besonderheiten der paraguayischen Demokratie nach dem Sturz Stroessners 1989 durch seinen Stellvertreter General Rodr'guez. Während Stroessners blutiger Diktatur zwischen 1954 und 1989 waren alle Offiziere verpflichtet, der Colorado-Partei beizutreten, die neben den offiziellen Regierungsgeschäften auch so einträgliche Nebenerwerbsquellen wie den Schmuggel von Autos, Elektronika und Drogen in die Nachbarländer Brasilien und Argentinien verwaltete. Der überwiegend von Militärs entwickelte "illegale" Geschäftsgang steht in einem gewissen Widerspruch zu den Praktiken, die die multinationalen Investoren bevorzugen und über den Mercosur gerne durchgesetzt wüßten. Nicht zuletzt deswegen polemisiert Oviedeo, der verdächtigt wird, in Drogengeschäfte und den überaus lukrativen Zweig der Produktpiraterie verwickelt zu sein, gegen den Mercosur.

Der Zivilist Wasmosy, ein Baulöwe und Viehzüchter ungarischer Herkunft und Gerüchten zufolge der reichste Mann Paraguays, hatte mit einem neoliberalen Finanz- und Wirtschaftsprogramm versucht, ausländische - vor allem asiatische - Investoren ins Land zu locken, von wo aus Fertigprodukte "made in Paraguay" ohne Schutzzölle auf den attraktiven brasilianischen Markt gelangen können. Allerdings führte seine soziale Kürzungspolitik in dem traditionell armen Land zu Auswanderungswellen nach Brasilien und Argentinien und wachsenden Problemen mit Schmuggel- und Drogenkriminalität. Seit einem Finanzskandal im Jahr 1995, in dessen Verlauf mehrere Bankhäuser schließen mußten, kämpft das Land zudem mit einer Währungskrise. Wasmosy, als Kandidat des Finanzestablishments an die Macht gekommen, steht mittlerweile mit dem Rücken zur Wand: Ohne Mehrheit im Parlament und in der eigenen Partei, wird er nur noch von der Armeeführung gestützt, die sich seit dem Vormarsch Oviedos zudem mit wachsendem Unbehagen in den eigenen Reihen auseinandersetzen muß.

Das Programm Oviedos, der auf der Hamburger Militärakademie einen Teil seiner Ausbildung genoß, folgt im wesentlichen der Formel: Harte Hand plus Nationalismus. Korrupte Politiker will der General abwechselnd an den Galgen oder auf den elektrischen Stuhl bringen, und ganz allgemein will er mit "Überfällen, Vergewaltigungen und allem, was die öffentliche Sicherheit bedroht", aufräumen. Die im Vertrag von Asunci-n fixierten Richtlinien des Mercosur-Binnenmarktes mit Argentinien, Brasilien und Uruguay will Oviedo neu verhandeln, weil dieser den Lebensstandard der paraguayischen Campesinos nur noch weiter verschlechtert habe, und die Privatisierung von Staatsbetrieben zugunsten multinationaler Konzerne unterbinden. "Die paraguayische Oberschicht," ließ der General in einem Interview verlauten, "hat Angst vor mir, weil sie endlich ihre Steuern wird bezahlen müssen." Einstweilen bedroht Oviedo mit dem Steuerknüppel allerdings vorzugsweise oppositionelle Zeitungen und Radiostationen, die ihn wegen seiner offenen Sympathien für die Ex-Diktatoren Pinochet und Stroessner kritisiert hatten. Deren Herausgeber möchte er "wie Kerzen aufgereiht vor dem Finanzamt antanzen lassen". So steht acht Monate vor den Wahlen vor allem eins fest: Nicht der Streit mit der Opposition, sondern die internen Grabenkämpfe und Palastrevolten der Colorados werden wie in den letzten 50 Jahren die Politik Paraguays bestimmen.