Hotel Gernegrand

Gefährliche Orte VIIb: Das Hotel Adlon als Prestigeobjekt der Berliner Republik

Weil das Fluidum der historischen Bedeutsamkeit so verschwenderisch und weit gestreut ist, fällt es auch der Macht schwerer, sich öffentlich in Szene zu setzen. Die Einfallslosigkeit, mit der seit 1989 die Rückkehr zum militärischem Spektakel vollzogen wurde - denken wir nur an die Umbettung des Alten Fritz 1991 oder die Verabschiedung der Allierten 1994 - ist Ausdruck dieses Dilemmas. Die Vielfalt wirtschaftlicher Interessen, gesellschaftlicher Gruppen und Medien erfordert intensive Vorarbeit, um einen Staatsakt zum Erfolg zu machen. Ein Beispiel für zeitgemäße, machtpolitische Bedeutungsproduktion ist die Eröffnung des Grandhotels Adlon am Brandenburger Tor und die dort am 26. April gehaltene historische Rede des Bundespräsidenten.

Die Filiale der Kempinski-Hotelkette knüpft in Baustil, Selbstdarstellung und Namenswahl an das Hotel Adlon an, das in den ersten dreißig Jahren diese Jahrhunderts zahlreiche Prominente beherbergte und sich der Gunst Kaiser Wilhelms erfreute. Die Fertigstellung und Eröffnung des Baus wurde von einer Publizität begleitet, die schon am Eröffnungstag zu einer Warteschlange von 1 200 Touristen führte. Die zahlreichen Berichte hatten dem Hotel, das sich selbst als Schauplatz der Geschichte betitelt, und eine elegante und weltgewandte Atmosphäre verspricht, bereits vor der offiziellen Eröffnung riesigen Zulauf beschert. Hierbei überschlugen sich besonders der Tagesspiegel und der SFB. Schließich meldete man stolz das Ergebnis der eigenen Kampagne: In sechs Wochen hätten über 8 000 Touristen das Hotel besichtigt, dabei seien 18 000 Tassen Kaffee ausgeschenkt worden. Hier wurde zweifellos Weltniveau erreicht.

Die weltgewandte Atmosphäre will sich nicht recht einstellen, solange sich shorts- und sandalentragende Kleinbürger im Foyer gegenseitig auf die Füße treten. Doch folgen diese nur den Lockrufen der Medien, die die großen Namen der guten, alten Zeit immer wieder aufzählen und die Aura des Ortes beschwören. Man will einen kurzen Blick auf den Schauplatz der Geschichte werfen, will mit seiner Kleinbildkamera den Beweis erbringen, man habe für einen Moment auf der großen Bühne gestanden. Optisch drängt sich der Eindruck auf, daß früher doch alles besser gewesen sei: Der Bau ist zu klobig und dabei doch zu kleinräumig, weil wirtschaftliche Erwägungen eine maximale Flächennutzung erzwingen. Die Fassade ist mißlungen, die große Treppe im Foyer ist zu klein und zu abgelegen, sie könnte keinem großen Auftritt dienen. Und wer soll nun in die Fußstapfen der gekrönten Häupter, der Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft treten, die sich im Gästebuch verewigt haben ? Sind die Schuhe Einsteins, Roosevelts und Chaplins nicht einige Nummern zu groß für einen Roman Herzog oder einen Harald Juhnke? Doch hat man unbekümmert beschlossen, die große Bühne auch mit drittklassigem Personal zu bevölkern. Und es stimmt nicht, wie die Zeit vermutete, daß sich hier die Reichen der Republik eine Bühne gebaut haben, auf der sie ihre Kostüme und Kalauer zum besten geben.

Der Ort genießt höhere Weihen, hier wird Geschichte gemacht. Die Premiere fand im April 1997 statt. Man gab das Stück "Aufbruch ins 21. Jahrhundert". Hauptdarsteller Herzog hielt eine bedeutende Rede, das Premierenpublikum bestand aus Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, darunter auch der Volksschauspieler Juhnke. Eine Art Hofstaat der Berliner Republik war zusammengekommen, umschwirrt von beflissenen Pressevertretern und Leibfotografen. Die publizistische Reaktion auf die im üblichen verschnupft-weinerlichen Tonfall vorgetragene und sich in Gemeinplätzen wie "Es muß ein Ruck durch das Land gehen" u.ä. ergehende Rede war überwältigend einstimmig. Presse und Fernsehen bejubelten wie gleichgeschaltet die Rede als "historische Tat", das Hotel wurde gleich zum "Ort des Triumphs" erklärt.

Der Pressestab des Bundespräsidenten und die Tourismus- und Marketingfirma Partner für Berlin hatten dafür intensiv vorgearbeitet. Die Chefredaktionen wurden massiv und erfolgreich über ein bevorstehendes historisches Ereignis instruiert. Dort wurde man sich nun der vaterländischen Pflicht bewußt und beschloß, mit publizistischen Mitteln Politik zu machen. Man schwelgte in den Schilderungen des selbstproduzierten Ereignisses. Die offizielle Eröffnung des Hotels vier Monate später wurde nochmals als Staatsakt gestaltet. Die Berliner Philharmonie spielte auf, neben dem Bundespräsidenten, mehreren Ministern und Botschaftern tummelten sich 350 geladene VIPs in der Hotelhalle. Man feierte laut Hoteldirektor hier die Wiedergeburt der Weltstadt. Im publizistischen Begleitwerk tauchten erste vorsichtige Selbstreflexionen auf, man sprach nun verwundert und pseudokritisch von "Adlomanie" und von "Geschichten aus dem Märchenbuch der Public Relations".

Der Vorverkauf für das nächste Stück, das auf dem Schauplatz der Geschichte gegeben werden soll, hat schon begonnen.